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Man konnte sich unschwer ausmalen, daß es einmal eine Zeit geben würde, in der man Loyalität zu diesem blauen Stern oder vielleicht sogar einem ganzen Schwärm von Welten empfinden konnte, die um einen gelben Zwergstern kreisten, dem die Menschen, die einst nicht gewußt hatten, daß jeder Stern eine Sonne war, den bestimmten Artikel verliehen hatten: die Sonne. Bereits jetzt, wo sich viele Menschen über lange Zeiträume im All aufhielten und schon ein wenig nachgedacht hatten, war die Macht der planetarischen Perspektive zu spüren. Eine nicht geringe Anzahl dieser ehemaligen Bewohner des erdnahen Orbit hatte großen Einfluß da unten auf der Erde.

Man hatte am Anfang, noch bevor die ersten Menschen in den Weltraum gestartet waren, Tiere dort hinaufgesandt. Amöben, Fruchtfliegen, Ratten, Hunde und Affen wurden zu kühnen Frontkämpfern des Weltalls. Als es möglich wurde, länger im All zu verweilen, machte man eine unerwartete Entdeckung. Auf Mikroorganismen hatte eine solche Reise keine, auf Fruchtfliegen fast keine Wirkung. Wohl aber auf die Säugetiere, denn man fand heraus, daß sich in der Schwerelosigkeit die Lebensdauer verlängerte. Um zehn bis zwanzig Prozent. Lebte man in der Schwerelosigkeit, verbrauchte der Körper weniger Energie im Kampf mit der Schwerkraft, die Zellen oxydierten langsamer, und man lebte länger. Einige Ärzte behaupteten, daß die Wirkung auf den Menschen noch durchschlagender sei als auf Ratten. Ein Hauch von Unsterblichkeit lag in der Luft. Die Rate der Neuerkrankungen an Krebs sank bei Tieren, die sich im Erdorbit befanden, verglichen mit der Kontrollgruppe auf der Erde um achtzig Prozent. Bei Leukämie und Lymphdrüsenkrebs waren es sogar neunzig. Man vermutete, obwohl das statistisch noch nicht signifikant nachgewiesen war, daß die Rate der Zellerkrankungen in der Schwerelosigkeit ebenfalls zurückging. Der deutsche Chemiker Otto Warburg hatte bereits vor einem halben Jahrhundert die Hypothese aufgestellt, daß die Oxydation die Ursache vieler Krebsarten sei. Der niedrigere Sauerstoffverbrauch im Zustand der Schwerelosigkeit wurde auf einmal sehr attraktiv. Die Menschen, die in früheren Jahren wegen der Laetrile nach Mexiko gepilgert waren, verlangten jetzt lautstark nach einer Fahrkarte ins All. Aber die war schier unerschwinglich. Einen Weltraumflug, sei es aus Gründen der Vorsorge oder Krankheit, konnten sich nur die wenigsten leisten. Aber plötzlich standen Geldsummen für den Bau ziviler Raumstationen im Erdorbit zur Verfügung, von denen man noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Im ausgehenden zweiten Jahrtausend gab es die ersten Hotels für Pensionäre einige hundert Kilometer über der Erdoberfläche. Abgesehen von den Kosten gab es einen ernsthaften Nachteiclass="underline" Die fortschreitende Auflösung des Knochengewebes und der Gefäße schlossen eine Rückkehr in das Gravitationsfeld der Erdoberfläche für immer aus. Aber für einige wohlhabende Senioren war das kein Hinderungsgrund. Für ein Lebensjahrzehnt mehr setzten sie sich gerne im Himmel zur Ruhe und nahmen es auch in Kauf, dort zu sterben. Andere hielten es angesichts des Elends und der Mißstände unter den Armen und Unterdrückten für unverantwortlich, soviel des nicht unbegrenzten Reichtums der Erde in das Wohlergehen der Reichen und Mächtigen zu investieren. Es sei geradezu wahnsinnig, sagten sie, zuzulassen, daß die Elite ins All auswandere, während die Massen auf der Erde zurückblieben — einem Planeten, der dann praktisch abwesenden Herren unterstand. Andere sahen darin ein Geschenk des Himmels: Die Besitzer des Planeten verließen ihn scharenweise. Dort oben, argumentierten sie, konnten sie weit weniger Schaden anrichten als hier unten auf der Erde. Aber keiner hatte vorausgesehen, daß diese Leute, die in verantwortlichen Positionen saßen, dort oben zu einer planetarischen Perspektive finden würden. Nach einigen Jahren gab es nur noch wenige Nationalisten im Erdorbit. Für diese Menschen, die mit der Unsterblichkeit liebäugelten, stellte die weltweite nukleare Bedrohung ein wirkliches Problem dar. Dort oben lebten japanische Industrielle, griechische Großreeder, saudiarabische Kronprinzen, ein Expräsident, ein ehemaliger Generalsekretär, ein chinesischer Räuberbaron und ein Heroinkönig, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Im Westen gab es abgesehen von einigen wenigen Einladungen zu Werbezwecken nur ein Kriterium für einen Wohnsitz im Erdorbit: Man mußte das Geld dazu haben. Im sowjetischen Weltraumhotel war das anders. Das Hotel war zur Forschungsstation deklariert worden. Und der frühere Generalsekretär hielt sich dort angeblich auf, um „gerontologische Forschungen“ zu betreiben. Im großen und ganzen nahmen die Massen diese Zustände nicht weiter übel. Eines Tages, malten sie sich aus, würden auch sie dorthin reisen.

