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Dann schob er die Tür mit dem Fuß auf, und wir alle starrten hinein.

In einem Raum, der die Größe eines Ballsaales hatte, war das Muster angelegt.

Der Fußboden war schwarz und wirkte glatt wie Glas. Auf dem Boden zeichnete sich das Muster ab.

Es schimmerte in kaltem Licht, es bestand aus kaltem Licht und ließ den Raum irgendwie durchsichtig erscheinen. Es handelte sich um ein kompliziertes Filigranwerk schimmernder Energie, hauptsächlich aus Kurven bestehend, wenn es auch zur Mitte hin einige gerade Linien hatte. Die Erscheinung erinnerte mich an eine besonders komplizierte Version eines jener Labyrinthrätsel, die man mit einem Bleistift lösen muß, um sich aus einem Gewirr von Gängen und Sackgassen zu befreien oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Irgendwo im Hintergrund glaubte ich die Worte »Anfang« zu sehen. Die ganze Anlage war in der Mitte etwa hundert Meter breit und ungefähr hundertundfünfzig lang.

Der Anblick ließ in meinem Kopf eine Erinnerung anschlagen, und dann kam der Schmerz. Ich zuckte innerlich vor dem Ansturm zurück. Aber wenn ich ein Prinz von Amber war, dann mußte dieses Muster in meinem Blut, in meinem Nervensystem oder meinen Genen irgendwie aufgezeichnet sein, dann mußte ich richtig darauf reagieren und das verdammte Ding abschreiten können.

Random faßte mich am Arm. »Es ist eine schwere Prüfung«, sagte er. »Aber unmöglich ist es nicht, sonst wären wir jetzt nicht hier. Geh die Sache langsam an und laß dich nicht beirren. Mach dir keine Sorgen wegen der Funkenschauer, die du bei jedem Schritte erzeugst. Sie können dir nicht schaden. Du wirst die ganze Zeit das Gefühl haben, unter Schwachstrom zu stehen, und nach einer Weile wirst du geradezu berauscht sein. Aber das mußt du mit Konzentration überwinden, und vergiß eins nicht – du mußt in Bewegung bleiben! Was immer geschieht, bleib nicht stehen und verlaß den Weg nicht, sonst ist es wahrscheinlich um dich geschehen.« Während er sprach, waren wir weitergegangen. Wir schritten dicht an der rechten Wand entlang um das Muster herum, gingen auf das andere Ende zu.

Die Frauen folgten uns.

Ich flüsterte Random zu: »Ich habe versucht, ihr die Sache auszureden, die sie für dich geplant hat. Sinnlos.«

»Ich hatte schon angenommen, daß du es versuchen würdest«, erwiderte er. »Mach dir keine Sorgen. Ich kann notfalls auch ein Jahr lang auf dem Kopf stehen, und vielleicht läßt man mich schon früher wieder gehen – wenn ich mich übel genug anstelle.«

»Das Mädchen, das sie für dich ausgesucht hat, heißt Vialle. Sie ist blind.«

»Großartig«, sagte er. »Großartiger Witz!«

»Erinnerst du dich an die Grafschaft, von der wir gesprochen haben?«

»Ja.«

»Dann solltest du das Mädchen freundlich behandeln und das ganze Jahr bleiben – das wird mich großzügig stimmen.«

Keine Reaktion.

Dann drückte er mir den Arm.

»Eine Freundin von dir?« fragte er und lächelte leise. »Wie ist sie denn?«

»Abgemacht?« fragte ich lauernd.

»Abgemacht.«

Dann hatten wir die Stelle erreicht, an der das Muster begann, fast in einer Ecke des Raums.

Ich trat vor und betrachtete die eingelegte Feuerlinie, die nahe der Stelle begann, an der mein linker Fuß stand. Das Muster war die einzige Lichtquelle, im Raum. Das Wasser ringsum war kühl.

Ich trat vor und setzte den linken Fuß auf den Weg. Der Schuh war sofort von blauweißen Funken umgeben. Dann zog ich den rechten Fuß nach und spürte sofort die Elektrizität, von der Random gesprochen hatte. Ich machte einen zweiten Schritt.

Ein Knistern ertönte, und ich spürte, wie sich meine Haare aufrichteten. Der nächste Schritt.

Dann begann sich das Ding zu krümmen, fast in die Gegenrichtung. Ich machte zehn weitere Schritte, wobei sich ein gewisser Widerstand aufzubauen begann. Es war, als wäre vor mir eine Barriere aus einer schwarzen Substanz erwachsen, die mich mit jedem Schritt stärker zurückzudrängen versuchte.

Ich kämpfte dagegen an. Plötzlich wußte ich, daß es sich um den Ersten Schleier handelte.

