Hadden war der Verdacht gekommen, daß die Übernahme nur ein Vorwand und sein eigentliches Vergehen der Angriff auf die Werbung und die Fernsehprediger gewesen war. Werbnix und Prednix seien elementare Bestandteile des amerikanischen Unternehmertums, versicherte er wiederholt. Genau darin lag doch die Bedeutung des Kapitalismus: die Menschen mit verschiedenen Alternativen zu versorgen. „Ich habe ihnen erklärt, daß das Fehlen der Werbung insgesamt eine solche Alternative ist. Riesige Budgets für Werbekosten gibt es nur, wenn die Produkte alle gleich sind. Wenn die Produkte wirklich verschieden sind, dann kaufen die Leute nur das bessere. Die Werbung hat nur den Effekt, daß die Leute nicht mehr auf ihr eigenes Urteil vertrauen. Werbung macht dumm. Ein starkes Land braucht aber intelligente Menschen. Deshalb ist Werbnix von nationaler Bedeutung. Die Hersteller können jetzt einen Teil der Werbekosten darauf verwenden, ihre Produkte zu verbessern. Das käme dem Verbraucher zugute. Zeitschriften, Zeitungen und der direkte Postversand würden florieren, und das wiederum würde den Verlust der Werbeagenturen ausgleichen. Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.“ Viel entscheidender als die unzähligen Verleumdungsklagen gegen die ursprünglichen kommerziellen Sendeanstalten hatte Werbnix zu deren Ende beigetragen. Dann hatte es eine Zeitlang ein ganzes Heer arbeitsloser Werbemanager, am Existenzminimum lebender ehemaliger Größen des Rundfunks und Fernsehens und mittelloser Fernsehprediger gegeben, die sich verbittert geschworen hatten, sich an Hadden zu rächen. Auch die Zahl noch gefährlicherer Feinde war seither ständig gewachsen. Kein Zweifel, dachte Ellie, Hadden war ein interessanter Mann.
„Deshalb glaube ich, daß es Zeit ist zu gehen. Ich habe mehr Geld, als ich jemals ausgeben kann. Meine Frau kann mich nicht ausstehen, und überall habe ich Feinde. Ich will etwas wirklich Wichtiges und Bedeutendes tun. Es soll etwas sein, worauf die Menschen noch in ein paar hundert Jahren zurückblicken werden, und dann froh sind, daß es mich gegeben hat.“
„Sie wollen — “
„Ich will die Maschine bauen. Sehen Sie, diese Aufgabe ist mir auf den Leib geschrieben. Ich bin der beste Fachmann auf dem Gebiet der Kybernetik — besser noch als Carnegie-Mellon, MIT, Stanford und Santa Barbara. Und aus Ihren Plänen geht doch eindeutig hervor, daß es sich nicht um einen Job für altmodische Werkzeugmacher handelt. Und Sie werden jemand brauchen, der sich in der Gentechnik auskennt. Sie werden niemand finden, der mit mehr Engagement an die Sache geht als ich. Und ich würde es zum Selbstkostenpreis machen.“
„Glauben Sie mir, Mr. Hadden, die Entscheidung, wer die Maschine baut, falls wir je zu dem Punkt kommen, liegt nicht bei mir. Da spielen viele politische Gesichtspunkte eine Rolle.
