Es begann leicht zu regnen; Schatten hüllten uns ein. Aus dem feuchten Laub erhoben sich bleiche Nebelschwaden. Irgendwo zur Rechten hörte ich ein Heulen.
Noch dreimal veränderte das Steuerrad seine Form – die letzte Version war ein achteckiges Holzgebilde. Der Wagen war ziemlich hoch geworden, und wir hatten uns irgendwo eine Flamingoskulptur als Kühlerhaubenverzierung zugelegt. Ich enthielt mich jedes Kommentars über diese Details, sondern paßte mich den verschiedenen Stellungen an, die der Sitz einnahm, wie auch den veränderten Bedienungserfordernissen. Random jedoch warf einen Blick auf das Steuerrad – im gleichen Augenblick ertönte neues Geheul –, schüttelte den Kopf. Plötzlich waren die Bäume viel größer, wenn auch mit Ranken und bläulich schimmernden Flechten bekränzt, und der Wagen war fast wieder normal. Ich schaute auf die Benzinuhr und sah, daß der Tank noch halb voll war.
»Wir kommen voran«, bemerkte mein Bruder, und ich nickte.
Der Fahrweg erweiterte sich plötzlich und erhielt eine Betonoberfläche. Auf beiden Seiten erstreckten sich Kanäle mit schlammigem Wasser. Blätter, kleine Äste und bunte Federn trieben darauf.
Plötzlich war mir ein wenig schwindlig. »Langsam und tief atmen«, sagte Random, ehe ich eine Bemerkung darüber machen konnte. »Wir nehmen eine Abkürzung, und Luft und Schwerkraft sind eine Zeitlang verändert. Ich glaube, wir haben bisher ziemlich großes Glück gehabt, und ich möchte das natürlich ausnutzen – ich will in kürzester Zeit so dicht wie möglich ans Ziel heran.«
»Gute Idee«, sagte ich.
»Vielleicht – vielleicht aber auch nicht«, erwiderte er. »Aber ich glaube, es ist das Risiko wer . . . Paß auf!«
Wir fuhren gerade einen Hügel hinauf. Ein Lkw kam über den Kamm und raste auf uns zu – auf der falschen Straßenseite! Ich versuchte auszuweichen, aber der andere Wagen vollzog dasselbe Manöver. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, mußte ich den Wagen auf den weichen Seitenstreifen zu meiner Linken steuern und am Kanalufer entlangfahren.
Rechts von mir stoppte der Laster mit quietschenden Bremsen. Ich versuchte vom Seitenstreifen wieder auf die Straße zu kommen, doch wir steckten im Boden fest.
Im nächsten Moment hörte ich eine Tür zuknallen und sah, daß der Fahrer auf der rechten Seite des Führerhauses ausgestiegen war – was bedeuten mochte, daß er doch auf der richtigen Straßenseite gefahren war und wir uns im Unrecht befanden. Ich war sicher, daß in den Vereinigten Staaten nirgendwo britische Verkehrsvorschriften galten, aber ich war auch längst davon überzeugt, daß wir die mir bekannte Erde längst verlassen hatten.
Der Lkw war ein Tanklaster. In großen blutroten Buchstaben stand ZUÑOCO an der Seite und darunter das Motto »Wier beliewern die Weeld.« Der Fahrer belieferte mich mit Schimpfworten, als ich ausstieg, um den Wagen ging und mich zu entschuldigen begann. Er war so groß wie ich und hatte die Gestalt eines Bierfasses. In der Hand hielt er einen Schraubenschlüssel.
»Hören Sie, ich habe mich ja schon entschuldigt«, sagte ich. »Was wollen Sie denn noch? Niemand ist verletzt, und es hat keinen Schaden gegeben.«
»Sonntagsfahrer wie Sie sollte man nicht auf die Straße lassen!« brüllte er. »Ihr verfluchten Kerle seid eine Gefahr für Leib und Leben!«
In diesem Augenblick stieg Random aus dem Wagen. »Mister, Sie sollten lieber weiterfahren«, sagte er. Er hielt eine Waffe in der Hand.
»Tu das Ding weg«, sagte ich zu ihm, doch er zog den Sicherungshebel zurück.
Der Bursche riß angstvoll Augen und Mund auf, machte kehrt und wetzte davon.
Random hob die Waffe und zielte sorgfältig auf den Rücken des Mannes.
Erst im letzten Augenblick vor dem Schuß vermochte ich seinen Arm zur Seite zu schlagen.
Das Geschoß traf die Straße und surrte als Querschläger davon.
Random drehte sich zu mir um. Sein Gesicht war leichenblaß.
