Als das Wasser uns bis zum Kinn reichte, war ich sogar ziemlich besorgt, Deirdre ging ungerührt weiter, stieg in die Tiefe. Ich folgte ihr, Random folgte ihr.
Alle paar Schritte gab es eine Vertiefung. Wir waren auf einer gewaltigen Treppe, die Faiella-bionin hieß, das wußte ich nun.
Der nächste Schritt mußte das Wasser über meinem Kopf zusammenschwappen lassen, doch Deirdre war bereits unter der Oberfläche.
Ich machte also einen tiefen Atemzug und wagte mich weiter.
Weitere Stufen senkten sich vor mir, und ich stieg hinab. Ich wunderte mich, daß mein Körper gar keinen Auftrieb hatte; ich blieb aufrecht und kam mit jedem Schritt tiefer, als befände ich mich auf einer ganz normalen Treppe, wenn meine Bewegungen auch etwas verlangsamt waren. Ich begann mich zu fragen, was ich tun sollte, wenn ich den Atem nicht länger anhalten konnte.
Um die Köpfe von Random und Deirdre stiegen Bläschen auf. Ich versuchte festzustellen, was sie machten, doch ich konnte nichts erkennen. Sie schienen ganz normal zu atmen.
Als wir etwa zehn Fuß unter der Oberfläche waren, blickte mich Random von der Seite an, und ich hörte seine Stimme. Es klang, als hätte ich das Ohr an die Unterseite einer Badewanne gelegt, und mit jedem seiner Worte schien jemand gegen den Wannenboden zu treten.
Doch ich konnte ihn gut verstehen.
»Ich glaube nicht, daß sie die Hunde dazu bringen, uns ins Wasser zu folgen, die Pferde schon eher«, sagte er.
»Wie kannst du denn hier atmen?« versuchte ich zu fragen und hörte meine eigenen Worte aus der Ferne.
»Entspann dich«, sagte er hastig. »Wenn du noch den Atem anhältst, laß ihn langsam raus und mach dir keine Sorgen. Du kannst atmen, solange du die Treppe nicht verläßt.«
»Wie ist das möglich?« wollte ich wissen.
»Wenn wir es schaffen, wirst du eine Antwort auf diese Frage bekommen«, sagte er, und seine Stimme klang seltsam hohl im kalten Grün.
Inzwischen waren wir fast zwanzig Fuß tief, und ich drückte etwas Luft aus den Lungen und versuchte eine Sekunde lang einzuatmen.
Da das Ergebnis nicht weiter beunruhigend war, setzte ich den Versuch fort.
Es gab neue Bläschen, doch abgesehen davon bereitete mir der Übergang kein Unbehagen.
Während wir die nächsten zehn Fuß zurücklegten, hatte ich nicht das Gefühl, daß sich der Druck ringsum erhöhte. Wie durch einen grünlichen Nebel sah ich die Treppe, auf der wir uns bewegten. Sie führte scheinbar endlos in die Tiefe, schnurgerade. Und von unten schimmerte ein Lichtschein herauf.
»Wenn wir es durch das Tor schaffen, sind wir gerettet«, sagte meine Schwester.
»Dann bist du gerettet«, korrigierte sie Random, und ich fragte mich, was er wohl angestellt hatte, daß er in Rebma so gehaßt wurde.
»Wenn sie Pferde haben, die den Abstieg noch nie gemacht haben, müssen sie uns zu Fuß folgen«, bemerkte Random. »Dann schaffen wir es.«
»Wenn das stimmt, folgen sie uns vielleicht überhaupt nicht«, bemerkte Deirdre.
Wir beeilten uns.
Als wir etwa fünfzig Fuß tief waren, war das Wasser ringsum kalt und düster, doch der Lichtschimmer schräg unter uns nahm zu, und nach weiteren zehn Schritten vermochte ich die Lichtquelle auszumachen.
Zur Rechten erhob sich eine Säule. Auf ihrer Spitze befand sich eine Art schimmernde Kugel. Etwa fünfzehn Schritte darunter zeichnete sich links ein zweites Gebilde dieser Art ab. Und dahinter offenbar ein weiterer Beleuchtungskörper, wieder rechts – und so weiter.
Als wir in die Nähe der Erscheinung kamen, erwärmte sich das Wasser wieder, und die Treppe selbst wurde deutlich sichtbar; sie war weiß, durchsetzt mit Rosa und Grün, und erinnerte an Marmor, war aber trotz des Wassers überhaupt nicht glatt. Die Stufen waren etwa fünfzig Fuß breit, und zu beiden Seiten erhob sich ein Geländer aus demselben Material.
Fische umschwammen uns während des Abstiegs. Als ich einen Blick über die Schulter warf, war von unseren Verfolgern keine Spur auszumachen.
