Xi zog sich die Schuhe aus und krempelte die Hosenbeine des sackartigen, mit Abzeichen übersäten Overalls, den sie auf Geheiß der Regierungen alle tragen mußten, bis zu den Knien hoch. Er watete durch die seichte Brandung. Devi verschwand hinter einer Palme und tauchte in einen Sari gekleidet wieder auf. Den Overall hatte sie sich über den Arm gelegt. Eda holte einen der Leinenhüte hervor, die auf der ganzen Welt als typisch für ihn galten. Ellie nahm die anderen in kurzen Einstellungen auf Video auf. Wenn sie zu Hause waren, würde es wahrscheinlich wie ein Amateurfilm aussehen. Sie stellte sich zu Xi und Waygay in die Brandung. Das Wasser war warm. Es war ein schöner Nachmittag, der alles in allem eine willkommene Abwechslung war vom Winter in Hokkaido, den sie vor wenig mehr als einer Stunde hinter sich gelassen hatten.
„Alle haben etwas Symbolisches mitgebracht“, sagte Waygay, „nur ich nicht.“
„Was meinst du damit?“
„Sukhavati und Eda bringen ihre Nationaltracht mit. Xi hat ein Reiskorn.“ Tatsächlich, Xi hielt das Korn in einem Plastikbeutel zwischen Daumen und Zeigefinger. „Du hast deinen Palmwedel“, fuhr Waygay fort. „Nur ich habe kein Symbol und kein Erinnerungsstück von der Erde mitgebracht. Ich bin der einzige echte Materialist der Gruppe, ich habe nur das mitgebracht, was ich im Kopf habe.“
Ellie trug unter ihrem Overall das Medaillon. Jetzt knöpfte sie den Kragen auf und zog den Anhänger heraus. Waygay sah ihn, und sie gab ihn ihm zum Lesen.
„Ich glaube, das ist Plutarch“, sagte er, als er die Inschrift gelesen hatte. „Die Spartaner haben tapfere Worte gesprochen. Aber vielleicht erinnerst du dich, daß die Römer die Schlacht gewonnen haben.“
Dem Ton seiner Belehrung nach zu schließen, hielt Waygay das Medaillon für ein Geschenk Der Heers. Sein Mißfallen an Ken — für das es sicherlich Gründe gab — und seine unentwegte Sorge für sie lösten in ihr ein Gefühl wohliger Wärme aus. Sie griff nach seinem Arm.
„Für eine Zigarette würde ich jetzt jemanden umbringen“, sagte er liebenswürdig und preßte ihre Hand an seinen Körper.
Zu fünft saßen sie an einem kleinen Wassertümpel, den die Ebbe zurückgelassen hatte. Die Brandung erzeugte ein sanftes weißes Rauschen, das sie an Argus erinnerte und an all die Jahre, in denen sie dem kosmischen Rauschen zugehört hatte. Die Sonne hatte den Zenit schon lang durchschritten und stand über dem Ozean. Ein Krebs eilte vorbei. Er hatte schielende Stielaugen. Von Krebsen, Kokosnüssen und dem beschränkten Proviant, den sie in der Tasche hatten, konnten sie sich eine Zeitlang ganz gut ernähren. Abgesehen von ihren eigenen, gab es am Strand keine Fußspuren. „Wir meinen, daß die Außerirdischen fast die ganze Arbeit getan haben.“ Waygay führte seine und Edas Gedanken über das aus, was sie alle fünf erlebt hatten. „Das Projekt hat lediglich eine kleine Falte im Raum-Zeit-Gefüge hergestellt, damit sie ihren Tunnel irgendwo festmachen konnten. In dieser ganzen multidimensionalen Geometrie muß es sehr schwierig sein, eine winzige Falte im Raum-Zeit-Gefüge zu finden. Und noch schwieriger ist es sicherlich, ein Mündungstück daran anzubringen.“
„Was wollt ihr damit sagen? Haben sie die Geometrie des Raums verändert?“
„Ja. Wir meinen, daß es in der Topologie des Weltraums nicht-einfache Verbindungen gibt. Der Raum ist — ich weiß, daß Abonneba diese Analogie nicht mag —, er ist wie eine flache, zweidimensionale Oberfläche, die kluge Seite, die durch ein Netzwerk von Röhren mit einer anderen flachen, zweidimensionalen Oberfläche, der dummen Seite, verbunden ist. Die einzige Art, wie man in annehmbarer Zeit von der klugen auf die dumme Seite gelangen kann, ist durch diese Röhren. Stellt euch jetzt vor, daß die Leute von der klugen Oberfläche eine Röhre mit einem Mündungsstück daran herunterlassen. Sie wollen einen Tunnel zwischen den beiden Oberflächen bauen, vorausgesetzt, die Dummen kooperieren und machen auf ihrer Oberfläche eine kleine Falte, damit man die Mündung verankern kann.“
