Ellie, Drumlin und Valerian fanden sich zu einer seit langem geplanten Sitzung über das Wega-Signal ein, das jetzt auf der ganzen Welt in seinen Wiederholungen aufgezeichnet wurde. Bei ihrer Ankunft sprachen alle nur von dem Brand in Babylon. Es mußte in den frühen Morgenstunden passiert sein, als sich dort nur noch die dem Laster am tiefsten ergebenen Stammgäste herumtrieben. Mit Granatwerfern und Brandbomben ausgerüstete Banden waren gleichzeitig durch das Enlil- und das Ischtar-Tor eingefallen. Die Zikkurat war in eine riesige brennende Fackel verwandelt worden. Auf einem Photo sah man Menschen, die mit phantastischen Kostümen oder fast gar nichts bekleidet waren, aus dem Tempel von Assur stürzen. Glücklicherweise war niemand getötet worden, obwohl es viele Verletzte gab.
Kurz vor dem Überfall hatte die New York Sun, eine Zeitung, die von den Erdpatrioten herausgegeben wurde und im Impressum eine vom Blitzschlag zertrümmerte Erdkugel führte, einen Telephonanruf erhalten, der den Anschlag ankündigte. Es handle sich um einen von Gott befohlenen Racheakt, sagte der Anrufer, der im Namen des Anstands und der guten amerikanischen Sitten ausgeführt werde, und zwar von jenen, die diese Schweinereien und Intrigen nicht länger mit ansehen wollten. Der Präsident der Aktiengesellschaft Babylon gab Presseerklärungen ab, in denen er den Anschlag verurteilte und als kriminelle Verschwörung verdammte, aber bis jetzt hatte man kein Wort von Hadden gehört, wo immer er stecken mochte. Da allgemein bekannt war, daß Ellie Hadden in Babylon besucht hatte, fragten sie einige Projektmitglieder nach ihrer Meinung. Sogar Drumlin interessierte sich für ihre Meinung, obwohl aus seiner genauen Kenntnis der Geographie des Ortes zu schließen war, daß er selbst mehr als einmal dort gewesen war. Ellie konnte sich ihn ohne Schwierigkeiten als Wagenlenker vorstellen. Aber vielleicht hatte er auch nur über Babylon gelesen. In den Wochenzeitungen waren Luftbildaufnahmen veröffentlicht worden. Dann machten sie sich an die Arbeit. Im Grunde genommen wurde die BOTSCHAFT noch immer auf denselben Frequenzen und mit denselben Bandbreiten, Zeitkonstanten und Polarisations- und Phasenmodulationen gesendet. Die Konstruktionspläne der Maschine fanden sich nach wie vor unter den Primzahlen und der Olympiasendung. Die Zivilisation auf der Wega mußte sehr geduldig sein. Oder sie hatte einfach vergessen, den Sender abzuschalten. Valerian blickte geistesabwesend in die Gegend.
„Peter, müssen Sie denn immer an die Decke starren, wenn Sie nachdenken?“
Von Drumlin sagte man, daß er in den letzten Jahren gemäßigter geworden sei. Aber diese Bemerkung zeigte deutlich, daß es auch Rückfälle gab. Von der Präsidentin der Vereinigten Staaten auserkoren zu sein, die Nation bei den Außerirdischen zu vertreten, sei eine große Ehre, betonte er immer wieder. Diese Reise, gestand er Freunden, bedeute die Krönung seines Lebens. Seine Frau, die vorübergehend nach Wyoming umgezogen war, betete ihn noch immer an. Nun mußte sie hier dieselben Diavorführungen vor einem neuen Publikum über sich ergehen lassen, das aus den am Bau der Maschine beteiligten Wissenschaftlern und Technikern bestand. Da seine Heimat Montana nicht weit war, machte Drumlin dort hin und wieder Besuche. Einmal hatte Ellie ihn nach Missoula gefahren. Damals war er zum ersten Mal, seit sie sich kannten, für ein paar Stunden herzlich zu ihr gewesen.