Ihn zu überwinden war eine besondere Leistung, ein gutes Zeichen, ein Signal, daß ich tatsächlich Teil des Musters war. Jedes Heben und Senken des Fußes kostete plötzlich sehr viel Kraft, und Funken sprühten aus meinem Haar.

Ich konzentrierte mich auf die glühende Linie. Schweratmend schritt ich darauf entlang.

Plötzlich ließ der Druck nach. Der Schleier hatte sich vor mir geöffnet – ebenso plötzlich, wie er aufgetreten war. Ich hatte ihn überwunden und damit etwas gewonnen.

Ich hatte ein Stück meiner selbst hinzugewonnen.

Ich sah die papierdünne Haut und die dürren Knochen der Toten in Auschwitz. Ich war in Nürnberg dabei gewesen, das wußte ich. Ich hörte die Stimme Stephen Spenders, der »Wien« aufsagte, und ich sah Mutter Courage über die Bühne schreiten. Ich sah die Raketen von den fleckigen Betonrampen aufsteigen, Peenemünde, Vandenberg, Kennedy, Kyzyl Kum in Kasachstan, und ich berührte mit eigener Hand die große Chinesische Mauer. Wir tranken Bier und Wein, und Shaxpur sagte, er sei voll, und zog ab, um sich zu übergeben. Ich drang in den grünen Wald der westlichen Reservation ein und erbeutete an einem Tage drei Skalps. Im Marschieren begann ich ein Lied zu singen, in das die anderen bald einfielen. Es wurde zu »Auprès de ma Blonde.« Ich erinnerte mich, ich erinnerte mich . . . an mein Leben an dem Ort der Schatten, den seine Bewohner die Erde genannt haben, die große Schattenwelt. Nach drei weiteren Schritten hielt ich eine blutige Klinge in der Hand und sah drei Tote und mein Pferd, auf dem ich dem aufgebrachten Mob der Französischen Revolution entkommen war. Und mehr, unendlich mehr, bis zurück . . .

Ich machte einen weiteren Schritt.

Bis zurück . . .

Die Toten. Sie waren überall. Ein schrecklicher Gestank lag in der Luft, der Geruch von Tod und Verwesung – und ich hörte das Geheul eines Hundes, der totgeschlagen wurde. Schwarze Rauchschwaden füllten den Himmel, und ein eiskalter Wind umtoste mich und trug kleine Regentropfen herbei. Meine Kehle war trocken, meine Hände zitterten, mein Kopf schien zu glühen. Allein taumelte ich dahin, sah meine Umwelt durch den Schleier des Fiebers, das mich verzehrte. In den Gossen lagen Unrat und tote Katzen und der Kot aus Nachttöpfen. Mit klingender Glocke ratterte der Todeswagen vorbei, bespritzte mich mit Schlamm und kaltem Wasser.

Wie lange ich herumwanderte, weiß ich nicht mehr; jedenfalls ergriff eine Frau meinen Arm, und ich sah einen Totenkopfring an ihrem Finger. Sie führte mich in ihre Wohnung, stellte dort aber fest, daß ich kein Geld hatte und kein zusammenhängendes Wort mehr herausbekam. Angst verzerrte ihr bemaltes Gesicht, löschte das Lächeln auf ihren schimmernden Lippen, und sie floh von mir und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ich warf mich auf sie und klammerte mich schutzsuchend an ihrem Fleisch fest.

Später – wieder weiß ich nicht, wieviel Zeit vergangen war – kam ein großer Mann, der Beschützer des Mädchens, versetzte mir einen Schlag ins Gesicht und zerrte mich hoch. Ich packte seinen rechten Bizeps und krallte mich in seinen Arm. Er trug und zerrte mich zur Tür.

Als mir klar wurde, daß er mich in die Kälte hinauswerfen wollte, griff ich noch fester zu, um dagegen zu protestieren. Ich drückte mit aller Kraft, die mir noch verblieben war, und stammelte, flehte ihn an.

Durch Schweiß und tränengeblendete Augen sah ich plötzlich, wie sein Gesicht erschlaffte, und hörte, wie ein Schrei zwischen seinen fleckigen Zähnen hervorbrach.

Ich hatte ihm mit meinem Griff den Oberarm gebrochen.

Er stieß mich mit der linken Hand fort und sank weinend auf die Knie. Ich hockte am Boden, und war einen Augenblick lang klar im Kopf.

»Ich . . . bleibe . . . hier«, sagte ich, »bis ich mich besser fühle. Raus mit dir! Wenn du zurückkommst, töte ich dich!«

»Du hast ja die Pest!« brüllte er. »Morgen holen sie deine Knochen!« Und er spuckte aus, rappelte sich hoch und taumelte ins Freie. Die Frau floh mit ihm.

Ich schleppte mich zur Tür und verriegelte sie. Dann kroch ich ins Bett zurück und schlief ein.