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„Das ist doch nicht Ihr Ernst? Sie wollen dieses. Programm vermarkten?“

„Nun, für den Markt ist es noch zu früh. Vielleicht ist das auch nicht die richtige Vorgehensweise. Sagen wir so: Ich spiele erst mit dem Gedanken, ob man so etwas verwirklichen könnte.“

Ellie beschloß, Hadden nichts von ihrem Entschluß zu erzählen. Und er fragte sie auch nicht danach. Später, als die Narnia bereits an der Methusalem angelegt hatte, nahm Hadden sie beiseite.

„Sie haben doch gehört, daß Yamagishi der Älteste hier oben ist. Wenn man nur die Dauergäste zählt — nicht die Besatzung, Astronauten und kleinen Tänzerinnen —, dann bin ich der Jüngste. Vielleicht bin ich voreingenommen, aber es gibt im Ernst die medizinische Möglichkeit, daß die Schwerelosigkeit mich noch Jahrhunderte am Leben erhält. Sie müssen wissen, ich arbeite an einem Experiment, daß sich mit der Unsterblichkeit befaßt.

Ich habe das nicht gesagt, um damit anzugeben. Ich habe es aus ganz praktischen Gründen angesprochen. Wenn bereits wir Mittel und Wege finden, unsere Lebensdauer zu verlängern, stellen Sie sich einmal vor, zu was dann die Wesen auf der Wega in der Lage sind. Sie sind wahrscheinlich unsterblich, oder kurz davor. Ich bin ein praktischer Mensch und habe mir schon viele Gedanken über die Unsterblichkeit gemacht. Ich habe sicher schon länger und ernsthafter darüber nachgedacht als alle anderen Menschen. Und eines kann ich Ihnen versichern: Die Unsterblichen sind sehr vorsichtig. Sie überlassen nichts dem Zufall. Es hat sie zuviel Kraft gekostet, unsterblich zu werden. Ich weiß nicht, wie sie aussehen oder was sie von uns wollen. Aber wenn Sie sie je zu Gesicht bekommen sollten, dann kann ich Ihnen nur das eine sagen: Etwas, was Sie für eine todsichere Sache halten, ist für die Unsterblichen ein untragbares Risiko. Wenn es je zu Verhandlungen mit denen da oben kommt, denken Sie an meine Worte.“

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Der Traum der Ameisen

Menschen Wort ist wie eine gesprungene Pauke, auf der wir eine Melodie heraustrommeln, nach der kaum ein Bär tanzt, während wir die Sterne bewegen möchten.

Gustave Flaubert
Madame Bovary (1857)

Die Vorstellungen der großen Masse sind von größter Inkonsequenz, weil sie die Wahrheit nicht kennen. Die Götter existieren, weil die Natur selbst in den Seelen aller Menschen den Begriff davon eingeprägt hat.

Cicero
Vom Wesen der Götter, I, 43

Ellie packte gerade ihre Notizen, die Magnetbänder und den Palmwedel für die Verfrachtung nach Japan zusammen, als sie die Nachricht erhielt, daß ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte. Kurz darauf überbrachte ihr der Eilbote des Projekts einen Brief. Er war von John Staughton. Er begann ohne große Vorreden:

Deine Mutter und ich haben oft über Deine Unzulänglichkeiten und Schwächen gesprochen. Das waren immer sehr schwierige Gespräche. Wenn ich Dich verteidigte (und das kam, auch wenn Du es Dir nicht vorstellen kannst, häufig vor), warf sie mir vor, ich sei Pudding in Deinen Händen. Und wenn ich an Dir herumnörgelte, dann sagte sie zu mir, ich solle mich, um meinen eigenen Kram kümmern. Aber ich will, daß Du weißt, wie sehr sie darunter gelitten hat und wie weh es ihr getan hat, daß Du sie in den letzten Jahren, seit dieses Wega-Projekt läuft, nie besucht hast. Sie hat ihren Freundinnen in diesem schrecklichen Pflegeheim, in das sie unbedingt wollte, immer wieder erzählt, daß Du sie bald besuchen würdest. Jahrelang hat sie zu ihnen gesagt: „Bald kommt sie.“ Sie malte sich genau aus, wie sie ihre berühmte Tochter herumzeigen würde und in welcher Reihenfolge sie Dich ihrem Club von Altersschwachen vorstellen würde.

Du willst davon vielleicht nichts hören, und es bekümmert mich selbst sehr, es Dir sagen zu müssen. Aber ich tue es um Deinetwillen. Dein Verhalten hat ihr mehr als alles andere in ihrem Leben weh getan, mehr sogar als der Tod Deines Vaters. Du bist jetzt vielleicht eine Berühmtheit, Dein Bild ist in den Zeitungen der ganzen Welt zu sehen, Du sitzt mit Politkern an einem Tisch und so weiter, aber als Mensch hast Du seit der High School nichts dazugelernt.

