„Du bist typisch amerikanisch, Ellie. Für mich ist das genau wie zu Hause. Ich bin es gewöhnt zu tun, was die Obrigkeit verlangt — vor allem, wenn mir nichts anderes übrigbleibt.“ Er lächelte und drehte sich schwungvoll auf dem Absatz um. „Glaube dem Großen Führer nicht jeden Mist“, rief sie ihm nach.
Hoch oben schrie eine Möwe. Waygay hatte die Tür offengelassen. Dahinter war noch immer nur Strand zu sehen. „Bist du in Ordnung?“ fragte Devi sie. „Ich bin okay. Wirklich. Ich möchte nur einen Augenblick allein sein. Ich komme gleich nach.“
„Im Ernst, ich frage als Ärztin. Du fühlst dich wie sonst?“
„Ich bin mit Kopfschmerzen aufgewacht, und ich glaube, ich habe ziemlich phantastische Sachen geträumt. Ich habe mir weder die Zähne geputzt noch meinen schwarzen Kaffee getrunken. Außerdem hätte ich nichts dagegen, die Zeitung zu lesen. Von all dem abgesehen, geht es mir gut.“
„Gut, das klingt normal. Schließlich habe ich auch ein wenig Kopfschmerzen. Paß auf dich auf, Ellie. Merk dir alles, was du erlebst, damit du es mir erzählen kannst. wenn wir uns das nächste Mal sehen.“
„Bestimmt“, versprach Ellie.
Sie küßten sich und wünschten sich alles Gute. Devi trat über die Schwelle und verschwand. Die Tür schloß sich hinter ihr. Später meinte Ellie sich zu erinnern, daß sie einen Hauch von Curry gerochen hätte.
Sie putzte sich die Zähne mit Salzwasser. In gewissen Dingen war sie schon immer ein wenig eigen gewesen. Zum Frühstück trank sie Kokosmilch. Sorgfältig wischte sie dann den Sand ab, der sich auf dem Gehäuse der Mikrokamera und auf ihrem winzigen Vorrat an Videokassetten, auf denen die Wunder aufgezeichnet waren, angesammelt hatte. Sie spülte den Palmwedel in der Brandung ab, wie sie es an dem Tag getan hatte, als sie ihn am Strand von Cocoa fand, kurz vor ihrem Aufbruch nach Methusalem. Der Morgen war schon warm, und sie beschloß, ein wenig zu schwimmen. Sie ließ ihre Kleider sorgfältig zusammengelegt auf dem Palmwedel zurück und lief mutig in die Brandung. Was immer eintreten mochte, es war unwahrscheinlich, daß die Außerirdischen sich vom Anblick einer nackten Frau erregen lassen würden, auch wenn sie noch ganz gut erhalten war. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie ein Mikrobiologe zum Sexualverbrecher wurde, nachdem er ein Pantoffeltierchen bei der Zellteilung ertappt und beobachtet hatte.
Träge ließ sie sich auf dem Rücken treiben und im langsamen Rhythmus der anrollenden Wellenkämme auf und ab schaukeln. Sie versuchte, sich Tausende von vergleichbaren. Kammern vorzustellen, simulierte Welten, welchen Ursprungs auch immer — von denen jede eine peinlich genaue Kopie des schönsten Fleckchens auf dem Heimatplaneten irgendeiner Spezies war. Tausende davon, jede mit Himmel und Wetter, Meer, Geologie und einheimischen Lebensformen ausgestattet, daß sie vom Original nicht zu unterscheiden war. Die Landschaft hier wirkte wie Verschwendung, aber zugleich weckte sie in Ellie Hoffnung auf einen befriedigenden Ausgang ihrer Reise. Auch wenn man noch so viel konnte, stellte man eine Landschaft dieser Größenordnung nicht für fünf Exemplare einer zum Untergang bestimmten Welt her.
Andererseits. Die Vorstellung von Außerirdischen, die sich einen Zoo hielten, war zwar schon zu einer Art Klischee geworden. Was aber, wenn dieser große Bahnhof mit seiner Fülle von Anlegestellen und Abteilungen tatsächlich ein Zoo war? Sie stellte sich einen schneckenköpfigen Anreißer vor, der schrie: „Erleben Sie die exotischsten Tiere in ihrer natürlichen Umgebung!“ Touristen kamen von überallher aus der Galaxis, vor allem während der Schulferien. Und wenn eine Prüfung anstand, sperrten die Wärter für eine Weile Viecher und Touristen aus, fegten die Fußspuren vom Sandstrand und gönnten den neuangekommenen Primitiven einen halben Tag Ruhe und Erholung, bevor die Quälerei begann.