Es wurde heller. Wir erreichten das erste Licht – bei dem es sich nicht um eine Kugel auf einer Säule handelte. Meine Fantasie mußte der Erscheinung diese Details hinzugedichtet haben, um zumindest den Ansatz einer logischen Erklärung zu finden. Es schien sich um eine etwa zwei Fuß lange Flamme zu handeln, die oben wie aus einer riesigen Düse hervorschoß. Ich nahm mir vor, später danach zu fragen, und sparte meinen Atem – wenn der Ausdruck gestattet ist – für den schnellen Abstieg.
Als wir die beleuchtete Gasse erreicht und sechs weitere Fackeln passiert hatten, sagte Random: »Sie sind hinter uns!«
Wieder blickte ich zurück und sah in der Ferne einige Gestalten auf der Treppe, vier davon auf Pferderücken.
Es ist ein seltsames Gefühl, sich unter Wasser lachen zu hören.
»Na, meinetwegen!« sagte ich und berührte meinen Schwertgriff. »Wo wir es nun schon so weit geschafft haben, spüre ich neue Kräfte in mir!«
Trotzdem beeilten wir uns. Das Wasser links und rechts wurde nun tintenschwarz. Nur die Treppe, auf der wir wie von Sinnen nach unten hasteten, war erleuchtet, und in der Ferne begann ich die vagen Umrisse eines riesigen Torbogens auszumachen.
Deirdre begann zwei Stufen auf einmal zu nehmen und hüpfte uns voraus, und die trommelnden Hufe der verfolgenden Pferde hinter uns ließen die Treppe erbeben.
Die Horde der Bewaffneten, die die Treppe in ganzer Breite ausfüllte, lag weit zurück. Aber die vier Reiter hatten aufgeholt.
Wir folgten Deirdre in ihrem schnellen Lauf, und meine Hand ließ den Schwertgriff nicht mehr los.
Drei, vier, fünf – so viele Lichter passierten wir, ehe ich wieder zurückblickte und feststellte, daß die Reiter noch etwa fünfzig Fuß über uns waren, während wir die Fußsoldaten kaum noch sehen konnten. Vor uns ragte das Tor auf, bis dorthin waren es noch etwa zweihundert Fuß. Riesig, schimmernd wie Alabaster, verziert mit Tritonen, Meeresjungfrauen und Delphinen. Und dahinter schienen sich Leute aufzuhalten.
»Die fragen sich bestimmt, warum wir kommen«, bemerkte Random.
»Die Frage dürfte ziemlich akademisch bleiben, wenn wir es nicht schaffen«, erwiderte ich und lief noch schneller, als ich bemerkte, daß die Reiter zehn Fuß aufgeholt hatten.
Im nächsten Augenblick zog ich mein Schwert, und die Klinge funkelte im Fackelschein. Random folgte meinem Beispiel.
Nach weiteren zwanzig Schritten machten sich die Vibrationen der Hufe auf der grünen Treppe deutlich bemerkbar, und wir fuhren herum, um nicht im Laufen von hinten niedergestreckt zu werden.
Sie waren fast heran. Das Tor erhob sich nur etwa hundert Fuß hinter uns – doch wenn wir die vier Reiter nicht besiegen konnten, hätten es auch hundert Meilen sein können.
Als der Mann, der direkt auf mich zuritt, seine Klinge schwang, zog ich den Kopf ein. Da rechts von ihm und ein Stück dahinter ein zweiter Reiter anrückte, wich ich natürlich auf seine linke Seite aus, in die Nähe des Geländers. Diese Bewegung führte dazu, daß er vor seinem Körper vorbeischlagen mußte, da er die Waffe mit der rechten Hand führte.
Als sein Hieb kam, parierte ich in quarte und stach zu.
Er hatte sich im Sattel vorgebeugt, und meine Schwertspitze drang ihm auf der rechten Seite in den Hals.
Eine riesige Blutwolke wallte wie roter Rauch und wirbelte im grünlichen Licht. Widersinnigerweise regte sich in mir der Wunsch, Van Gogh hätte das sehen können.
Das Pferd galoppierte an mir vorbei, und ich ging von hinten auf den zweiten Reiter los.
Er machte kehrt, um den Hieb zu parieren, mit Erfolg. Aber der Schwung seines Unterwasserritts und die Stärke meines Hiebes rissen ihn aus dem Sattel. Während er noch stürzte, trat ich zu, und er trieb davon. Wieder schlug ich nach ihm, während er über mir schwebte, und er parierte erneut – doch von dieser Bewegung wurde er über das Treppengeländer getragen. Ich hörte ihn schreien, als der Wasserdruck ihn zerquetschte. Dann war er still.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit nun Random zu, der ein Pferd und einen Mann getötet hatte und sich mit einem zweiten Soldaten zu Fuß duellierte. Als ich die beiden erreichte, hatte er seinen Gegner schon getötet und lachte mich an. Ringsum wallte Blut, und mir wurde plötzlich klar, daß ich den irrsinnigen und traurigen Vincent Van Gogh tatsächlich gekannt hatte. Es war wirklich schade, daß er diese Szene nicht malen konnte.