»Was meint Ihr?« fragte Deirdre, da sich Random unter den gegebenen Umständen natürlich nicht selbst äußern konnte.
»Gewiß erinnert Ihr Euch«, erwiderte die Herrscherin, »daß Prinz Random vor einiger Zeit als Freund in mein Reich kam – und anschließend in aller Heimlichkeit mit meiner Tochter Morganthe wieder verschwand.«
»Ich habe davon berichten hören, Lady Moire, doch ich weiß nichts über die Wahrheit oder Verlogenheit dieser Geschichte.«
»Sie ist wahr«, fuhr Moire fort. »Einen Monat später wurde sie mir zurückgebracht. Ihr Selbstmord erfolgte einige Monate nach der Geburt ihres Sohnes Martin. Was habt Ihr dazu zu sagen, Prinz Random?«
»Nichts«, sagte Random.
»Als Martin volljährig wurde«, fuhr Moire fort, »beschloß er das Muster zu beschreiten, denn er war immerhin vom Blute Ambers. Er ist der einzige Angehörige meines Volkes, dem dieses Wagnis gelungen ist. Danach ist er in die Schatten gegangen, und ich habe ihn seither nicht mehr gesehen. Was habt Ihr dazu zu sagen, Lord Random?«
»Nichts«, erwiderte Random.
»Deshalb werde ich Euch bestrafen«, fuhr Moire fort. »Ihr werdet eine Frau meiner Wahl heiraten und mit ihr ein Jahr lang in meinem Reiche wohnen – sonst ist Euer Leben verwirkt. Was sagt Ihr dazu, Random?«
Random sagte nichts – doch er nickte knapp.
Sie schlug mit dem Szepter auf die Armlehne ihres türkisfarbenen Throns.
»Gut«, sagte sie. »So soll es denn sein.«
Und so geschah es.
Wir zogen uns in die Räume zurück, die sie uns zugewiesen hatte, um uns frisch zu machen. Ein wenig später erschien sie an meiner Tür.
»Heil, Moire«, sagte ich.
»Lord Corwin von Amber«, gestand sie, »ich habe mir oft gewünscht, Euch kennenzulernen.«
»Und ich Euch«, log ich.
»Eure Taten sind Legende.«
»Vielen Dank – aber ich erinnere mich kaum noch daran.«
»Darf ich eintreten?«
»Gewiß.« Und ich gab ihr den Weg frei.
Sie betrat die herrlich ausgestattete Zimmerflucht, die sie mir zugewiesen hatte, und setzte sich auf die Kante des orangefarbenen Sofas.
»Wann möchtet Ihr den Versuch mit dem Muster machen?«
»So schnell wie möglich«, erwiderte ich.
Sie überlegte einen Augenblick. »Wo seid Ihr gewesen, in den Schatten?« fragte sie schließlich.
»Sehr weit von hier«, entgegnete ich, »an einem Ort, den ich zu lieben gelernt habe.«
»Seltsam, daß ein Lord von Amber diese Fähigkeit besitzt.«
»Welche Fähigkeit?«
»Zu lieben«, erwiderte sie.
»Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt.«
»Das bezweifle ich«, sagte sie. »Immerhin rühren die Balladen Corwins ans Herz.«
»Majestät ist zu gütig.«
»Aber irrt sich nicht«, erwiderte sie.
»Ich werde Euch eines Tages eine Ballade widmen.«
»Was habt Ihr in den Schatten getan?«
»Ich weiß nur noch, daß ich Berufssoldat war, Madam. Ich kämpfte für jeden, der mich bezahlte. Außerdem schuf ich Melodien und Worte zu vielen bekannten Liedern.«
»Beides erscheint mir logisch und natürlich.«
»Bitte sagt mir, was aus meinem Bruder Random wird.«
»Er muß ein Mädchen aus meinem Volk heiraten. Sie heißt Vialle. Sie ist blind und hat keine Freier in unseren Reihen.«
»Seid Ihr sicher«, sagte ich, »ob Ihr auch zu ihrem Vorteil handelt?«
»Auf diese Weise erringt sie großes Ansehen«, sagte Moire, »selbst wenn er nach einem Jahr verschwindet und niemals zurückkehrt. Was man auch sonst gegen ihn vorbringen kann – daß er ein Prinz von Amber ist, bleibt unbestreitbar.«
»Wenn sie ihn nun zu lieben beginnt?«
»Ist so etwas bei ihm wirklich möglich?«
»Auf meine Art liebe ich ihn auch – als Bruder.«
»Dann ist dies das erste Mal, daß ein Sohn Ambers so etwas sagt – ich schreibe die Worte Eurem poetischen Temperament zu.«
»Wie dem auch sei«, sagte ich. »Versichert Euch, daß Ihr im besten Interesse des Mädchens handelt.«
»Ich habe darüber nachgedacht«, verkündete sie, »und bin mir meiner Sache sicher. Sie wird sich wieder erholen, falls er ihr Kränkungen zufügt, und nach seiner Abreise wird sie an meinem Hof eine große Dame sein.«
»Gut«, sagte ich und wandte den Blick ab, denn Trauer überkam mich – natürlich für das Mädchen. »Was kann ich sagen?« fuhr ich fort. »Vielleicht tut Ihr etwas Gutes. Ich hoffe es jedenfalls.«
Und ich ergriff ihre Hand und küßte sie.
