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Die unberittenen Verfolger waren noch etwa hundert Fuß entfernt, und wir machten kehrt und eilten auf den Torbogen zu. Deirdre hatte sich bereits in Sicherheit gebracht.

Wir schafften es. Neben uns erhoben sich zahlreiche Schwerter, und die Verfolger kehrten um. Dann steckten wir die Waffen fort, und Random sagte: »Jetzt ist es aus mit mir«, und wir traten zu der Gruppe, die sich zu unserer Verteidigung formiert hatte.

Random wurde aufgefordert, sein Schwert abzuliefern, und er gehorchte achselzuckend.

Zwei Männer nahmen links und rechts von ihm Aufstellung, ein dritter nahm hinter ihm Aufstellung, und so setzten wir unseren Weg auf der Treppe fort.

In dieser Wasserwelt war mir jedes Zeitgefühl verlorengegangen. Ich glaube allerdings, daß wir gut eine Viertelstunde unterwegs gewesen waren, bis wir endlich unser Ziel erreichten.

Vor uns ragten die goldenen Tore Rebmas auf. Wir gingen hindurch. Wir betraten die Stadt.

Alles schien hinter grünen Schleiern zu liegen. Durchsichtige Gebäude ragten auf; sie wirkten zerbrechlich und waren meistens sehr hoch, sie standen in bestimmten Gruppierungen zusammen und wiesen Farben auf, die durch meine Augen in meinen Geist wehten und Erinnerungen zu wecken suchten. Aber sie hatten keinen Erfolg; das einzige Ergebnis ihrer Bemühungen war der längst vertraute Schmerz des Halb-Erinnerten, des Nicht-Erinnerten. Doch eins wußte ich: Ich war schon einmal durch diese Straßen geschritten – oder durch sehr ähnliche Straßen.

Random hatte seit seiner Festnahme kein einziges Wort gesprochen. Deirdres Konversation hatte sich mit der Frage nach unserer Schwester Llewella erschöpft. Man informierte sie, daß sich Llewella in Rebma aufhielt.

Ich musterte unsere Begleiter. Es waren Männer mit grünem, purpurnem oder schwarzem Haar; sie alle hatten grüne Augen, mit Ausnahme eines Mannes, dessen Augen haselnußbraun schimmerten. Die Männer trugen schuppige knielange Badehosen und Umhänge, überkreuz gelegte Gurte vor der Brust und kurze Schwerter, die an muschelbesetzten Gürteln hingen. Sie besaßen kaum Körperhaare. Niemand sagte etwas zu mir, obwohl uns einige Typen finster anstarrten. Ich durfte meine Waffe behalten.

Wir wurden durch eine breite Straße geführt. Für die Beleuchtung sorgten Laternenflammen, die hier noch dichter standen als auf Faiella-bionin. Man starrte uns aus getönten achteckigen Fenstern nach. Fische mit hellen Bäuchen schwammen an uns vorbei.

Eine kühle Strömung traf uns wie ein Windhauch, als wir um eine Ecke kamen; nach ein paar Schritten folgte eine warme Strömung wie ein Atemzug.

Wir wurden in den Palast geführt, der das Zentrum der Stadt bildete. Ich kannte diesen Palast wie meine Westentasche! Das Gebäude war ein Spiegelbild des Palasts in Amber, gedämpft nur durch den grünen Schimmer, verwirrend verändert durch die zahlreichen Spiegel an den Wänden drinnen und draußen. In dem durchsichtigen Raum, an den ich mich fast erinnerte, saß eine Frau auf einem Thron, und ihre Augen waren rund wie Monde aus Jade, und ihre Augenbrauen schwangen sich empor wie die Flügel olivenfarbener Möwen. Ihr Mund und Kinn waren klein, ihre Wangenknochen hoch und breit und rund. Ein Weißgoldband lag um ihre Stirn, und ihren Hals zierte ein kristallenes Band; daran funkelte ein Saphir, zwischen ihren schönen nackten Brüsten, deren Warzen hellgrün geschminkt waren. Sie trug schuppige blaue Hosen und einen Silbergürtel, und in der rechten Hand hielt sie ein Szepter aus rosa Korallen. Sie trug an jedem Finger einen Ring, und jeder Ring enthielt einen Stein, der in einem anderen Blau funkelte. Sie lächelte nicht, als sie das Wort an uns richtete.

»Was sucht Ihr hier, Ausgestoßene von Amber?« fragte sie, und ihre Stimme war ein lispelndes, sanftes Etwas.

