„Sonnenwind, zum Beipiel. Der ist ganz übel. Macht einen steril“, warf Yamagishi ein.
„Jawohl. Wenn ein stärkerer Sonnenwind von unserem Teleskop registriert wird, dann haben wir noch drei Tage Zeit, bevor die geladenen Teilchen auf das Schloß treffen. Deshalb müssen Dauerbewohner wie Yamagishi-san und ich in den Sturmbunker. Der ist spartanisch und eng. Aber er hat ausreichend starke Schutzschilder gegen die Strahlung. Natürlich gibt es noch eine gewisse Sekundärstrahlung. Aber das Problem ist, daß alle Leute, die nur vorübergehend hier wohnen oder zu Besuch sind, innerhalb dieser drei Tage abreisen müssen. Solch ein Notfall kann die Linientransportgesellschaften auf eine harte Probe stellen. Manchmal müssen wir die NASA oder die Sowjets bitten, einzuspringen. Sie können sich nicht vorstellen, wen man hier alles bei so einem Sonnenwindalarm aufschreckt — Mafiabosse, Chefs von Nachrichtendiensten, schöne Männer und Frauen.“
„Ich kann einfach das Gefühl nicht loswerden, daß Sex zu den beliebtesten Importartikeln von der Erde gehört. Ist das richtig?“ fragte Ellie etwas widerstrebend. „O ja, das stimmt. Dafür gibt es viele Gründe. Die Kundschaft, die Lage. Aber der Hauptgrund ist die Schwerelosigkeit. In der Schwerelosigkeit kann man noch mit achtzig Sachen machen, die man nicht einmal mit zwanzig für möglich gehalten hätte. Sie sollten mal einen Urlaub hier oben verbringen — mit Ihrem Freund. Sie sind hiermit herzlich eingeladen.“
„Mit neunzig“, sagte Yamagishi. „Wie bitte?“
„Man kann mit neunzig Jahren Sachen machen, von denen man mit zwanzig nicht geträumt hätte, pflegt Yamagishi-san zu sagen. Darum ist hier der Andrang auch so groß.“ Hadden nahm einen Schluck Kaffee und kehrte zum Thema Maschine zurück.
„Yamagishi-san, ich und noch einige weitere Leute sind Geschäftspartner. Er ist der Ehrenpräsident im Aufsichtsrat des Yamagishi-Konzerns. Wie Sie sicher wissen, ist dieser Konzern der Hauptvertragspartner für die Bauelementetests, die auf Hokkaido durchgeführt werden. Vergegenwärtigen Sie sich jetzt bitte unser Problem. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir haben drei große Kugelschalen, die ineinander gefügt sind. Sie sind aus einer Niobiumlegierung hergestellt. Merkwürdige Muster sind in sie eingeritzt, und sie sollen sich offenbar in einem Vakuum um Achsen drehen, die jeweils im rechten Winkel zueinander stehen. Die Schalen heißen Benzel. Das wissen Sie natürlich alles. Was passiert, wenn Sie ein maßstabgetreues Modell der drei Benzel bauen und sie sehr schnell drehen? Was passiert? Alle klugen Physiker glauben, daß nichts passiert. Aber natürlich hat keiner den Versuch durchgeführt. Genau diesen Versuch. Deshalb kann es auch keiner wirklich wissen. Nehmen wir einmal an, es geschieht etwas, wenn die Maschine aktiviert wird. Hängt es von der Geschwindigkeit der Umdrehungen ab? Hängt es mit dem Aufbau der Benzel zusammen? Oder den darin eingeschnittenen Mustern? Ist es eine Frage der Größe? Aus diesem Grund sind wir dabei, die Benzel nachzubauen und auszuprobieren — sowohl bei maßstabgetreuen Kleinmodellen als auch bei Nachbildungen in Originalgröße. Wir wollen unsere Ausführungen der Benzel drehen lassen und sie später dann mit den anderen Bauteilen der beiden Maschinen zusammenmontieren. Angenommen, es passiert nichts. Dann bauen wir eines nach dem anderen die weiteren Bauelemente ein. Wir schließen sie alle an, eine kleine Systemintegration in jedem Montageabschnitt. Und dann auf einmal, wenn wir gerade einen Baustein anschließen, der gar nicht mal der letzte zu sein braucht, tut die Maschine vielleicht etwas, womit wir überhaupt nicht gerechnet haben. Wir versuchen also herauszufinden, wie die Maschine funktioniert. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?“
„Wollen Sie damit sagen, daß Sie in Japan eine identische Kopie der Maschine zusammenbauen?“
„Es ist ja nicht wirklich ein Geheimnis. Wir haben nur die einzelnen Bausteine analysiert. Keiner hat gesagt, daß wir immer nur einen auf einmal testen sollten. Yamagishi-san und ich schlagen also folgendes vor: Wir ändern den Zeitplan für die Experimente auf Hokkaido. Wir montieren die Maschine jetzt sofort zusammen. Und wenn alles gutgeht, dann verschieben wir die Einzelanalyse der Bauelemente auf später. Das Geld steht jedenfalls zur Verfügung. Es wird Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis die Amerikaner wieder soweit sind, wie sie waren. Und wir glauben nicht, daß die Russen bis dahin überhaupt fertig werden. Japan ist die einzige Alternative. Man muß es ja nicht groß an die Glocke hängen. Und man braucht auch nicht zu entscheiden, ob man die Maschine gleich aktivieren will. Wir testen nur die Komponenten.“
„Können Sie beide so eine Entscheidung allein treffen?“
„Selbstverständlich, das liegt durchaus in unserer Kompetenz. Wir brauchen ungefähr sechs Monate, um das Stadium zu erreichen, in dem sich die Konstruktion der Maschine in Wyoming befand. Wir müssen selbstverständlich noch mehr Sicherheitsmaßnahmen gegen Sabotage ergreifen. Aber wenn die Bauteile in Ordnung sind, dann wird auch die Maschine in Ordnung sein, meine ich. Außerdem ist Hokkaido von außen nicht ganz leicht zu erreichen. Wenn dann alles überprüft und startbereit ist, können wir das Weltkonsortium fragen, ob sie dieser Maschine eine Chance geben wollen. Wenn die Besatzung damit einverstanden ist, dann garantiere ich Ihnen, daß das Konsortium mitzieht. Oder was glauben Sie, Yamagishi-san?“
Yamagishi hatte die Frage nicht gehört. Er summte leise das Lied vom „Freien Fall“ vor sich hin. Das war ein bekannter Schlager über die Freuden des Orbit. An die letzte Strophe könne er sich nur unvollständig erinnern, erklärte er, als Hadden die Frage wiederholte.
