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»Vielen Dank, Bruder«, sagte ich.

»Schicksalshafte Begegnung im Mondlicht«, bemerkte Deirdre.

»Du könntest jetzt noch gefesselt sein«, gab Random zu bedenken, und sie schwieg.

Wir lagen noch eine Zeitlang im Gebüsch, und schließlich betraten drei Männer das Lager und sahen sich um. Dann bückten sich zwei von ihnen und beschnüffelten den Boden.

Schließlich blickten sie in unsere Richtung.

»Werwesen«, flüsterte Random, als sie auf uns zukamen.

Ich sah alles ganz deutlich – allerdings nur schattenhaft. Die Gestalten gingen auf alle viere nieder, und das Mondlicht spielte mit ihrer grauen Kleidung. Dann waren nur noch die sechs schimmernden Augen unserer Jäger zu sehen.

Ich spießte den ersten Wolf mit meiner Silberklinge auf, und ein menschlicher Schrei ertönte. Random köpfte ein Wesen mit einem einzigen Hieb, und zu meiner Verblüffung sah ich, wie Deirdre einen Angreifer durch die Luft wirbelte und ihm mit kurzem, trockenem Geräusch über dem Knie das Rückgrat brach.

»Schnell, dein Schwert!« sagte Random. Ich stieß seinem und Deirdres Opfer die Klinge ins Herz.

»Wir sollten schleunigst hier verschwinden«, sagte Random. »Kommt!« Wir folgten ihm.

»Wohin gehen wir?« fragte Deirdre, nachdem wir uns etwa eine Stunde lang verstohlen durchs Unterholz bewegt hatten.

»Zum Meer«, erwiderte er.

»Warum?«

»Dort finden wir Corwins Erinnerungen.«

»Wo denn? Und wie?«

»Natürlich in Rebma.«

»Man würde dich dort umbringen und dein Fleisch an die Fische verfüttern.«

»Ich komme nicht bis Rebma mit. Du wirst an der Küste übernehmen und mit der Schwester deiner Schwester reden müssen.«

»Meinst du, er soll das Muster noch einmal durchmachen?«

»Ja.«

»Das ist riskant.«

»Ich weiß . . . Hör zu, Corwin«, sagte er. »Du hast mich in letzter Zeit sehr anständig behandelt. Wenn du zufällig doch nicht der echte Corwin bist, ist dein Leben verwirkt. Aber du mußt der Richtige sein. Etwas anderes ist gar nicht möglich – nicht nach dem, was du getan hast, und zwar ohne Erinnerungen. Nein, ich setze dein Leben darauf. Versuch dein Glück mit dem Gebilde, das wir Muster nennen. Du hast die Chance, daß es dir die Erinnerungen zurückgibt. Machst du mit?«

»Wahrscheinlich«, sagte ich. »Aber was ist das Muster?«

»Rebma ist die Gespensterstadt«, erklärte er. »Sie ist die Reflexion Ambers im Meer. Darin findet sich alles dupliziert, was es in Amber gibt, wie in einem Spiegel. Llewellas Leute leben dort unten, als befänden sie sich in Amber. Sie hassen mich wegen ein paar alter Sünden, deshalb kann ich dich nicht dorthin begleiten, aber wenn du offen mit den Leuten redest und vielleicht eine Andeutung über deine Mission machst, glaube ich, daß man dich das Muster von Rebma abschreiten läßt, das zwar spiegelverkehrt ist zu dem Muster Ambers, das aber dieselbe Wirkung haben müßte. Das heißt, es verleiht einem Sohn unseres Vaters die Fähigkeit, sich in den Schatten zu bewegen.«

»Wie kann mir diese Fähigkeit weiterhelfen?«

»Sie müßte dir verraten, wer du bist.«

»Dann tu ich’s«, sagte ich.

»So ist es richtig. Also ziehen wir weiter nach Süden. Es sind noch mehrere Tage bis zur Treppe . . . Gehst du mit ihm, Deirdre?«

»Ich begleite meinen Bruder Corwin.«

Ich wußte, daß sie das sagen würde und freute mich. Ich hatte Angst, doch zugleich war ich froh.

Wir marschierten die ganze Nacht hindurch. Dabei gingen wir drei bewaffneten Suchtrupps aus dem Weg und legten uns früh am Morgen in einer Höhle schlafen.

5

Zwei Nächte vergingen auf unserem Weg zum rosa und schwarzen Sandstrand des großen Meeres. Erst am Morgen des dritten Tages erreichten wir die Küste, nachdem wir gegen Sonnenuntergang einer kleinen Reitertruppe ausgewichen waren. Wir scheuten uns, ins Freie zu treten, ehe wir die richtige Stelle gefunden hatten und Faiellabionin, die Treppe nach Rebma, in kürzester Zeit erreichen konnten.

