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Deshalb glaube ich, daß wir kein Experiment sind. Vielleicht gibt es ja eine Menge Versuchsplaneten im Universum, Planeten, auf denen Götterlehrlinge ihr Können erproben. Schade, daß Rankin und Joss nicht auf solch einem Planeten geboren wurden. Aber auf diesem Planeten“ — und wieder deutete er Richtung Fenster — „gibt es keine Mikrointervention. Die Götter kommen nicht vorbeigerauscht, um die Dinge zu reparieren, die wir verpfuscht haben. Schaut man sich unsere Geschichte an, dann wird eindeutig klar, daß wir auf uns allein gestellt sind.“

„Bis jetzt“, sagte Ellie. „Aber glauben Sie an einen Deus ex machina? Glauben Sie, daß die Götter jetzt Erbarmen mit uns gehabt und uns deshalb die Maschine geschickt haben?“

„Wenn schon, dann an eine Machina ex deo, oder wie das lateinisch heißt. Nein, nein, ich glaube nicht, daß wir ein Experiment sind. Ich denke viel mehr, daß wir der Vergleichsplanet sind. Ein Planet, an dem bisher niemand interessiert war. Ein Ort, auf dem keiner interveniert hat. Eine planetarische Meßeinheit, die ins Kraut geschossen ist. Genau das passiert, wenn niemand interveniert. Die Erde ist ein Studienobjekt für die Götterlehrlinge. ‚Wenn ihr etwas wirklich vermasselte, wird ihnen gesagt, ‚dann kommt so etwas wie die Erde dabei heraus. ’ Aber natürlich wäre es Verschwendung, einen ganz brauchbaren Planeten zu zerstören. Deshalb schauen sie von Zeit zu Zeit bei uns vorbei, nur zur Vorsicht. Vielleicht bringen sie jedes Mal die Götter mit, die Mist gebaut haben. Bei ihrem letzten Besuch sind wir noch übermütig durch die Savannen gerannt und haben versucht, dabei schneller zu sein als die Antilopen. ‚Okay, das ist prima’, sagen die Götter. ‚Die werden uns keinen Ärger machen. Wir schauen in zehn Millionen Jahren wieder vorbei. Aber zur Sicherheit überwachen wir sie besser per Funk.“

Dann kam eines Tages ein Alarmzeichen. Eine Botschaft von der Erde. ‚Was? Die haben schon Fernsehen! Mal sehen, auf was sie abfahren.“ Fahnen. Ein Raubvogel. Adolf Hitler. Tausende jubelnder Menschen. ‚O je!’ rufen die Götter. Sie kennen die Warnsignale. Blitzschnell befehlen sie uns: ‚Hört bloß mit dem Quatsch auf, Leute. Ihr habt doch einen ganz brauchbaren Planeten. Baut lieber diese Maschinen’. Sie machen sich Sorgen um uns. Sie sehen, daß es mit uns bergab geht. Sie glauben, daß wir uns beeilen sollten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Und das denke ich auch. Wir müssen die Maschine bauen.“

Ellie wußte genau, was Drumlin zu dieser Argumentation gesagt hätte. Und obwohl vieles von dem, was Hadden gerade gesagt hatte, auf ihrer Wellenlänge lag, hatte auch sie diese betörenden, optimistischen Spekulationen über die Absichten der Wegianer satt. Sie wollte, daß das Projekt weitergeführt und die Maschine fertiggestellt und in Betrieb genommen wurde und daß das neue Zeitalter der Menschheitsgeschichte anbrach. Ellie mißtraute noch immer ihren eigenen Motiven. Sie hielt sich sogar dann zurück, wenn in einer Diskussion ihr Name als der eines möglichen Mitglieds der Besatzung der Maschine fiel. So kam ihr die Verzögerung sehr zugute. Sie gewann Zeit, um mit ihren Problemen fertigzuwerden.

„Yamagishi wird mit uns zu Abend speisen. Er wird Ihnen gefallen. Aber wir machen uns etwas Sorgen um ihn. Er hält seine Sauerstoffversorgung nachts extrem niedrig.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Nun, je geringer der Sauerstoffgehalt der Luft ist, desto länger lebt man. Zumindest behaupten unsere Ärzte das. Deshalb kann hier jeder in seiner Wohnung den Sauerstoffgehalt der Luft nach Wunsch regulieren. Tagsüber können Sie kaum unter zwanzig Prozent kommen, sonst sind Sie ziemlich benebelt. Und es beeinträchtigt die Hirnfunktionen. Aber nachts, wenn man sowieso schläft, kann man den Sauerstoff ziemlich weit herunterdrehen. Obwohl es nicht ungefährlich ist. Man kann es auch übertreiben. Yamagishi ist jetzt bei vierzehn Prozent angekommen. Er will ewig leben. Als Folge davon ist er erst beim Mittagessen wieder klar im Kopf.“