Hadden fuhr in aller Ruhe fort: „Einige Bauteile werden also schon einmal gedreht worden sein, oder jemand hat sie fallen lassen oder sonst etwas. Aber auf jeden Fall müssen sie die vorgeschriebenen Tests bestehen. Ich nehme nicht an, daß Sie das abschreckt. Sie persönlich, meine ich.“
„Mich persönlich? Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich mit dabei sein werde? Erstens hat mich bisher noch niemand gefragt, und dann gibt es da noch eine ganze Reihe anderer Faktoren.“
„Aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, daß das Auswahlkomittee auf Sie zukommen wird. Und die Präsidentin wird zustimmen. Ganz begeistert sogar. Na, hören Sie mal“, sagte er mit einem Grinsen, „Sie wollen doch nicht Ihr ganzes Leben in der hintersten Provinz verbringen, oder?“ Über Skandinavien und der Nordsee hingen Wolken. Und den Ärmelkanal bedeckte ein feiner, fast durchsichtiger Nebelschleier.
„Ja, Sie fliegen“, sagte Yamagishi. Er war aufgestanden und hatte seine Hände steif an die Schenkel gelegt. Er verbeugte sich tief vor ihr.
„Im Namen meiner zweiundzwanzig Millionen Angestellten möchte ich Ihnen sagen, daß es mich gefreut hat, Sie kennenzulernen.“
Ellie wälzte sich in der kleinen Kabine, die man ihr zugewiesen hatte, unruhig im Schlaf. Die Kabine war an zwei Wänden festgemacht, damit sie in der Schwerelosigkeit nicht mit anderen Gegenständen zusammenstieß. Ellie wachte auf, als die anderen noch alle zu schlafen schienen. Sie hangelte sich von Haltegriff zu Haltegriff, bis sie vor dem riesigen Fenster stand. Das Schloß befand sich über der Nachtseite der Erde, die, bis auf ein Meer aus künstlichem Licht, in Finsternis gehüllt war. Als zwanzig Minuten später die Sonne aufgegangen war, hatte Ellie entschieden, daß sie, wenn man sie fragen sollte, mit Ja antworten würde. Unbemerkt war Hadden hinter sie getreten, sie zuckte zusammen.
„Es sieht wirklich großartig aus. Ich bin schon seit Jahren hier oben und finde die Aussicht immer noch großartig. Stört es Sie auch nicht, daß Sie sich in einem Raumschiff befinden? Wissen Sie, es gibt eine Erfahrung, die noch kein Mensch je gemacht hat. Stellen Sie sich vor, Sie stecken in einem Raumanzug. Es gibt weder ein Halteseil noch eine Raumfähre. Vielleicht liegt die Sonne gerade hinter Ihnen und Sie schwimmen in einem Meer aus Sternen. Vielleicht befindet sich die Erde oder ein anderer Planet gerade unter Ihnen. Saturn, von mir aus. Und Sie schweben durch das All, als wären Sie wirklich eins mit dem Kosmos. Die heutigen Raumanzüge sind so angenehm zu tragen, man kann Stunden darin im All verbringen. Das Raumschiff, dem Sie entstiegen sind, ist schon weit weg. Vielleicht trifft es in einer Stunde wieder mit Ihnen zusammen. Vielleicht auch nicht. Das Beste wäre, die Fähre käme gar nicht mehr zurück. Sie verbringen Ihre letzten Stunden in der Weite des Alls, umgeben von Sternen und anderen Welten. Wenn Sie eine unheilbare Krankheit hätten oder sich einfach zum Schluß noch einmal etwas Gutes tun wollen, was könnte das übertreffen?“