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Als ich zu ihm hinübersah, nickte er; und wir begannen uns anzuschleichen.

In der Ferne tauchte ein schwacher Lichtschimmer wie von einem Lagerfeuer auf.

Wir vernahmen keine weiteren Geräusche, doch er stimmte achselzuckend zu, als ich mich nach rechts wandte, um durch den Wald darauf zuzuhalten.

Es dauerte fast eine Stunde, bis wir das Lager erreichten. Vier Männer saßen um das Feuer, vier weitere schliefen in den Schatten.

Das Mädchen, das an einem Pfahl festgebunden war, hatte den Kopf zur anderen Seite gedreht, doch als ich ihre Gestalt erblickte, begann mein Herz schneller zu schlagen.

»Ist das vielleicht . . .?« flüsterte ich.

»Ja«, erwiderte er. »Ich glaube, du hast recht.«

Dann drehte sie den Kopf, und ich wußte, daß sie es war.

»Deirdre!«

»Ich möchte wissen, was sie angestellt hat«, sagte Random. »Nach den Farben der Kerle zu urteilen, bringen sie sie nach Amber zurück.«

Ich sah, daß die Männer Schwarz, Rot und Silber trugen – die Farben Erics, wie ich von den Trümpfen und sonstwoher wußte.

»Da Eric sie haben will, darf er sie nicht bekommen«, sagte ich.

»Ich habe nie besonders viel für Deirdre übrig gehabt«, sagte Random. »Ganz im Gegensatz zu dir, also . . .« Und er zog seine Waffe.

Ich tat es ihm nach.

»Mach dich bereit«, sagte ich und richtete mich in eine geduckte Stellung auf.

Dann griffen wir an.

Etwa zwei Minuten, so lange mochte es gedauert haben.

Sie beobachtete uns, und der Feuerschein verwandelte ihr Gesicht in eine schiefe Maske. Sie schrie und lachte und rief mit lauterund ängstlicher Stimme unsere Namen, und ich zerschnitt ihre Fesseln und half ihr auf die Füße.

»Sei gegrüßt, Schwester. Begleitest du uns auf der Straße nach Amber?«

»Nein«, sagte sie. »Ich danke euch für mein Leben, aber ich möchte es behalten. Warum wandert ihr nach Amber – eigentlich müßte ich’s mir ja denken können.«

»Es gibt dort einen Thron zu erringen«, sagte Random, was neu für mich war, »und wir wären immerhin daran interessiert.«

»Wenn ihr schlau seid, haltet ihr euch fern und lebt ein wenig länger«, sagte sie. Bei Gott! Sie war hübsch, wenn auch ein wenig mitgenommen und verdreckt.

Ich nahm sie in die Arme, weil ich den Wunsch dazu verspürte, und drückte sie an mich. Random fand eine Weinhaut, und wir alle tranken daraus.

»Eric ist der einzige Prinz in Amber«, sagte sie, »und die Truppen sind ihm treu ergeben.«

»Ich habe keine Angst vor Eric«, erwiderte ich und wußte, daß ich mir dieser Äußerung nicht hundertprozentig sicher war.

»Er läßt euch nie nach Amber hinein«, sagte sie. »Ich war dort gefangen, bis ich vor zwei Tagen auf einem der geheimen Wege fliehen konnte. Ich dachte, ich könnte in den Schatten wandeln, bis alles vorbei war, doch es ist nicht leicht, in unmittelbarer Nähe der Wirklichkeit zu beginnen. Seine Truppen haben mich heute früh gefunden . . . Die Männer wollten mich zurückbringen. Vielleicht hätte er mich getötet – aber da bin ich mir nicht sicher. Jedenfalls bin ich in der Stadt eine reine Marionette gewesen. Ich glaube, Eric ist verrückt – aber auch dazu muß ich sagen, daß ich es nicht genau weiß.«

»Was ist mit Bleys?« wollte Random wissen.

»Er schickt Dinge aus den Schatten zu uns, und Eric ist beunruhigt. Aber er hat uns niemals mit seiner realen Kraft angegriffen, und so ist Eric nervös, und die Macht über Krone und Szepter bleibt ungewiß, auch wenn Eric beides in den Händen hält.«

»Ich verstehe. Hat er jemals von uns gesprochen?«

»Nicht von dir, Random. Aber von Corwin. Die Rückkehr Corwins nach Amber fürchtet er immer noch. Auf den nächsten fünf Meilen ist es noch relativ sicher, aber danach bringt jeder Schritt Gefahren. Jeder Baum, jeder Felsbrocken birgt Fallstricke und Hinterhalte. Und das alles nur wegen Bleys und Corwin. Es lag in Erics Absicht, euch zunächst bis hierhin kommen zu lassen, damit ihr nicht mehr mit den Schatten arbeiten oder euch mühelos seiner Macht entziehen könnt. Es ist einfach unmöglich, daß einer von euch Amber betritt, ohne einem seiner Tricks zum Opfer zu fallen.«

»Trotzdem bist du entkommen . . .«

»Das war ja auch etwas anderes. Ich wollte hinaus, nicht hinein. Vielleicht hat er mich nicht so gut bewacht, wie er es bei einem von euch veranlaßt hätte – das mag an meinem Geschlecht und an meinem mangelnden Ehrgeiz liegen. Wie dem auch sei – ihr seht ja, daß mir die Flucht nicht geglückt ist.«

»Aber zu guter Letzt doch noch, Schwester«, sagte ich, »und dabei soll es bleiben, solange meine Klinge sich für dich schlagen kann.« Und sie küßte mich auf die Stirn und drückte mir die Hand. So etwas hatte mich schon immer weich gestimmt.

