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„So ist das nicht“, sagte er. „Es ist keine Aufnahmeprüfung.“

In dem Jahr, in dem er starb, hatte sie vor dem Übergang in die High School gestanden.

„Du darfst dir uns nicht wie interstellare Sheriffs vorstellen, die vogelfreie Zivilisationen abknallen. Nimm uns eher als eine Art Institut für Galaktische Volkszählung. Wir sammeln Informationen. Ich weiß, daß ihr denkt, niemand könne von euch etwas lernen, weil ihr technologisch so rückständig seid. Aber eine Zivilisation kann auch andere Vorzüge haben.“

„Zum Beispiel?“

„Oh, Musik. Herzensgüte — übrigens ein Wort, das mir besonders gut gefällt. Träume. Die Menschen sind sehr gut im Träumen, obwohl man das aus euren Fernsehprogrammen nie schließen würde. Überall in der Galaxis gibt es Kulturen, die mit Träumen Handel treiben.“

„Ihr betreibt einen interstellaren Kulturaustausch? Ist es das? Ist es euch egal, wenn eine raubgierige, blutrünstige Zivilisation interstellare Raumfahrt betreibt?“

„Ich sagte, wir bewundern Herzensgüte.“

„Wenn die Nazis die Herrschaft über unsere Welt übernommen und die interstellare Raumfahrt entwickelt hätten, wärt ihr dann nicht eingeschritten?“

„Du wärst überrascht, wenn du wüßtest, wie selten so etwas vorkommt. Auf lange Sicht zerstören sich die aggressiven Zivilisationen fast immer selbst. Es liegt in ihrer Natur. Sie können nicht anders. In einem solchen Fall wäre es unsere Aufgabe, sie in Ruhe zu lassen. Dafür zu sorgen, daß niemand sie belästigt. Damit sie ihr Schicksal erfüllen können.“

„Warum habt ihr dann uns nicht in Ruhe gelassen? Ich beschwere mich nicht, verstehe mich nicht falsch. Ich bin nur neugierig, wie das Institut für Galaktische Volkszählung arbeitet. Das erste, was ihr von uns aufgefangen habt, war die Sendung mit Hitler. Warum habt ihr dann doch noch Kontakt aufgenommen?“

„Die Bilder waren natürlich beunruhigend. Wir konnten sehen, daß ihr in großen Schwierigkeiten steckt. Aber die Musik hat uns etwas anderes gesagt. Dieser Beethoven sagte uns, daß es Hoffnung gibt. Grenzfälle sind unsere Spezialität. Wir dachten, ihr könntet ein wenig Hilfe gebrauchen. Freilich können wir euch nur wenig anbieten. Du verstehst schon. Es gibt gewisse Grenzen, die uns von der Kausalität gesetzt sind.“

Er hatte sich hingehockt und die Hände ins Wasser getaucht. Jetzt trocknete er sie an seiner Hose ab. „Letzte Nacht haben wir in euch hineingeschaut. In alle fünf. Es steckt viel in euch: Gefühle, Erinnerungen, Instinkte, angelerntes Verhalten, Einsichten, Verrücktheit, Träume, Liebe. Liebe ist sehr wichtig. Ihr seid eine interessante Mischung.“

„Und das alles in einer Nacht?“ zog sie ihn ein wenig auf. „Wir mußten uns beeilen. Unser Zeitplan ist ziemlich eng.“

„Warum, soll etwas…“

„Nein, es ist nur so: Wenn nicht wir eine konsistente Kausalität konstruieren, entwickelt sie sich von selbst. Das ist fast immer schlechter.“

Sie hatte keine Ahnung, was er meinte. „‚Eine konsistente Kausalität konstruierend So hat mein Papa nie geredet.“

„Aber sicher. Kannst du dich nicht erinnern? Er war ein belesener Mann, und seit du ein kleines Mädchen warst, hat er — habe ich — mit dir wie mit seinesgleichen geredet. Erinnerst du dich nicht?“

Sie erinnerte sich. Ja, sie erinnerte sich. Und sie mußte an ihre Mutter im Pflegeheim denken.