Die Menschen im Erdorbit waren besonnen und vorsichtig und ließen wenig von sich hören. Dasselbe galt für ihre Familien und ihr Personal. Insgeheim wurde ihnen von anderen reichen und mächtigen Leuten, die noch auf der Erde lebten, der Hof gemacht. Sie traten nicht an die Öffentlichkeit, aber ihre Denkweise durchdrang allmählich das Bewußtsein führender Persönlichkeiten auf der ganzen Welt. Der weitere Abbau der Atomwaffen durch die fünf Nuklearmächte etwa wurde von den Herrschaften im Orbit befürwortet. In aller Stille hatten sie den Bau der Maschine finanziell unterstützt, da dieses Projekt die Einigung der Welt vorantrieb. Hin und wieder schrieben nationalistisch gesinnte Organisationen von einer großangelegten Verschwörung im Erdorbit, mit der die alten, gebrechlichen Weltverbesserer ihr Vaterland verrieten. Flugblätter wurden in Umlauf gebracht, die angeblich Mitschriften eines Treffens auf der Methusalem waren, an dem Vertreter anderer privater Raumstationen teilgenommen hätten, die eigens dafür angereist wären. Eine Liste mit „Aktionsvorschlägen“ wurde veröffentlicht, die darauf zielten, auch halbherzige Patrioten in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Flugblätter seien gefälscht, verkündete die Timesweek. Das Magazin gab ihnen den Namen „Protokolle der Alten von Ozon“.

An den Tagen kurz vor ihrem Abflug versuchte Ellie, jeden Morgen etwas Zeit am Cocoa Beach zu verbringen. Sie wohnte in einem Appartement mit Blick auf den Strand und den Atlantischen Ozean. Sie nahm etwas Brot mit und warf den Möwen kleine Brocken davon zu. Die Möwen waren sehr geschickt und konnten die Bissen im Flug auffangen. Ihre Trefferquote hätte jedem Nationalspieler Ehre gemacht. Manchmal flatterten zwanzig bis dreißig Möwen ein oder zwei Meter über ihrem Kopf. Sie schlugen heftig mit den Flügeln, um auf der Stelle zu bleiben, die Schnäbel weit aufgerissen in Erwartung des auf so wunderbare Weise erscheinenden Futters. Manchmal streiften sie sich beinahe in dem scheinbaren Durcheinander, hinter dem aber eine feste Ordnung stand. Auf dem Rückweg sah Ellie einen in seiner einfachen Gestalt vollendeten Palmwedel am Rand des Strandes liegen. Sie hob ihn auf und wischte vorsichtig den Sand ab. Hadden hatte Ellie zu einem Besuch in seinem Heim weit weg von seiner irdischen Heimat eingeladen, auf sein Schloß im All. Er hatte es Methusalem getauft. Sie durfte mit niemandem außerhalb der Regierungskreise darüber sprechen, weil Hadden auf keinen Fall ins Licht der Öffentlichkeit geraten wollte. Tatsächlich war es bis jetzt noch nicht durchgedrungen, daß er seinen Wohnsitz in den Orbit verlegt hatte. All diejenigen von der Regierung, die Ellie um Rat gefragt hatte, hatten ihr zugeraten. Der Heer hatte gesagt: „Ein Tapetenwechsel tut dir gut.“ Die Präsidentin hatte sich auch eindeutig für den Besuch ausgesprochen. Außerdem war ganz plötzlich ein Platz in der nächsten Raumfähre frei geworden, der völlig veralteten STS Intrepid. Unter normalen Umständen bediente man sich bei der Überfahrt zu einem Altersheim im Orbit der Linientransportmittel. Ein viel größeres, nicht wiederverwendbares Raumfahrzeug wartete noch auf seine endgültige Zulassung. Noch immer stellte die veraltete Raumflotte den Fuhrpark für die militärischen wie zivilen Weltraumunternehmungen der US-Regierung. „Wir verlieren auf dem Hinflug Dutzende von Isolierplatten. Die kleben wir dann einfach vor dem nächsten Start wieder an“, erklärte ihr einer der Weltraumpiloten. Für den Flug mußte man nur bei guter Gesundheit sein, sonst nichts. Gewöhnlich flogen die Linienfähren voll belegt hoch und kehrten leer zurück. Die Shuttleflüge der Regierung dagegen waren auf dem Hin- und Rückweg überfüllt. Auf ihrem Rückflug zur Erde in der vergangenen Woche hatte die Intrepid an der Methusalem angelegt, um zwei Passagiere mit zur Erde zurückzunehmen. Ellie kannte sie dem Namen nach. Der eine entwarf Antriebssysteme, und der andere war Kryobiologe. Ellie fragte sich, was sie auf der Methusalem zu schaffen hatten.