„Ich war mein Leben lang auch bei zwanzig Prozent nicht klar im Kopf“, erwiderte Ellie lachend. „Jetzt experimentiert er mit nootropischen Drogen, um die Benebelung zu verhindern. Wie Piracetam, wissen Sie. Sie steigern auf jeden Fall das Erinnerungsvermögen. Ob Sie einen auch gescheiter machen, weiß ich nicht, obwohl man das behauptet. Deshalb nimmt Yamagishi furchtbar viele solcher Drogen und atmet nachts zu wenig Sauerstoff.“

„Sie meinen, er ist nicht ganz normal?“

„Normal? Das ist schwer zu sagen. Ich kenne nur wenige zweiundneunzigjährige hochkarätige Kriegsverbrecher.“

„Deshalb braucht man auch für jedes Experiment einen Maßstab, mit dem man die Ergebnisse vergleichen kann“, sagte Ellie. Hadden lächelte.

Trotz seines hohen Alters hatte Yamagishi noch immer die aufrechte Haltung, die er sich während seines langjährigen Dienstes bei der kaiserlichen Armee erworben hatte. Er war klein und hatte eine Glatze. Dazu einen auffallend weißen Schnurrbart, und auf seinem Gesicht lag ein scheinbar erstarrtes Lächeln.

„Ich bin hier wegen meiner Hüften“, erklärte er. „Ich weiß, daß viele wegen Krebs oder auf der Suche nach dem ewigen Leben hierher kommen. Aber ich bin wegen meiner Hüften hier. In meinem Alter brechen die Knochen sehr leicht. Baron Tsukuma starb an den Folgen eines Sturzes von seinem Futon auf seine Tatami. Er fiel nur einen halben Meter. Einen halben Meter, stellen Sie sich das vor. Und er brach sich die Knochen. In der Schwerelosigkeit brechen Hüften nicht.“ Das klang einleuchtend.

Trotz einiger gastronomischer Einschränkungen ging das Abendessen mit erstaunlicher Eleganz vor sich. Man hatte bestimmte Techniken entwickelt, die das Essen in der Schwerelosigkeit ermöglichten. Das Vorlegebesteck hatte klappbare Sperren und die Weingläser Deckel und Strohhalme. Nüsse und Cornflakes waren verboten. Yamagishi drängte Ellie den Kaviar regelrecht auf. Das sei eine der wenigen Speisen, erklärte er ihr, bei der die Einkaufskosten auf der Erde teurer waren als die Frachtkosten ins All. Daß einzelne Kaviareier zusammenhielten, war ein Glücksfall, dachte Ellie. Sie stellte sich vor, wie Tausende einzelner Eier im freien Fall die Gänge dieses erdumkreisenden Ruhesitzes verdunkeln würden. Plötzlich schoß ihr durch den Kopf, daß ihre Mutter ebenfalls in einem Altenheim lebte, aber natürlich in einem um Grade bescheideneren. Wenn sie sich an den Großen Seen orientierte, konnte sie jetzt von diesem Fenster aus auf den Ort deuten, wo ihre Mutter wohnte. Sie hatte Zeit, zwei Tage hier oben im Orbit mit dekadenten Milliardären zu verbringen, aber eine Viertelstunde für einen Telephonanruf bei ihrer Mutter hatte sie nicht erübrigen können. Sie nahm sich ganz fest vor, sofort nach der Landung in Cocoa Beach bei ihr anzurufen. Ein Anruf aus dem Orbit wäre für die Senioren des Altenheims in Janesville, Wisconsin, sicher zuviel auf einmal gewesen. Yamagishi unterbrach ihre Gedanken, um ihr mitzuteilen, daß er der älteste Mensch sei, der je im Weltraum gelebt hatte. Sogar der frühere chinesische stellvertretende Ministerpräsident war jünger. Er zog sein Jackett aus, krempelte den rechten Ärmel hoch, spannte seinen Bizeps und forderte Ellie auf, seine Muskeln zu fühlen. Dann erzählte er ihr ausführlich und lebendig von den guten Werken, an denen er maßgeblich beteiligt gewesen war. Ellie versuchte höflich, Konversation zu machen: „Es ist sehr gemütlich und ruhig hier oben. Sie genießen Ihren Ruhestand sicher sehr.“

Sie hatte diese verbindliche Bemerkung an Yamagishi gerichtet, aber Hadden antwortete ihr. „Es ist nicht immer so ruhig. Hin und wieder kommt es zu einer Krise, und dann müssen wir schnell in Aktion treten.“