„Was für ein hübscher Anhänger“, sagte er in genau dem Tonfall väterlicher Anteilnahme, den sie sich als Heranwachsende immer sehnsüchtig ausgemalt hatte, als er schon tot war. „Von wem hast du ihn?“

„Ach das“, sagte sie und nestelte an dem Medaillon herum.

„Eigentlich ist es von jemandem, den ich gar nicht so gut kenne. Er wollte meinen Glauben auf die Probe stellen. Er. Aber das mußt du eigentlich schon alles wissen.“ Wieder das breite Lächeln.

„Ich möchte wissen, was du von uns hältst“, sagte sie kurz angebunden, „was du wirklich von uns hältst.“ Er zögerte keinen Augenblick. „Gut. Ich finde es erstaunlich, daß ihr euch so gut gehalten habt. Ihr habt so gut wie keine soziologische Theorie, erstaunlich rückständige Wirtschaftssysteme, keine Vorstellung von der Funktionsweise historischer Voraussage und sehr wenig Wissen über euch selbst. Wenn man in Betracht zieht, wie schnell sich eure Welt verändert, ist es verwunderlich, daß ihr euch bis jetzt noch nicht in die Luft gejagt habt. Deshalb wollten wir euch noch nicht abschreiben. Ihr Menschen habt ein gewisses Talent zur Anpassung — jedenfalls kurzfristig.“

„Das ist der eigentliche Kernpunkt, nicht wahr?“

„Das ist ein Kernpunkt. Man kann sehen, daß die Zivilisationen, die nur kurzfristige Perspektiven haben, nach einer Weile einfach nicht mehr da sind. Auch sie erfüllen ihr Geschick.“

Sie wollte ihn fragen, was er für die Menschen wirklich empfand. Neugier? Mitleid? Oder überhaupt nichts? War es nur ein Job? Dachte er im Grunde seines Herzens — oder des entsprechenden inneren Organs, das er besaß — von ihr wie sie von einer. Ameise? Aber sie brachte es nicht über sich, die Frage zu stellen. Sie hatte zu viel Angst vor der Antwort. Aus dem Klang seiner Stimme und zwischen seinen Worten versuchte sie herauszuhören, wer sich hier als ihr Vater getarnt hatte. Sie hatte außerordentlich viel Erfahrung im Umgang mit Menschen. Die Beamten der Station hier hatten dagegen erst seit heute solche Erfahrungen sammeln können. Ob es ihr gelingen konnte, hinter dieser liebenswürdigen und so gesprächsbereiten Fassade etwas von ihrer wahren Natur zu erkennen? Sie konnte es nicht. Dem Inhalt seiner Worte nach war er natürlich nicht ihr Vater und gab auch gar nicht vor, es zu sein. Aber in jeder anderen Hinsicht war er Theodore F. Arroway, geboren 1924, gestorben 1960, Führer eines Haushaltswarengeschäfts und liebender Vater und Ehemann,

unheimlich ähnlich. Wenn sie sich nicht bewußt zusammennahm, würde sie für diese. Kopie bald kindisch schwärmen, das wußte sie. Ein Teil von ihr wollte ihn immer noch fragen, wie es ihm ergangen sei, seit er in den Himmel gekommen war. Was hielt er von Christi Wiederkunft und der Himmelfahrt der Gläubigen? Hatten die Vorbereitungen auf das Reich Gottes einen Sinn? Es gab menschliche Kulturen, in denen man sich für die Seligen ein Leben nach dem Tode auf Bergspitzen oder in Wolken vorstellte, oder in Höhlen oder Oasen, aber ihr fiel keine ein, die lehrte, daß man, wenn man vor dem Tode sehr, sehr brav war, ans Meer kam.

