In Ellies zweitem Jahr am Institut kehrte Peter Valerian, der ein Forschungsjahr im Ausland verbracht hatte, auf den Campus zurück. Er war ein stiller, dabei wenig attraktiver Mann. Niemand hielt ihn für besonders brillant, und er selbst hätte das auch nie von sich behauptet. Dennoch hatte er in der Radioastronomie immer wieder bedeutende Erfolge zu verbuchen gehabt. Den Grund dafür sah er, wenn man ihn darauf festnagelte, darin, daß er „nie locker ließ“. In seiner wissenschaftlichen Karriere gab es einen leicht anrüchigen Punkt: Er war fasziniert von der möglichen Existenz extraterrestrischer Intelligenzen. Jedem Fakultätsmitglied wurde anscheinend sein Spleen zugestanden: Drumlin hatte das Drachenfliegen, Valerian sein Leben auf anderen Planeten, andere hatten ihre Bars mit oben ohne, fleischfressende Pflanzen und transzendentale Meditation. Valerian hatte über extraterrestrische Intelligenzen, abgekürzt ETI, schon länger und mit größerer Anstrengung und Sorgfalt als sonst irgend jemand nachgedacht, je besser Ellie ihn kennenlernte, desto deutlicher sah sie die Faszination und die romantischen Vorstellungen, die ETI in ihm weckten — und die in so krassem Gegensatz zu seinem äußerlich ereignislosen Leben standen. Das Nachdenken über extraterrestrische Intelligenzen war keine Arbeit für ihn, sondern Spiel. Seine Phantasie schwang sich dabei zu wahren Höhenflügen auf. Ellie hörte ihm begeistert zu. Es war, als beträte man ein verzaubertes Land mit Städten aus Edelsteinen. Nein, es war noch viel besser, weil am Ende all seiner Überlegungen immer der Gedanke stand, daß vielleicht doch alles wahr war und sich wirklich ereignete. Eines Tages, überlegte sie gedankenverloren,
erreicht uns vielleicht tatsächlich und nicht nur in der Phantasie eine Botschaft über eines dieser riesigen Radioteleskope. Auf der anderen Seite allerdings waren Valeriens Gedankengänge doch nicht so schön wie ein verzaubertes Land, denn wie auch Drumlin auf seinen Gebieten betonte er immer wieder, daß Spekulationen mit nüchterner physikalischer Realität konfrontiert werden müssen. Die Realität war eine Art Sieb, das die wenigen brauchbaren Spekulationen von dem massenweise produzierten Unsinn schied. Die extraterrestrischen Wesen und ihre Technologien mußten sich streng in die Naturgesetze fügen, eine Tatsache, die den Zauber vieler Spekulationen empfindlich störte. Aber was in dem Sieb hängenblieb und der kritischsten physikalischen und astronomischen Analyse standhielt, das war vielleicht wahr. Sicher konnte man natürlich nie sein. Es gab bestimmt noch Möglichkeiten, an die man nicht gedacht hatte und die vielleicht eines Tages klügere Leute als man selbst herausfinden würden.
Valerian wies immer wieder darauf hin, daß die Menschen Gefangene ihrer Zeit, ihrer Kultur und ihrer biologischen Beschaffenheit seien, und wie begrenzt dementsprechend ihre Möglichkeiten seien, sich grundsätzlich andersartige Lebewesen und Zivilisationen vorzustellen. Solches Leben, das sich gesondert auf anderen Planeten entwickelt hätte, mußte dann ja völlig verschieden vom Leben auf der Erde sein. Möglicherweise gab es Lebewesen, die viel weiter entwickelt waren als wir und über unvorstellbare Technologien verfügten — davon mußte man fast sicher ausgehen — und die vielleicht sogar neue physikalische Gesetze kannten. Während sie an einer Reihe mit Stuck verzierter Bögen entlangspazierten, die an ein Gemälde De Chiricos erinnerten, erklärte Valerian, daß es hoffnungslos engstirnig sei zu glauben, alle bedeutenden physikalischen Gesetze seien bereits zu dem Zeitpunkt entdeckt gewesen, als unsere Generation anfing, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen. Es werde ebenso eine Physik des 21. Jahrhunderts, des 22. Jahrhunderts und sogar eine des 4. Jahrtausends geben. Vielleicht waren wir lächerlich weit entfernt davon, auch nur zu erahnen, wie die Kommunikation einer ganz anders gearteten technischen Zivilisation aussah.