„Schsch! Ich denke“, erwiderte Valerian. „Deswegen muß ich Störungen unterdrücken. Ich versuche, die Ablenkungen in meinem Gesichtsfeld zu minimieren, und jetzt stören Sie mich im akustischen Spektrum. Sie könnten mich fragen, warum ich nicht auf ein weißes Blatt Papier starre. Aber ein Blatt Papier ist einfach zu klein. Ich würde dann immer noch Dinge am Rande wahrnehmen. Na egal. Ich habe über folgendes nachgedacht: Warum senden die Wegianer noch immer ihre Botschaft? Inzwischen sind Jahre vergangen. Eigentlich müßten sie jetzt die britischen Krönungsfeierlichkeiten empfangen haben. Warum kriegen wir nicht ein paar Nahaufnahmen vom Reichsapfel, dem Zepter und dem Hermelin? Und eine Stimme, die sagt: ‚… hiermit gekrönt als George VI, durch die Gnade Gottes König von England und Nordirland und Kaiser von Indien’?“
„Stand die Wega überhaupt über England, als die Krönung im Fernsehen übertragen wurde?“ fragte Ellie. „Ja, wir haben das wenige Wochen, nachdem wir die Olympia-Übertragung erhalten hatten, nachgeprüft. Und die Sendestärke war viel größer als bei Hitler. Ich bin überzeugt, daß die Wega die Krönungsfeierlichkeiten auffangen konnte.“
„Sie fürchten also, daß man dort nicht will, daß wir wissen, was sie alles wissen?“
„Sie haben es sehr eilig“, antwortete Valerian. Manchmal sprach er in delphischen Orakeln. „Wahrscheinlicher ist“, überlegte Ellie, „daß sie uns immer wieder daran erinnern wollen, daß sie über Hitler Bescheid wissen.“
„Das ist nichts wesentlich anderes, als ich eben gesagt habe“, entgegnete Valerian.
„Ist ja gut. Aber vertun wir doch nicht soviel Zeit mit Spekulationen“, stöhnte Drumlin. Spekulationen über extraterrestrische Motivationen machten ihn immer ungeduldig. Solche haltlosen Vermutungen seien reine Zeitverschwendung, behauptete er, man würde es sowieso in Kürze wissen. Statt dessen drang er darauf, sich auf die BOTSCHAFT zu konzentrieren. Das seien greifbare Daten, die sich wiederholten und eine exakte Bedeutung hatten.
„Vielleicht bringt euch ein bißchen Realität wieder auf den Boden. Wie wäre es mit einem Gang über das Montagegelände? Ich glaube, man setzt gerade die Erbiumdübel ein.“ Der geometrische Aufbau der Maschine war einfach. Die Details allerdings waren äußerst komplex. Die fünf Sessel für die Besatzung befanden sich in der Mitte des Dodekaeders, dort, wo der Durchmesser am größten war. Es waren keine Vorrichtungen für Essen, Schlafen oder andere menschliche Bedürfnisse vorgesehen. Die Besatzung durfte einschließlich ihrer Ausrüstung ein bestimmtes Höchstgewicht nicht überschreiten. Praktisch kam dieser Zwang den kleinen und leichteren Besatzungsmitgliedern zugute. Einige waren deshalb der Ansicht, daß die Maschine kurz nach dem Start in der Nähe der Erde mit einem interstellaren Raumschiff zusammentreffen würde. Das Problem dabei war nur, daß man selbst mit den am weitesten entwickelten optischen Suchgeräten und mit Radar keine Spur eines solchen Schiffes fand. Es war kaum anzunehmen, daß die Außerirdischen die menschlichen Grundbedürfnisse vergessen hatten. Vielleicht flog die Maschine überhaupt nirgendwo hin. Vielleicht tat sie etwas mit der Besatzung. Im Mannschaftsbereich gab es keinerlei Instrumente, kein Steuergerät, noch nicht einmal einen Zündmechanismus — nur die fünf Sessel, die nach innen gerichtet waren, so daß die Besatzungsmitglieder sich in die Augen sahen. Oberhalb und unterhalb des Aufenthaltsbereiches, dort, wo sich das Dodekaeder verjüngte, befanden sich die organischen Substanzen mit ihrer verschlungenen und rätselhaften Struktur. Überall im Inneren dieses Teils des Dodekaeders waren scheinbar willkürlich Erbiumdübel eingesetzt. Umgeben war das Dodekaeder von den drei konzentrischen Kugelschalen, von denen jede eine der drei physikalischen Dimensionen verkörperte. Die Schalen waren offenbar magnetisch aufgehängt — zumindest sahen die Anweisungen einen leistungsstarken Magnetfeldgenerator vor, und der Zwischenraum zwischen den Kugelschalen und dem Dodekaeder sollte ein Hochvakuum sein.