„Also schicken die klugen Kerle eine Radiobotschaft los und sagen den Dummen, wie man eine Falte macht. Wenn sie aber wirklich zweidimensionale Wesen sind, wie konnten sie dann auf ihrer Oberfläche eine Falte bilden?“
„Indem sie sehr viel Masse an einer Stelle zusammenbrachten.“ Aber Waygay war sich selbst nicht ganz sicher. „Aber wir haben das auf der Erde nicht gemacht.“
„Ich weiß, ich weiß. Irgendwie sind die Benzel dafür verantwortlich.“
„Schau“, erklärte Eda leise, „wenn die Tunnel Schwarze Löcher sind, spielen dabei unauflösbare Widersprüche eine Rolle. In der genauen Kerr-Lösung der Einsteinschen Feldgleichung gibt es einen inneren Tunnel, aber er ist instabil. Durch die kleinste Störung würde er abgeriegelt und in eine physikalische Singularität verwandelt werden, durch die nichts hindurchkann. Ich habe mir eine überlegene Zivilisation vorzustellen versucht, die die innere Struktur eines kollabierenden Sterns unter Kontrolle halten könnte, damit der innere Tunnel stabil bleibt. Es ist sehr schwierig. Diese Zivilisation müßte den Tunnel für alle Zeit überwachen und stabilisieren. Besonders schwierig wäre das, wenn etwas so Großes wie das Dodekaeder hindurchfällt.“
„Auch wenn Abonneba herausfinden kann, wie man den Tunnel offenhält, gibt es noch viele Probleme“, sagte Waygay. „Viel zu viele sogar. Schwarze Löcher ziehen Probleme noch schneller an als Materie. Da sind die Gezeiten. Im Gravitationsfeld eines Schwarzen Lochs hätten wir zerrissen werden müssen. Wir hätten auseinandergezogen werden müssen wie die Leute auf den Bildern von El Greco oder die Skulpturen von diesem Italiener.?“ Hilfesuchend sah er Ellie an.
„Giacometti“, schlug sie vor. „Aber er war Schweizer.“
„Ja, wie Giacometti. Dann weitere Probleme: Wie man von der Erde aus gemessen hat, würde es endlos dauern, durch ein Schwarzes Loch zu fallen, und wir könnten niemals wieder zur Erde zurückkehren. Vielleicht ist das geschehen. Vielleicht kommen wir nie wieder nach Hause. Außerdem müßte die Strahlung in der Nähe der Singularität höllisch stark sein. Das ist eine Instabilität der Quantenmechanik.“
„Und schließlich“, fuhr Eda fort, „kann ein Tunnel vom Typ Kerrs zu grotesken Veränderungen der Kausalität führen. Durch eine unbedeutende Veränderung der Flugbahn innerhalb des Tunnels könnte man am anderen Ende des Tunnels beliebig früh in der Geschichte des Universums auftauchen — zum Beispiel eine Pikosekunde nach dem Urknall. Da würde man sehen, was für ein Chaos damals im Universum geherrscht hat.“
„Hört zu, Freunde“, sagte Ellie, „ich bin keine Expertin der Allgemeinen Relativitätstheorie. Aber haben wir denn nicht Schwarze Löcher gesehen? Sind wir denn nicht in sie hineingefallen? Und sind wir nicht wieder aus ihnen herausgekommen? Wiegt ein Gramm Beobachtung denn nicht schwerer als eine Tonne Theorie?“
„Ich weiß, ich weiß“, sagte Waygay etwas gequält. „Wir haben die Lösung noch nicht gefunden. Aber unser Verständnis der Physik kann doch nicht derartig falsch sein. Oder?“
Er hatte die letzte Frage in kläglichem Ton an Eda gerichtet, der nur erwiderte: „Ein natürlich vorhandenes Schwarzes Loch kann kein Tunnel sein. Es hat eine undurchdringliche Singularität in der Mitte.“
Mit einem provisorisch zusammengebastelten Sextanten und ihren Armbanduhren bestimmten sie die Winkelgeschwindigkeit der sinkenden Sonne. Sie betrug 360 Grad in 24 Stunden, wie auf der Erde. Bevor das Licht der sinkenden Sonne dazu zu schwach sein würde, schraubten sie Ellies Kamera auseinander und benutzten die durch das Objektiv gebündelten Strahlen, um ein Feuer zu entfachen. Ellie legte den Palmwedel neben sich, weil sie fürchtete, jemand könnte ihn aus Versehen nach Einbruch der Dunkelheit in die Flammen werfen. Es stellte sich heraus, daß Xi Experte im Feuermachen war. Er ordnete an, daß sich alle auf die Seite des Feuers setzen sollten, aus der der Wind kam, und hielt es so in Gang.