Aber, beruhigte er sich dann immer selbst, extraterrestrische Wesen müßten eigentlich wissen, wie rückständig wir sind. Wenn wir etwas fortgeschrittener wären, dann wüßten sie bereits über uns Bescheid. Aber wir fangen gerade erst an, auf zwei Beinen zu stehen, haben letzten Mittwoch das Feuer entdeckt und sind erst gestern über die Newtonsche Mechanik, die Maxwellschen Gleichungen, Radioteleskope und Hinweise auf eine Weltformel der Physik gestolpert. Valerian war davon überzeugt, daß sie es uns nicht schwermachen würden. Sie würden versuchen, es einfach für uns zu machen, denn wenn sie mit Dummköpfen in Verbindung treten wollten, dann mußten sie diesen eben Zugeständnisse machen. Darum sah Valerian auch eine Chance auf Erfolg, sollte je eine Botschaft kommen. Sein Mangel an Brillanz war in Wirklichkeit seine Stärke. Er wußte, davon war er überzeugt, was Dummköpfe wußten.
Als Thema für ihre Doktorarbeit setzte Ellie sich im Einverständnis mit der Fakultät die Aufgabe, an einer Verbesserung der empfindlichen Empfänger, die bei Radioteleskopen verwendet wurden, zu arbeiten. Dabei konnte sie ihre Kenntnisse in der Elektronik einsetzen, außerdem war sie so den vorwiegend auf theoretischem Gebiet arbeitenden Drumlin los und konnte ihre Diskussionen mit Valerian fortsetzen, jedoch ohne den ihre späteren Berufschancen gefährdenden Schritt zu tun, bei ihm über extraterrestrische Intelligenz zu arbeiten. Das war ein zu spekulatives Gebiet für eine Dissertation. Ihr Stiefvater hatte ihre verschiedenen Unternehmungen bisher als unrealistisch und zu ehrgeizig, gelegentlich auch völlig langweilig abqualifiziert. Als er über Dritte von dem Thema ihrer Doktorarbeit hörte — Ellie sprach jetzt überhaupt nicht mehr mit ihm — tat er es als belanglos ab.
Ellie arbeitete mit einem Rubinmaser. Ein Rubin besteht hauptsächlich aus fast völlig durchsichtigem Aluminium. Die rote Farbe rührt von einer Verunreinigung durch Chrom her, das dem Alumimumkristall eingelagert ist. Wenn man auf den Rubin ein starkes Magnetfeld aufprägt, dann absorbieren die Chromatome mehr Energie oder, wie die Physiker sagen, sie geraten in einen angeregten Zustand. Ellie liebte die Vorstellung von all den kleinen Atomen, die in jedem Verstärker zu fieberhafter Tätigkeit aufgerufen wurden und damit dem guten und praktischen Zweck dienten, ein schwaches Radiosignal zu verstärken. Je stärker das Magnetfeld war, desto aufgeregter bewegten sich die Atome. Man konnte den Maser auf eine bestimmte Radiofrequenz einstellen. Ellie fand einen Weg, Rubine mit Lanthanidverunreinigungen zusätzlich zu den Chromatomen herzustellen, so daß der Maser auf einen noch kleineren Frequenzbereich abgestimmt werden und damit ein noch schwächeres Signal als die bisherigen Maser aufspüren konnte. Ellies Detektor mußte in flüssiges Helium getaucht werden. Dann montierte sie ihr neues Instrument an eines der Radioteleskope des Instituts in Owens Valley und entdeckte auf völlig neuen Frequenzen, was Astronomen die Drei-GradHintergrundstrahlung nennen — die Reststrahlung im Radiospektrum von der gewaltigen Explosion, mit der das Universum seinen Anfang nahm, vom Urknall.