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„Glauben die Buddhisten an Gott oder nicht?“ fragte Ellie, als sie unterwegs waren, um mit dem Klostervorstand zu Abend zu essen.

„Sie stehen auf dem Standpunkt“, erwiderte Waygay trocken, „daß ihr Gott so groß ist, daß er gar nicht existieren muß.“ Bei ihrer Fahrt durch die Landschaft unterhielten sie sich über Utsumi, den Vorstand des berühmtesten Klosters des Zen- Buddhismus in Japan. Vor einigen Jahren hatte er bei den Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der Zerstörung Hiroshimas eine Rede gehalten, die weltweit Aufmerksamkeit erregt hatte. Utsumi hatte gute Verbindungen zur Welt der Politik. In der regierenden Partei hatte er die Funktion eines geistlichen Beraters, aber die meiste Zeit verbrachte er mit Meditationsübungen in der Abgeschiedenheit des Klosters.

„Sein Vater ist ebenfalls Leiter eines buddhistischen Klosters gewesen“, bemerkte Devi Sukhavati. Ellie zog die Augenbrauen hoch.

„Schau nicht so erstaunt. Buddhistische Mönche durften heiraten wie die russisch-orthodoxen Geistlichen auch. Habe ich recht, Waygay?“

„Das war vor meiner Zeit“, erwiderte Waygay ein wenig ungehalten.

Das Restaurant lag in einem Bambushain und hieß Ungetsu — Verhangener Mond. Und tatsächlich war der Mond am frühen Abendhimmel verhangen. Ihre japanischen Gastgeber hatten es so eingerichtet, daß sie die einzigen Gäste waren. Ellie und ihre Begleiter zogen die Schuhe aus und betraten in Strümpfen ein kleines Speisezimmer, von dem aus man auf den Bambushain blicken konnte.

Der Kopf des Leiters des Klosters war kahlgeschoren, er trug ein Gewand in Schwarz und Silber. Er begrüßte sie in perfektem Englisch, und sein Chinesisch war, wie Xi Ellie später erzählte, auch ganz passabel. Die Umgebung war friedlich und die Unterhaltung heiter. Die Gänge der Mahlzeit waren kleine Kunstwerke, eßbare Juwelen. Ellie verstand jetzt, daß die Nouvelle Cuisine an die kulinarische Tradition Japans anknüpfte. Auch wenn es Sitte gewesen wäre, die Speisen mit verbundenen Augen zu sich zu nehmen, wäre sie zufrieden gewesen. Und wenn statt dessen die Delikatessen nur gebracht worden wären, um sie zu bewundern, und nicht zum Essen, wäre sie ebenfalls zufrieden gewesen. Sie zu betrachten und zu essen aber war der Himmel auf Erden. Ellie saß, an der Seite von Lunatscharski, dem Klostervorstand gegenüber. Die anderen fragten immer wieder nach den Namen der Leckerbissen. Zwischen dem Sushi und den Ginkgonüssen kam das Gespräch wie zufällig auf die Mission der Maschine.

„Warum sprechen wir miteinander?“ fragte der Klostervorsteher.

„Um Informationen auszutauschen“, erwiderte Lunatscharski, der mit den widerspenstigen Stäbchen sichtlich Mühe hatte.

„Aber warum wollen wir überhaupt Informationen austauschen?“

„Weil wir uns von Informationen ernähren. Informationen sind notwendig, um zu überleben. Ohne Informationen sterben wir.“

Lunatscharski war ganz versessen auf eine Ginkgonuß, die bei jedem Versuch, sie mit den Stäbchen zum Mund zu führen, abglitt. Er senkte den Kopf, um den Stäbchen auf halbem Weg entgegenzukommen.

„Ich glaube“, fuhr der oberste Mönch fort, „daß wir aus Mitleid und Liebe miteinander sprechen.“ Er langte mit den Fingern nach einer Ginkgonuß und steckte sie in den Mund. „Dann glauben Sie also“, fragte Ellie, „daß die Maschine ein Instrument des Mitleids ist? Daß sie keine Gefahr bedeutet?“

„Ich kann mit einer Blume sprechen“, entgegnete er anstelle einer Antwort. „Ich kann mit einem Stein sprechen. Sie werden keine Schwierigkeiten haben, diese Wesen — ist das das richtige Wort? — einer anderen Welt zu verstehen.“

„Ich bin sofort bereit, zu glauben, daß der Stein zu Ihnen spricht“, sagte Lunatscharski und kaute an seiner Ginkgonuß. Er war einfach dem Beispiel des Mönchs gefolgt. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie mit einem Stein sprechen. Wie können Sie uns davon überzeugen, daß Sie mit einem Stein sprechen können? Die Welt ist voller Irrtümer. Woher wissen Sie denn, daß Sie nicht einer Täuschung erliegen?“