„Haben wir noch Zeit für ein paar Fragen, bevor. wir tun, was wir als nächstes tun sollen?“

„Sicher. Für ein oder zwei jedenfalls.“

„Erzähle mir von eurem Verkehrssystem.“

„Da weiß ich etwas Besseres“, sagte er. „Ich kann es dir zeigen. Erschrecke jetzt nicht.“

Formlose Schwärze tropfte vom Zenit und verdunkelte die Sonne und den blauen Himmel. „Das ist ja ungeheuerlich“, stammelte sie. Unter ihren Füßen war noch derselbe sandige Strand. Sie grub die Zehen in den Sand. Über ihr. war der Kosmos. Sie befanden sich, wie es schien, hoch über der Galaxis, sahen auf ihre spiralförmige Beschaffenheit hinab und stürzten mit einer unmöglichen Geschwindigkeit auf sie zu. Sachlich erklärte er ihr, indem er die ihr vertraute wissenschaftliche Ausdrucksweise benutzte, die riesige, windmühlenartige Struktur. Er zeigte ihr den Spiralarm des Orion, in den die Sonne in dieser Epoche eingebettet war. In seinem Innern, in absteigender Reihenfolge gemäß ihrer mythologischen Bedeutung angeordnet, befanden sich der Sagittarius-Arm, der Norma/Scutum-Arm und der Drei- Kiloparsec-Arm. Ein Netz gerader Linien wurde sichtbar. Es stellte das Verkehrssystem dar, das sie benutzt hatten. Es sah aus wie die beleuchteten Pläne in der Pariser Metro. Eda hatte recht gehabt. Die Stationen befanden sich in Sternensystemen mit einem doppelten Schwarzen Loch niedriger Masse. Sie wußte, daß die Schwarzen Löcher nicht aus kollabierenden Sternen, aus der normalen Evolution massiver Sternensysteme, entstanden sein konnten, denn dafür waren sie zu klein. Vielleicht gab es sie von allem Anfang an, vielleicht waren sie vom Urknall übriggeblieben und von irgendeinem unvorstellbaren Sternenschiff eingefangen und an den entsprechenden Stationen befestigt worden. Oder man hatte sie gebaut. Sie wollte ihn danach fragen, aber ihre Fahrt ging mit atemberaubender Geschwindigkeit weiter. Etwa im Zentrum der Galaxis drehte sich eine Scheibe aus glühendem Wasserstoff, und aus ihrem Innern stob ein Ring von Molekülwolken heraus, auf die Peripherie der Milchstraße zu. Ihr Vater zeigte ihr die geordneten Bewegungen in dem gigantischen Komplex der Molekülwolke Schütze B 2, die jahrzehntelang für ihre irdischen Kollegen in der Radioastronomie einer der beliebtesten Jagdgründe für komplexe organische Moleküle gewesen war. Näher beim Zentrum trafen sie eine weitere riesenhafte Molekülwolke an und dann Schütze A West, eine starke Quelle von Radiowellen, die Ellie selbst von Argus aus beobachtet hatte. Unmittelbar daran anschließend, im Zentrum der Galaxis und in einer leidenschaftlichen Schwerkraftumarmung verbunden, befand sich ein Paar gewaltiger Schwarzer Löcher. Jedes von ihnen hatte die Masse von fünf Millionen Sonnen. Gasströme von der Größe eines Sonnensystems ergossen sich in ihren Rachen. Zwei kolossale oder supermassive — Ellie konnte es gar nicht mit Hilfe einer irdischen Sprache ausdrücken — Schwarze Löcher umkreisten einander im Zentrum der Galaxis. Eines davon war bekannt, oder zumindest vermutete man, daß es existierte. Aber zwei? Hätte sich das nicht als Doppler-Verschiebung der Spektrallinien bemerkbar machen müssen? Sie stellte sich vor, daß unter dem einen ein Schild mit der Aufschrift EINGANG hing und unter dem anderen eines mit AUSGANG. Im Augenblick war der Ausgang in Betrieb, während der Eingang einfach nur da war. Und sie waren also hier in diesem Bahnhof, der Grand Central Station — gerade in sicherer Entfernung von den Schwarzen Löchern im Zentrum der Galaxis. In der Nähe leuchtete der Himmel von Millionen junger Sterne. Aber die Sterne, das Gas und der Staub wurden im Laufe langer Zeitalter von dem Schwarzen Loch, das den Eingang bildete, verschluckt.