»Ich bin sicher, daß wir verfolgt werden«, sagte Random, und auf seine Handbewegung hin verschwanden wir in der Dunkelheit.

Reglos lagen wir unter einem Busch und beobachteten den Weg, auf dem wir gekommen waren.

Nach einer Weile lief unser Geflüster darauf hinaus, daß ich eine Entscheidung treffen mußte. Die Frage war im Grunde ganz einfach: Was nun?

Das Problem war zu grundlegend, und ich konnte nicht mehr so weitermachen. Ich wußte, daß ich den beiden nicht vertrauen konnte, nicht einmal der lieben Deirdre, aber wenn ich schon mit offenen Karten spielen mußte, dann steckte Random zumindest bis zum Hals mit in der Sache drin, und Deirdre war meine Lieblingsschwester.

»Geliebte Blutsverwandte«, setzte ich an. »Ich muß euch ein Geständnis machen.« Randoms Hand lag bereits auf seinem Schwertgriff. Damit zeigte sich das Ausmaß unseres gegenseitigen Vertrauens. Ich hörte es förmlich in seinem Kopf klicken: Corwin hat mich hierhergeführt, um mich zu verraten, das redete er sich ein.

»Wenn du mich hierhergeführt hast, um mich zu verraten«, sagte er, »bringst du mich nicht lebendig in die Stadt.«

»Machst du Witze?« fragte ich. »Ich wünsche mir deine Unterstützung, nicht deinen Kopf. Ich habe nur eins zu sagen: Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was hier eigentlich vorgeht. Ich habe so meine Vermutungen, aber im Grunde weiß ich nicht, wo wir sind, was Amber ist, was Eric tut, wer Eric ist oder warum wir hier in den Büschen hocken und uns vor seinen Soldaten verstecken. Und wo wir schon mal dabei sind – wer ich eigentlich bin, weiß ich auch nicht so recht.«

Das Schweigen dehnte sich unangenehm in die Länge, dann flüsterte Random: »Was soll das heißen?«

»Ja«, sagte Deirdre.

»Das soll heißen«, sagte ich, »daß es mir gelungen ist, dich zum Narren zu halten, Random. Hast du es nicht seltsam gefunden, daß ich mich auf dieser Reise ganz auf das Fahren des Wagens beschränkt habe?«

»Du warst der Boß«, sagte er, »und ich bildete mir ein, daß du alles geplant hattest. Du hast unterwegs ein paarmal ziemlich scharfsinnig reagiert. Ich weiß, daß du Corwin bist.«

»Und das ist ein Umstand, den auch ich erst vor ein paar Tagen herausgefunden habe«, sagte ich. »Mir ist bekannt, daß ich ein Mann bin, den ihr Corwin nennt, aber ich war vor einiger Zeit in einen Unfall verwickelt. Dabei habe ich Kopfverletzungen davongetragen und leide an Amnesie. Ich begreife euer Gerede von den Schatten nicht. Ich habe außerdem kaum Erinnerungen an Amber. Ich erinnere mich nur an meine Verwandten und an die Tatsache, daß ich ihnen nicht besonders vertrauen kann. Das ist meine Geschichte. Was kann man da unternehmen?«

»Himmel!« sagte Random. »Ja, jetzt begreife ich! Ich begreife all die Kleinigkeiten, die mir unterwegs zu schaffen gemacht haben . . . Wie hast du Flora so rückhaltlos überzeugen können?«

»Mit Glück«, erwiderte ich, »und mit instinktiver Arglist, vermute ich. Aber nein! Das stimmt gar nicht! Sie war dumm. Doch jetzt brauche ich euch wirklich.«

»Glaubst du, daß wir es in die Schatten schaffen?« fragte Deirdre, aber sie wandte sich nicht an mich.

»Ja«, sagte Random, »aber ich wäre nicht dafür. Ich möchte gern Corwin in Amber haben und Erics Kopf auf einen Pfahl gespießt sehen. Und um diese Ziele zu erreichen, nehme ich auch einige Risiken auf mich. In die Schatten gehe ich nicht zurück. Das kannst du gern machen, wenn du willst. Ihr alle haltet mich für einen Schwächling und aufgeblasenen Täuscher. Jetzt sollt ihr die Wahrheit kennenlernen. Ich bringe die Sache zu Ende.«