„Aha, der skeptische Wissenschaftler spricht.“ Über das Gesicht des Buddhisten huschte ein Lächeln, das Ellie sehr einnehmend fand, ein unschuldiges, fast kindliches Lächeln. „Um mit einem Stein zu sprechen, darf man sich mit nichts anderem beschäftigen. Man darf nicht soviel nachdenken und nicht soviel reden. Wenn ich sage, ich spreche mit einem Stein, dann meine ich damit nicht Worte. Die Christen sagen: ‚Am Anfang war das Wort. ’ Aber ich spreche von einer viel früheren, viel elementareren Verständigung.“

„Das mit dem Wort steht nur im Johannes-Evangelium“, bemerkte Ellie. Sie kam sich selbst pedantisch vor, aber da war es ihr schon herausgerutscht. „In den früheren synoptischen Evangelien findet man nichts dazu. Das rührt sicher von der griechischen Philosophie her. Aber was für eine präverbale Kommunikation meinen Sie denn? Sie fragen mit Worten und Sie wollen, daß ich etwas mit Worten beschreibe, was nichts mit Worten zu tun hat. Es gibt eine japanische Erzählung, die ‚Der Traum der Ameisen’ heißt. Sie spielt im Königreich der Ameisen. Es ist eine lange Geschichte. Ich will sie Ihnen jetzt nicht ganz erzählen. Aber die Essenz der Geschichte ist folgende: Um die Sprache der Ameisen zu verstehen, muß man selbst eine Ameise werden.“

„Die Sprache der Ameisen ist eigentlich eine chemische Sprache“, sagte Lunatscharski, wobei er den Mönch scharf musterte. „Sie legen Duftspuren, um den Weg zu kennzeichnen, den sie auf der Suche nach Futter eingeschlagen haben. Um die Sprache der Ameisen zu verstehen, brauche ich einen Gaschromatometer oder einen Massenspektrometer. Dazu brauche ich keine Ameise zu werden.“

„Vielleicht ist das der einzige Weg, wie Sie eine Ameise werden können“, entgegnete der Mönch und sah dabei von einem zum anderen. „Erklären Sie mir doch, warum die Menschen die Spuren untersuchen, die die Ameisen hinterlassen.“

„Nun“, meinte Ellie, „vermutlich würde ein Entomologe antworten: Um die Ameisen und ihre Gesellschaftsstruktur zu verstehen. Wissenschaftler finden Vergnügen daran, Dinge zu verstehen.“

„Das ist nur eine andere Art, zu sagen, daß sie die Ameisen lieben.“

Ellie lief ein leichter Schauder über den Rücken. „Aber die Geldgeber der Wissenschaftler sind da anderer Meinung. Sie behaupten, es geschieht, um das Verhalten der Ameisen kontrollieren zu können, um sie aus Häusern zu vertreiben, in die sie ihre Straßen gelegt haben, oder um beispielsweise eine Alternative zu den Pestiziden zu entwickeln. In letzterem könnte man auch eine gewisse Liebe zu den Ameisen vermuten“, sagte Ellie nachdenklich. „Aber es ist auch in unserem eigenen Interesse“, sagte Lunatscharski. „Denn Pestizide sind auch für uns giftig.“

„Müßt ihr denn ausgerechnet bei so einem Essen über Pestizide reden?“ fuhr Devi Sukhavati dazwischen, die am anderen Tischende saß.

„Wir werden den Traum der Ameisen ein anderes Mal weiterträumen“, sagte der Mönch leise zu Ellie, und wieder huschte das unschuldige Lächeln über sein Gesicht. Mit Hilfe meterlanger Schuhlöffel zogen sie sich wieder ihre Schuhe an und gingen zum Wagen, begleitet vom Lächeln und den zeremoniellen Verbeugungen der Bediensteten und der Besitzerin des Restaurants. Ellie und Xi sahen zu, wie der Klostervorsteher mit einigen ihrer japanischen Gastgeber in eine große Limousine stieg.

„Ich habe ihn gefragt: Wenn Sie mit einem Stein sprechen können, können Sie dann auch mit einem Toten sprechen?“ sagte Xi zu Ellie. „Und was hat er geantwortet?“

„Er sagte, mit den Toten sei es leicht. Schwierigkeiten habe er mit den Lebenden.“

18

Die Weltformel

Die wilde See

Bei Sado überwölbt sogar

Der Strom des Himmels.