Oder vielleicht füllten sie ihren Zoo auf diese Weise auf. Ellie dachte an die Tiere, die in irdischen Zoos eingesperrt waren und von denen es hieß, daß es mit der Nachzucht in Gefangenschaft Probleme gab. Sie drehte einen Salto im Wasser und tauchte unter die Oberfläche. Sie schwamm ein paar Züge auf den Strand zu und wünschte sich zum zweitenmal innerhalb von vierundzwanzig Stunden, ein Kind zu haben.
Es war niemand in der Nähe, und man sah kein Segel am Horizont. Einige Möwen stelzten am Strand entlang. Offenbar suchten sie Krebse. Ellie wünschte sich Brot, um sie zu füttern. Sie trocknete sich ab, zog sich an und untersuchte den Eingang noch einmal. Die Tür stand genauso da wie vorher und wartete. Aber irgend etwas hielt Ellie immer noch davon ab, hineinzugehen. Es war mehr als ein Zögern. Vielleicht war es Furcht.
Sie entfernte sich ein paar Schritte, behielt aber die Tür im Auge. Sie setzte sich unter eine Palme, zog die Knie zum Kinn und schaute über die ausgedehnte Fläche des weißen Sandstrandes.
Nach einiger Zeit stand sie auf und streckte sich. Sie hielt Palmwedel und Mikrokamera in einer Hand, als sie auf die Tür zuging und die Klinke drückte. Die Tür öffnete sich ein Stück weit. Durch den Türspalt konnte sie die Schaumkronen vor der Küste sehen. Sie stieß noch einmal gegen die Tür, die ohne zu quietschen aufschwang. Der Strand begegnete ihrem Blick höflich und desinteressiert. Sie schüttelte den Kopf, kehrte zu ihrer Palme zurück und nahm wieder ihre nachdenkliche Haltung ein.
Sie überlegte, was mit den anderen geschehen sein mochte. Befanden sie sich jetzt in einer exotischen Testeinrichtung und kreuzten eifrig MuItiple-choice-Fragebogen an? Oder handelte es sich um eine mündliche Prüfung? Und wer waren die Prüfer? Wieder fühlte sie die Unruhe in sich aufsteigen. Ein anderes intelligentes Wesen — eines, das sich unabhängig auf einer fernen Welt unter unirdischen physikalischen Bedingungen entwickelt hatte und Produkt einer ganz anderen Folge zufälliger genetischer Mutationen war — ein solches Wesen würde in nichts den Wesen ähnlich sein, die sie kannte. Oder sich überhaupt vorstellen konnte. Wenn das hier eine Teststation war, gab es auch Aufsichtspersonal. Und dieses Personal war durch und durch, auf ganz phantastische Weise, nichtmenschlich. Tief in ihrem Innern hatte sie etwas gegen Insekten, Schlangen und Maulwürfe. Sie gehörte zu denen, die ein wenig schauderte, ja denen es, offen gestanden, kalt über den Rücken lief, wenn sie mit auch nur geringfügig mißgestalteten Menschen zusammentrafen. Krüppel, mongoloide Kinder, ja sogar die Parkinsonsche Krankheit riefen in ihr — trotz ihrer Anstrengungen, das Gefühl zu unterdrücken — Abscheu hervor und den Wunsch zu fliehen. Im allgemeinen hatte sie ihre Furcht immer beherrschen können, obwohl sie nicht sicher war, ob sie nicht doch schon einmal jemanden verletzt hatte. Sie dachte nicht oft darüber nach. Sobald sie ihre eigene Hilflosigkeit merkte, konzentrierte sie sich auf ein anderes Thema. Jetzt aber machte sie sich Sorgen, daß sie vielleicht nicht in der Lage sein würde, einem außerirdischen Wesen angemessen zu begegnen — geschweige denn, es für die menschliche Rasse einzunehmen. Auf der Erde hatte man nicht daran gedacht, die fünf Wissenschaftler daraufhin zu überprüfen. Man hatte nicht versucht herauszufinden, ob sie sich vor Mäusen oder Zwergen oder Marsmenschen fürchteten. Das war den Prüfungskomitees einfach nicht eingefallen. Ellie fragte sich, warum ihnen das entgangen war. Jetzt erschien es ihr recht naheliegend.