»Ihr, Lord Corwin, seid der einzige Prinz von Amber, dem ich meine Unterstützung geben könnte«, erwiderte sie, »Benedict vielleicht ausgenommen. Er ist schon zweiundzwanzig Jahre fort, und Lir allein weiß, wo seine Knochen ruhen. Es ist ein Jammer.«
»Das wußte ich nicht«, erwiderte ich. »Mein Gedächtnis ist ganz durcheinander. Habt Geduld mit mir. Benedict wird mir fehlen. Aber ob er wirklich tot ist? Er war mein Lehrmeister und unterrichtete mich an allen Waffen. Zugleich war er sehr sanftmütig.«
»Wie du, Corwin«, sagte sie, nahm meine Hand und zog mich heran.
»Nein, im Grunde nicht«, erwiderte ich und nahm auf dem Sofa neben ihr Platz.
»Wir haben vor dem Essen noch viel Zeit«, sagte sie und lehnte sich mit der Schulter an mich.
»Wann essen wir denn?« fragte ich.
»Wann immer ich es anordne«, sagte sie und drehte sich zu mir herum. Ich zog sie an mich und ertastete den Haken des Gürtels, der ihren zarten Leib umschlang. Darunter war es noch zarter, ihr Schamhaar war grün und weich wie junges Moos im Frühling.
Ich bettete sie auf die Couch und widmete ihr eine Ballade ohne Worte, und ihre Lippen antworteten mir, ihr ganzer Körper.
Nachdem wir gegessen hatten – und nachdem ich den Trick des Unterwasseressens gelernt hatte, von dem ich vielleicht später mehr berichten werde, wenn es die Umstände erfordern – erhoben wir uns von unseren Plätzen in dem riesigen Marmorsaal, der mit Netzen und roten und braunen Tauen verziert war, gingen durch einen schmalen Korridor und stiegen unter den Meeresboden hinab – zuerst über eine Wendeltreppe, die sich schimmernd durch absolute Dunkelheit zog. Nach den ersten zwanzig Schritten sagte mein Bruder: »Ach, was soll’s!«, verließ die Treppe und begann daneben in die Tiefe zu schwimmen.
»So geht es tatsächlich schneller«, verkündete Moire.
»Und es ist ein langer Weg«, sagte Deirdre, die die entsprechende Entfernung in Amber kannte.
Und so verließen wir alle die Treppe und schwammen neben dem schimmernden gewundenen Gebilde durch die Dunkelheit.
Es dauerte etwa zehn Minuten bis hinab, doch als unsere Füße den Boden berührten, standen wir fest und sicher auf den Beinen. Licht schimmerte ringsum aus einigen Wandnischen, in denen Flammen flackerten.
»Warum ist dieser Teil des Ozeans im Duplikat Ambers so anders als die sonstigen Gewässer?« wollte ich wissen. »Hier scheinen ganz andere Gesetzmäßigkeiten zu herrschen.«
»Weil es eben so ist«, erwiderte Deirdre, und das ärgerte mich.
Wir befanden uns in einer riesigen Höhle, von der Tunnel in alle Richtungen abgingen. Wir näherten uns einem Tunneleingang.
Nachdem wir ziemlich lange ausgeschritten waren, stießen wir auf Nebengänge, von denen einige durch Türen oder Gitter verschlossen waren, andere nicht.
An der siebenten Öffnung blieben wir stehen. Hier versperrte uns eine riesige graue Tür aus einem schieferähnlichen Material den Weg, in Metall gefaßt, von doppelter Mannesgröße. Beim Anblick dieser Tür kam mir eine vage Erinnerung an die Größe von Tritonen. Im nächsten Moment lächelte Moire – ein Lächeln, das nur für mich bestimmt war –, nahm einen großen Schlüssel von einem Ring an ihrem Gürtel und schob ihn ins Schloß.
Allerdings vermochte sie ihn nicht umzudrehen. Vielleicht war das Schloß seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden.
Random stieß einen Knurrlaut aus, und seine Hand schoß vor, schlug die ihre zur Seite.
Er packte den Schlüssel mit der rechten Hand und drehte ihn herum.
Ein Klicken ertönte.