Deirdre antwortete für uns: »Wir flüchten vor dem Zorn des Prinzen, der in der wahren Stadt herrscht – Eric! Um ehrlich zu sein – wir streben seinen Sturz an. Wenn er hier wohlgelitten ist, sind wir verloren und befinden uns in der Gewalt unserer Feinde. Aber ich spüre, daß er hier nicht geliebt wird. Also kommen wir, um Hilfe zu erbitten, gnädige Moire . . .«

»Truppen für einen Angriff auf Amber dürft Ihr von mir nicht erwarten«, erwiderte sie. »Wie Ihr wißt, würde sich das Chaos in meinem Reich widerspiegeln.«

»Nicht das wünschen wir uns von Euch, liebe Moire«, fuhr Deirdre fort, »sondern nur eine Kleinigkeit, die ohne Mühe oder Kosten für Euch und Eure Untergebenen zu verwirklichen ist.«

»Nenn sie! Denn wie du weißt, ist Eric hier fast ebenso unbeliebt wie der Übeltäter, der dort zu deiner Linken steht.« Mit diesen Worten deutete sie auf meinen Bruder, der sie offen und herausfordernd anstarrte, während ein Lächeln um seine Lippen spielte.

Wenn er für seine mir unbekannte Tat büßen mußte, würde er sich der Strafe wie ein wahrer Prinz von Amber unterwerfen – wie sie auch aussehen mochte. Mir fiel plötzlich ein, daß unsere drei toten Brüder vor langer Zeit ebenso gehandelt hatten. Random würde die Strafe auf sich nehmen und die Menschen hier dennoch verspotten; würde noch lachen, wenn das Blut ihm schon im Mund zusammenlief und ihn erstickte, und im Sterben noch würde er einen unwiderruflichen Fluch ausstoßen, der sich erfüllen würde. Auch ich besaß diese Kraft, das erkannte ich plötzlich, und würde sie einsetzen, wenn die Umstände es erforderten.

»Was ich von Euch erbitte«, fuhr Deirdre fort, »soll meinem Bruder Corwin zugutekommen, der zugleich Bruder der Lady Llewella ist, die hier bei Euch lebt. Ich glaube, sie hat Euch nie ein Ärgernis bereitet . . .«

»Das stimmt. Aber warum trägt er seinen Wunsch nicht selbst vor?«

»Eben das gehört zu dem Problem, Lady. Er kann nicht selbst sprechen, denn er weiß nicht, worum er bitten muß. Ein großer Teil seiner Erinnerung ist untergegangen, als Folge eines Unfalls, in den er verwickelt wurde, während er in den Schatten lebte. Wir sind gekommen, um sein Gedächtnis aufzufrischen, um die Erinnerung an die alten Zeiten zu wecken, damit er Eric in Amber entgegentreten kann.«

»Sprich weiter«, sagte die Frau auf dem Thron und musterte mich durch die Schatten ihrer Wimpern.

»In einem bestimmten Teil dieses Gebäudes«, sagte sie, »befindet sich ein Raum, den nur wenige aufzusuchen wagen. In diesem Raum«, fuhr sie fort, »liegt auf dem Boden in feurigen Linien ein Duplikat jener Erscheinung, die wir ›das Muster‹ nennen. Nur ein Kind des letzten Herrn von Amber kann dieses Muster abschreiten, ohne zu sterben; und dieser Gang schenkt dem Betreffenden die Macht über die Schatten.« Bei diesen Worten blinzelte Moire mehrmals, und ich fragte mich, wie viele Untergebene sie wohl auf diesen Weg geschickt hatte, um für Rebma ein wenig Einfluß auf diese Gabe zu gewinnen. Natürlich waren die Versuche vergeblich gewesen. »Indem er das Muster abschreitet«, fuhr Deirdre fort, »müßte Corwin unserer Meinung nach die Erinnerung an sich selbst als Prinz von Amber zurückerhalten. Er kann nicht Amber aufsuchen, um den Gang dort zu tun; dies ist der einzige Ort, an dem sich meines Wissens ein Duplikat befindet, abgesehen von Tirna Nog’th, wohin wir natürlich im Augenblick nicht gehen können.«

Moire schaute wieder zu meiner Schwester, streifte Random mit einem Blick und sah schließlich mich an.

»Ist Corwin bereit, den Versuch zu wagen?« fragte sie.

Ich verbeugte mich.

»Bereit, M’lady«, sagte ich, und sie lächelte.

»Also gut – Ihr habt meine Erlaubnis. Allerdings kann ich Euch außerhalb meines Reiches keine Sicherheitsgarantien geben.«

»Was das angeht, Euer Majestät«, sagte Deirdre, »erwarten wir keine Hilfe, sondern werden uns bei unserer Abreise selbst darum kümmern.«

»Bis auf Random«, sagte Moire, »der hier in Sicherheit sein wird.«