In Paris wird immer noch darüber debattiert, ob die Maschine überhaupt gebaut werden soll, falls wir die BOTSCHAFT entschlüsseln, und wenn ja, wann.“
„Natürlich weiß ich darüber Bescheid. Und natürlich bewerbe ich mich wie die anderen auch über die üblichen Wege der Bestechung und Korruption. Ich möchte nur, daß ein gutes Wort für mich eingelegt wird von jemand, der eine weiße Weste hat und meine Gründe kennt. Verstehen Sie? Und wo wir gerade von weißen Westen reden: Sie haben Palmer Joss und Billy Jo Rankin ja ganz schön wachgerüttelt. Ich habe sie seit dem Ärger mit dem Fruchtwasser Marias nicht mehr so aus der Fassung gebracht gesehen. Rankin behauptet, daß man ihn fälschlicherweise als einen Befürworter der Maschine zitiert habe. Ja du meine Güte.“ In gespielter Bestürzung schüttelte er den Kopf. Natürlich war klar, daß der Erfinder von Prednix nicht gut auf die Fernsehmissionare zu sprechen war, aber aus unerfindlichen Gründen hatte Ellie das Gefühl, sie verteidigen zu müssen. „Die beiden sind intelligenter, als Sie denken. Und Palmer Joss ist. nun, er hat etwas Aufrichtiges an sich. Er ist kein Schwindler.“
„Sind Sie sicher, daß es nicht nur sein Charme ist? Entschuldigen Sie, aber es ist wichtig, daß man seine eigenen Gefühle versteht. Keiner kann es sich leisten, sie nicht zu verstehen. Ich kenne diese Clowns. Unter der Oberfläche sind es Geier, wenn es um die Wurst geht. Viele Menschen finden Religion attraktiv — Sie wissen schon, für ihre persönliche und sexuelle Entwicklung. Sie sollten mal sehen, wie es im Tempel von Ischtar zugeht.“
Ellie unterdrückte den plötzlich in ihr aufsteigenden Ekel. „Ich glaube, jetzt brauche ich einen Drink“, sagte sie dann. Als sie vom Penthouse hinunterschaute, konnte sie die einzelnen Stufen der Zikkurat sehen, die je nach Jahreszeit mit unechten oder echten Blumen geschmückt waren. Es war eine Rekonstruktion der Hängenden Gärten von Babylon, einem der Sieben Weltwunder des Altertums, und so gekonnt angeordnet, daß es nicht im mindesten kitschig wirkte. Ganz unten sah sie einen Fackelzug, der sich auf dem Weg von der Zikkurat zurück zum Enlil-Tor befand. An der Spitze des Zuges trugen vier stämmige Männer mit nackten Oberkörpern eine Sänfte. Wer oder was in ihr saß, konnte Ellie nicht erkennen.
„Es ist eine Zeremonie zu Ehren von Gilgamesch, einem Helden der alten Sumerer.“
„Er ist mir ein Begriff.“
„Er suchte nach der Unsterblichkeit.“ Hadden sagte das ganz prosaisch, zur Erklärung, und schaute dann auf seine Uhr.
„Auf der obersten Spitze der Zikkurat pflegten die Könige die Anweisungen der Götter zu empfangen. Besonders von Anu, dem Himmelsgott. Ach, übrigens, ich habe nachgeschaut, wie damals die Wega hieß. Sie hieß Tiranna, Leben des Himmels. Ist das nicht lustig?“
„Haben Sie denn Anweisungen von den Göttern bekommen?“
„Nein, die sind zu Ihnen gekommen, nicht zu mir. Aber um neun gibt es noch einmal eine Gilgamesch-Prozession.“
„Ich fürchte, so lange kann ich nicht mehr bleiben. Aber darf ich Sie noch etwas fragen?“ Ellie sah Hadden an. „Warum Babylon? Und Pompeji? Sie sind einer der originellsten Menschen, die ich kenne. Sie haben mehrere große Industrieunternehmen begründet. Sie haben die Werbeindustrie mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Deshalb hat man versucht, Sie mit den Sicherheitsbestimmungen in bezug auf die Kontexterkennungschips aufs Kreuz zu legen. Aber es gab für Sie tausend andere Möglichkeiten. Warum. gerade das?“
In weiter Ferne war der Fackelzug am Tempel von Assur angekommen.
„Warum nichts. Wichtigeres, meinen Sie?“ fragte er. „Aber ich versuche doch nur, gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, die die Regierung übersieht oder einfach ignoriert. Das ist Kapitalismus. Es ist völlig legal. Und es macht viele Menschen glücklich. Außerdem ist es ein Sicherheitsventil für die Verrücktheiten, die diese Gesellschaft immer von neuem erzeugt.