Ich gab ihm meine letzte Waffe. »Auf die Hunde«, sagte ich.
Er feuerte in aller Ruhe und sehr präzise und erledigte nacheinander sechs Hunde.
Julian galoppierte jetzt neben dem Wagen her und schwang ein Schwert in der rechten Hand.
Ich betätigte die Hupe in der Hoffnung, Morgenstern zu erschrecken – doch der Trick funktionierte nicht. Ich fuhr seitlich auf die beiden zu, doch das Pferd tänzelte leichtfüßig davon. Random duckte sich in seinem Sitz zusammen und zielte an mir vorbei. Er hielt die Pistole mit der rechten Hand, die er auf seinen linken Unterarm stützte.
»Noch nicht schießen«, sagte ich. »Ich will sehen, ob ich ihn so erwische.«
»Du bist ja verrückt«, sagte er, als ich wieder auf die Bremse stieg.
Aber er senkte die Waffe.
Kaum hatten wir gestoppt, als ich auch schon meine Tür aufriß und ins Freie sprang – und ich war barfuß! Verdammt!
Ich duckte einen Schwerthieb ab, packte Julian am Arm und riß ihn aus dem Sattel.
Mit der gepanzerten Faust versetzte er mir einen Schlag auf den Kopf, und ich sah zahlreiche Sterne aufblitzen und hatte stechende Schmerzen.
Er lag erschöpft am Boden, wohin er gefallen war, und ich war von Hunden umgeben, die nach mir schnappten, während Random Fußtritte austeilte. Ich nahm Julians Klinge vom Boden auf und hielt ihm die Spitze an die Kehle.
»Ruf sie zurück!« rief ich. »Oder ich nagle dich am Boden fest!«
Er schrie den Hunden einen Befehl zu, und sie zogen sich winselnd zurück. Random hielt Morgensterns Zügel und mühte sich mit dem Pferd ab.
»Und jetzt, mein lieber Bruder, frage ich dich, was du vorzubringen hast«, sagte ich.
Ein kaltblaues Feuer loderte in seinen Augen, und sein Gesicht war ausdruckslos.
»Wenn du mich töten willst, tu’s doch endlich!« sagte er.
»Nun mal langsam«, erwiderte ich. Irgendwie machte es mir Spaß, seine gepflegte Rüstung voller Schmutz zu sehen. »Doch zunächst die Frage, was dir dein Leben wert ist?«
»Natürlich alles, was ich habe.«
Ich trat zurück.
»Steh auf und setz dich hinten in den Wagen«, befahl ich.
Er gehorchte. Ehe er einstieg, nahm ich ihm noch den Dolch weg. Random stieg ebenfalls wieder ein; erhielt die Pistole mit der letzten verbleibenden Patrone unverwandt auf Julians Kopf gerichtet.
»Warum bringen wir ihn nicht einfach um?« fragte er.
»Ich glaube, er kann uns noch nützlich sein«, erwiderte ich. »Es sind noch zu viele Fragen offen. Und wir haben einen weiten Weg vor uns.«
Ich fuhr los. Ich sah die Hunde herum wimmeln. Morgenstern begann folgsam hinter dem Wagen herzutraben.
»Ich befürchte, ich kann euch als Gefangener nicht viel nützen«, sagte Julian. »Auch wenn ihr mich foltert, kann ich euch nur das verraten, was ich selbst weiß – und das ist nicht viel.«
»Na, dann fang doch damit an«, sagte ich.
»Eric scheint die stärkste Position zu haben«, berichtete er, »da er sich direkt in Amber aufhielt, als die ganze Sache losging. Jedenfalls habe ich die Lage so gesehen und ihm meine Unterstützung angeboten. Wäre es einer von euch gewesen, hätte ich wahrscheinlich genauso gehandelt. Eric beauftragte mich, in Arden aufzupassen, da es sich um einen der Hauptzugänge handelt. Gérard kontrolliert die Seewege im Süden, und Caine treibt sich in den nördlichen Gewässern herum.«
»Und was ist mit Benedict?« fragte Random.
»Keine Ahnung. Ich habe nichts von ihm gehört. Vielleicht ist er bei Bleys. Oder er treibt sich sonstwo in den Schatten herum und weiß von der ganzen Sache womöglich noch gar nichts. Vielleicht ist er sogar tot. Wir haben seit Jahren nicht mehr von ihm gehört.«
»Wie viele Männer hast du in Arden?« wollte Random wissen.
»Mehr als tausend«, erwiderte er. »Einige beobachten euch wahrscheinlich sogar in diesem Augenblick.«
»Und wenn sie wollen, daß du weiterlebst, sollten sie es dabei belassen«, sagte Random.