Ellies Augen füllten sich mit Tränen, und sie zerknüllte Brief und Umschlag. Dabei fiel ein steifes Stück Papier heraus, ein Hologramm, das mit Hilfe eines Computerextrapolationsverfahrens von einem alten zweidimensionalen Photo gemacht worden war. Man hatte das Gefühl, um die Ecke sehen zu können. Das Photo hatte sie noch nie gesehen. Ihre Mutter lächelte ihr als junge, hübsche Frau aus dem Bild entgegen. Sie hatte den Arm locker um die Schultern von Ellies Vaters gelegt, der stolz seinen einen Tag alten Bart zur Schau stellte. Beide strahlten vor Glück. Quälend, unter Schuldgefühlen, Selbstmitleid und Wut auf Staughton wurde Ellie die traurige Tatsache bewußt, daß sie keinen der beiden Menschen auf dem Bild je wiedersehen würde.

Ihre Mutter lag unbeweglich im Bett. Ihr Gesicht war merkwürdig ausdruckslos, es zeigte weder Freude noch Schmerz, sondern nur. Warten. Hin und wieder zuckten die Lider, aber das war die einzige Bewegung. Ob sie Ellie hörte oder verstand, was Ellie ihr zuflüsterte, war aus ihrem Gesicht nicht abzulesen. Ellie dachte nach, wie unter diesen Umständen Kommunikation zustande kommen könnte. Ohne zu wollen, überfiel sie der Gedanke: Ein Lidschlag für ja, zwei für nein. Oder man konnte ein EEG-Meßgerät anschließen, dessen Bildschirm ihre Mutter sehen konnte, damit sie lernte, ihre Beta-Wellen zu modulieren. Aber hier ging es um ihre Mutter und nicht um Alpha Lyrae. Nicht Entschlüsselungsalgorithmen waren verlangt, sondern Gefühle. Sie hielt die Hand ihrer Mutter und redete stundenlang. Sie redete drauflos über ihren Vater, ihre Mutter und ihre Kindheit. Sie erinnerte sich, wie sie sich als kleines Kind zwischen den frisch gewaschenen Bettüchern versteckt hatte und wie sie einmal fast in den Himmel gefallen war. Sie sprach über John Staughton. Sie entschuldigte sich für vieles. Dann weinte sie ein wenig.

Die Haare ihrer Mutter hingen wirr durcheinander. Ellie suchte eine Haarbürste und kämmte sie. Sie blickte tief in die zerfurchten Gesichtszüge ihrer Mutter und erkannte sich selbst darin. Die tiefliegenden, wäßrigen Augen ihrer Mutter starrten ins Leere, nur dann und wann kam ein Blinzeln aus weiter Ferne.

„Ich habe nicht vergessen, wo ich herkomme“, sagte Ellie leise.

Fast unmerklich bewegte ihre Mutter den Kopf von der einen auf die andere Seite, als ob sie all den Jahren nachtrauerte, in denen sie sich voneinander entfremdet hatten. Ellie drückte ihr vorsichtig die Hand. Und sie hatte das Gefühl, ihre Mutter hatte sie verstanden.

Es bestünde kein Anlaß zur Sorge, hatte man Ellie gesagt. Falls sich ihr Zustand änderte, würde man sie sofort in ihrem Büro in Wyoming anrufen. Schon in wenigen Tagen würde ihre Mutter aus dem Krankenhaus in das Pflegeheim zurückkehren können, wo sie, wie man Ellie versicherte, gut versorgt würde.

Staughton wirkte niedergedrückt. Ellie hätte so tiefe Gefühle für ihre Mutter nie in ihm vermutet. Sie würde oft anrufen, versprach sie ihm.

In der nüchternen, marmornen Eingangshalle stand, vielleicht nicht ganz passend, eine echte Statue, kein Hologramm, einer nackten Frau im Stile des Praxiteles. Sie fuhren in einem OtisHitachi-Aufzug nach oben. Ellie wurde durch einen riesigen Saal geführt, in dem viele Angestellte an Übersetzungscomputern arbeiteten. Ein Wort, das man in Hiragana, dem aus einundfünfzig Buchstaben bestehenden japanischen phonetischen Alphabet, eingetippt hatte, erschien auf dem Bildschirm in dem entsprechenden chinesischen Ideogramm des Kanji. In den Computern waren Hunderttausende solcher Ideogramme oder Schriftzeichen eingespeichert, obwohl man im allgemeinen nur drei- bis viertausend brauchte, um eine Zeitung zu lesen. Da im Kanji viele Schriftzeichen mit völlig verschiedenen Bedeutungen durch dasselbe gesprochene Wort ausgedrückt wurden, spuckte der Computer alle möglichen Übersetzungen in der Reihenfolge der Wahrscheinlichkeit aus. Der Computer hatte zusätzlich ein Unterprogramm, das die in Frage kommenden Schriftzeichen entsprechend der Einschätzung der gewünschten Bedeutung auflistete. Die Vorschläge waren so gut wie immer richtig. In einer Sprache, die bis vor kurzem noch nicht einmal eine Schreibmaschine kannte, setzte der Übersetzungscomputer eine Revolution der Kommunikationsstrukturen in Gang, die bei den Traditionalisten nicht nur auf Zustimmung stieß.