Die aufgehende Sonne legte Milliarden glitzernder Funken auf die schäumende Brandung, und unsere Augen waren von den hin und her tanzenden Reflexen dermaßen geblendet, daß wir nicht unter die Oberfläche zu schauen vermochten. Wir hatten seit zwei Tagen von Früchten und Wasser gelebt, und ich war sehr hungrig – doch ich vergaß dieses Gefühl, als ich den breiten geneigten Strand betrachtete mit seinen überraschenden Korallenskulpturen in Orange, Rosa und Rot, mit den Häufchen aus Muscheln, Treibgut und kleinen, vom Wasser polierten Steinen; dahinter das Meer: aufsteigend, zurücksinkend, leise plätschernd, ganz Gold und Blau und Purpur, ein Wesen, das seine belebende Brise unter dem violetten Himmel der Morgendämmerung wie eine Labsal verschenkte.

Der Berg Kolvir, der der Morgendämmerung zugewendet ist und der seit Urzeiten Amber schützt wie eine Mutter ihr Kind, erhob sich etwa zwanzig Meilen zu unserer Linken, in nördlicher Richtung, und die Sonne hüllte ihn in einen goldenen Schimmer und ließ den Dunst über der Stadt in allen Regenbogenfarben erglühen.

Random blickte hinüber und knirschte mit den Zähnen; dann wandte er den Kopf ab.

Deirdre berührte meine Hand, deutete mit dem Kopf und begann parallel zum Strand nach Norden zu gehen. Random und ich folgten ihr. Sie hatte offenbar ein Erkennungszeichen ausgemacht.

Etwa eine Viertelmeile weiter hatten wir plötzlich das Gefühl, als erzittere die Erde unter unseren Füßen.

»Hufschlag!« flüsterte Random.

»Schaut!« sagte Deirdre. Ihr Kopf war nach hinten geneigt, sie deutete nach oben.

Ich folgte ihrer Geste mit den Blicken.

Über uns kreiste ein Falke.

»Wie weit ist es noch?« wollte ich wissen.

»Der Steinhügel dort«, sagte sie, und ich entdeckte etwa hundert Meter entfernt das Zeichen – acht Fuß hoch, auf kopfgroßen grauen Steinen, von Wind, Sand und Wasser zernagt, in der Form eines Pyramidenstumpfes.

Der Hufschlag wurde lauter, und im nächsten Augenblick ertönte ein Horn – diesmal nicht Julians Signal.

»Lauft!« schrie Random – und wir rannten.

Nach etwa fünfundzwanzig Schritten stieß der Falke herab. Er stürzte sich auf Random, doch der hatte bereits seine Klinge gezogen und hieb nach dem Tier. Daraufhin wandte sich der Falke Deirdre zu.

Ich riß mein Schwert aus der Scheide und probierte es mit einem Hieb.

Federn wirbelten durch die Luft. Der Falke stieg auf und griff erneut an, und diesmal traf meine Klinge auf etwas Hartes – und ich glaubte, der Falke stürzte vom Himmel, aber dessen war ich mir nicht sicher, denn ich hatte keine Lust, stehenzubleiben und zurückzuschauen. Der Hufschlag war nun schon ziemlich regelmäßig und laut zu hören, der Hornist mußte ganz in der Nähe sein.

Wir erreichten den Steinhügel; Deirdre wandte sich im rechten Winkel nach links und hielt direkt auf das Wasser zu.

Ich wollte mich nicht mit jemandem streiten, der offenbar wußte, was er tat. Ich folgte ihr. Im nächsten Augenblick bemerkte ich aus den Augenwinkeln die Reiter.

Sie waren noch ziemlich weit entfernt, doch sie galoppierten über den Strand herbei, mit gellenden Jagdhörnern und geifernden Hunden, und Random und ich rannten mit voller Kraft und wateten hinter unserer Schwester in die Brandung hinaus.

Wir standen bis zu den Hüften im Wasser, als Random sagte: »Ich bin tot, wenn ich zurückbleibe, und tot, wenn ich weitergehe.«

»Das eine geschieht auf der Stelle«, erwiderte ich, »und über das andere läßt sich vielleicht reden. Komm weiter!«

Und wir wateten tiefer ins Wasser. Wir befanden uns auf einer Art flachem Felsplateau, das sich ins Meer senkte. Ich wußte nicht, wie wir auf unserem weiteren Weg atmen sollten, aber wenn sich schon Deirdre keine Gedanken darüber machte, wollte ich versuchen, ebenfalls ruhig zu bleiben. Aber ich machte mir Sorgen.