»Damit hast du sicher recht«, erwiderte Julian. »Ich muß zugeben, daß Corwin sehr klug gehandelt hat, als er mich gefangennahm, anstatt mich zu töten. Auf diese Weise schafft ihr es vielleicht durch den Wald.«
»Du sagst das ja nur, weil du weiterleben willst«, meinte Random.
»Natürlich möchte ich weiterleben. Darf ich?«
»Warum?«
»Als Gegenleistung für die Informationen, die ich euch gegeben habe.«
Random lachte.
»Du hast uns sehr wenig gegeben, und ich bin sicher, wir können dir noch mehr entreißen. Das werden wir sehen, sobald wir Gelegenheit zum Anhalten haben. Was, Corwin?«
»Wir werden’s sehen«, sagte ich. »Wo ist Fiona?«
»Irgendwo im Süden, glaube ich«, entgegnete Julian.
»Und Deirdre?«
»Keine Ahnung.«
»Llewella?«
»In Rebma.«
»Gut«, sagte ich. »Ich glaube, du hast mir alles verraten, was du weißt.«
»Ja.«
Wir fuhren schweigend weiter. Nach einiger Zeit begann sich der Wald zu lichten. Ich hatte Morgenstern längst aus den Augen verloren, obwohl ich zuweilen noch Julians Falke erblickte, der mit uns auf gleicher Höhe blieb. Die Straße führte über einen Hang auf einen Paß zwischen zwei purpurnen Bergen zu. Der Tank war noch zu gut einem Viertel gefüllt. Nach einer Stunde fuhren wir zwischen hochaufragenden Felshängen dahin.
»Hier wäre eine günstige Stelle für eine Straßensperre«, sagte Random.
»Möglich«, sagte ich. »Wie steht es damit, Julian?«
Er seufzte.
»Ja«, sagte er schließlich. »Ihr müßtet bald auf eine stoßen. Ihr wißt ja, wie ihr dann handeln müßt.«
Wir wußten es. Als wir die Absperrung erreichten und der in grünes und braunes Leder gekleidete Wächter mit gezogenem Schwert auf uns zukam, deutete ich mit dem Daumen auf den Rücksitz. »Kapiert?« fragte ich.
Und er kapierte schnell; außerdem erkannte er uns.
Hastig hob er die Barriere und grüßte, als wir vorbeifuhren.
Wir mußten zwei weitere Sperren überwinden, ehe wir den Paß hinter uns hatten – und irgendwo unterwegs hatten wir offenbar auch den Falken abgehängt. Wir waren nun mehrere tausend Fuß hoch, und ich bremste den Wagen auf einer Straße, die sich an einer Felswand entlangzog. Zu unserer Rechten ging es steil in die Tiefe.
»Raus!« sagte ich. »Du machst jetzt einen Spaziergang.«
Julian erbleichte.
»Ich werde nicht vor dir kriechen«, sagte er. »Ich werde dich auch nicht um mein Leben anflehen.« Und er stieg aus.
»Himmel!« sagte ich. »Ich habe seit Wochen keine schöne Kriecherei mehr gehabt! Nun ja . . . stell dich mal hier an die Kante. Bitte noch etwas näher heran.« Random zielte mit der Waffe auf seinen Kopf. »Vor kurzem«, sagte ich zu ihm, »erzähltest du uns, du hättest wahrscheinlich jeden unterstützt, der sich Erics Position sichern konnte.«
»Richtig.«
»Schau hinab.«
Er gehorchte. Die Schlucht war unvorstellbar tief.
»Gut«, sagte ich, »daran solltest du denken, falls sich plötzliche Veränderungen ergeben. Und vergiß später auch nicht, wer dir das Leben geschenkt hat, das dir andere bestimmt genommen hätten.
Komm Random, wir fahren weiter.«
Wir ließen ihn stehen. Er atmete heftig und hatte die Stirn gerunzelt.
Als wir die Paßhöhe erreichten, hatten wir fast kein Benzin mehr. Ich ging auf Leerlauf, stellte den Motor ab und ließ den Wagen anrollen.
»Ich habe mir so meine Gedanken über dich gemacht«, sagte Random. »Du hast nichts von deiner alten Arglist verloren. Ich hätte ihn für seine Gemeinheit wahrscheinlich umgebracht. Aber ich glaube, du hast richtig gehandelt. Er wird uns sicher unterstützen, wenn wir Eric in die Zange nehmen können. Aber zunächst meldet er Eric natürlich, was hier geschehen ist.«
»Natürlich«, sagte ich.
»Dabei hast du von uns allen eigentlich den besten Grund, dir seinen Tod zu wünschen.«
Ich lächelte.
»Persönliche Gefühle sind in der Politik, bei rechtlichen Entscheidungen oder bei Geschäftsabschlüssen nicht vom besten.«
Random zündete zwei Zigaretten an und reichte mir eine.