»Du verdammter Narr!« sagte er. »Der Schuß hätte in den Tank gehen können!«
»Er hätte auch den Burschen treffen können, auf den du gezielt hast!«
»Na und? Wir kommen hier nicht mehr durch, jedenfalls nicht in dieser Generation. Der Schweinehund hat es gewagt, einen Prinzen von Amber zu beleidigen! Ich habe dabei an deine Ehre gedacht!«
»Ich kann meine Ehre selbst schützen«, entgegnete ich schroff. Plötzlich ergriff etwas Kaltes und Unwiderstehliches von mir Besitz und ließ mich fortfahren: »Die Entscheidung über sein Leben lag bei mir und nicht bei dir.« Ein Gefühl der Entrüstung erfüllte mich.
Da neigte er den Kopf, während die Lkw-Tür zuknallte und der schwere Wagen sich entfernte.
»Tut mir leid, Bruder«, sagte er. »Ich wollte nicht anmaßend sein. Aber es hat mich gekränkt, daß einer von denen so mit dir geredet hat. Ich weiß, ich hätte warten müssen, daß du dich des Burschen annimmst, wie du es für richtig hieltest – zumindest hätte ich dich fragen müssen.«
»Nun, wie dem auch sei«, sagte ich. »Wenn wir können, sollten wir auf die Straße zurückkehren und weiterfahren.«
Die Hinterräder waren bis zu den Radkappen eingesunken, und während ich sie noch anstarrte und mir überlegte, wie man die Dinge am besten in Angriff nahm, rief Random: »Okay, ich nehme die vordere Stoßstange. Du packst hinten an – wir tragen das Ding zur Straße – und zwar auf die linke Seite.«
Er meinte es ernst!
Er hatte zwar von einer geringeren Schwerkraft gesprochen, doch ich für mein Teil fühlte mich gar nicht leicht. Gewiß, ich war kräftig, doch ich hatte meine Zweifel, ob ich das hintere Ende des Mercedes anheben konnte.
Andererseits wurde so etwas offensichtlich von mir erwartet; also mußte ich es versuchen. Ich durfte mir die Lücken in meinem Gedächtnis nicht anmerken lassen.
Ich beugte mich also vor, stellte die Beine auseinander, packte zu und begann die Knie durchzudrücken. Mit saugendem Geräusch lösten sich die Hinterräder aus der feuchten Erde. Ich stemmte mein Ende des Wagens etwa zwei Fuß hoch über den Boden!
Das Auto war schwer – verdammt, und wie schwer! –, aber ich konnte es halten.
Mit jedem Schritt sank ich etwa fünfzehn Zentimeter tief in den Boden. Aber ich trug den Wagen! Und Random leistete an seinem Ende dasselbe.
Wir setzten das Fahrzeug auf der Straße ab; die Federung wippte etwas. Dann zog ich mir die Schuhe aus, leerte sie und reinigte sie mit Grasbüscheln; ich wrang meine Socken aus, bürstete die Hosensäume ab, warf meine Fußbekleidung auf den Rücksitz und stieg barfuß hinter das Steuer.
Random sprang auf den Beifahrersitz. »Hör mal. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen . . .«
»Schon gut«, sagte ich. »Die Sache ist ausgestanden und vorbei.«
»Ja, aber ich möchte nicht, daß du mir etwas nachträgst.«
»Das tue ich nicht«, entgegnete ich. »Du solltest dich künftig nur etwas besser beherrschen, wenn es um das Töten in meiner Gegenwart geht.«
»Das will ich gern tun«, versprach er.
»Dann wollen wir jetzt weiterfahren.« Und das taten wir.
Wir bewegten uns durch eine Felsschlucht und erreichten schließlich eine Stadt, die völlig aus Glas oder glasähnlichen Substanzen zu bestehen schien – von hohen Gebäuden flankiert, die dünn und zerbrechlich wirkten, und mit Menschen, durch die die rosa Sonne hindurchschien und dabei ihre Organe und die Überreste der letzten Mahlzeit sichtbar machte. Die seltsamen Gestalten starrten uns nach. An den Straßenecken liefen sie zusammen, doch niemand versuchte uns den Weg zu versperren.
»Die von Dänikens dieser Welt werden von unserem Besuch sicher noch in vielen Jahren berichten«, sagte mein Bruder.
Ich nickte.
Schließlich war vor uns überhaupt keine Straße mehr, und wir fuhren über eine endlose Fläche, die aus Silikon zu bestehen schien. Nach einer Weile engte sich die Erscheinung ein und wurde zu unserer Straße, und ein paar Minuten später erstreckten sich Sümpfe zu beiden Seiten – flach, braun, übelriechend. Und ich entdeckte ein Tier, das garantiert ein Diplodocus war und das den Kopf hob und auf uns herabstarrte. Gleich darauf flog ein riesiger fledermausartiger Schatten über uns dahin. Der Himmel erstrahlte königsblau, die Sonne schimmerte hellgolden.