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Ein dumpfer Laut ertönte, und eine zwanzig Zentimeter lange Stahlspitze schimmerte auf meiner Seite des Holzpaneels, das ich eben festhakte. Er hatte sein Schwert geschleudert. Eine riskante Sache, falls ich zu ihm zurückkehrte. Aber er wußte, daß ich so nicht handeln würde, denn es hörte sich an, als konnte die große Tür nicht mehr lange standhalten.

Ich kletterte so schnell ich konnte an den Pflöcken hinab in den Raum, in dem ich geschlafen hatte. Dabei beschäftigte ich mich in Gedanken mit meinem verbesserten Kampfstil. Zuerst war ich eingeschüchtert gewesen von dem Mann, der mich schon einmal besiegt hatte. Aber das mußte ich mir noch genau überlegen. Vielleicht waren die Jahrhunderte auf der Schatten-Erde gar nicht verschwendet gewesen. Vielleicht hatte ich mich in dieser Zeit tatsächlich verbessert. Ich spürte plötzlich, daß ich Eric mit dem Schwert womöglich ebenbürtig war. Und das erfüllte mich mit einem angenehmen Gefühl. Wenn wir uns wiederbegegneten – und dazu kam es bestimmt – und wenn es dann keine Einflüsse von außen gab – wer weiß? Die Chance mußte ich nutzen. Unsere heutige Begegnung hatte ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt, das wußte ich. Die Angst mochte ihn langsamer machen, mochte bei der nächsten Gelegenheit dazu führen, daß er zögerte.

Ich ließ los, sprang die letzten vier Meter hinab und fing den Fall mit federnden Knien ab. Ich hatte die sprichwörtlichen fünf Minuten Vorsprung vor meinen Verfolgern, aber ich war sicher, daß ich die Zeit nutzen und entwischen konnte.

Denn ich hatte die Karten im Gürtel.

Ich zog die Karte mit Bleys’ Abbild und starrte darauf. Meine Schulter tat weh, doch ich vergaß den Schmerz, als mich die Kälte packte.

Es gab zwei Möglichkeiten, von Amber direkt in die Schatten zu entfliehen . . .

Die eine war das Muster, das selten zu diesem Zwecke benutzt wurde.

Eine andere waren die Trümpfe, wenn man sich auf einen Bruder verlassen konnte.

Ich richtete meine Gedanken auf Bleys. Ich konnte ihm ziemlich vertrauen. Er war zwar mein Bruder, aber er steckte in Schwierigkeiten und brauchte meine Hilfe.

Ich starrte ihn an, den Mann mit seiner Flammenkrone, in seinem orangeroten Gewand, mit einem Schwert in der rechten Hand und einem Glas Wein in der linken. In seinen Augen tanzte ein teuflischer Ausdruck, sein Bart war flammendrot, und die Linien auf seiner Klinge bildeten ein flammendes Filigran, das – so erkannte ich plötzlich – ein Stück des Musters nachvollzog. Seine Ringe funkelten. Er schien sich zu bewegen.

Der Kontakt berührte mich wie ein eisiger Wind.

Die Gestalt auf der Karte schien plötzlich lebensgroß zu sein und veränderte die Position, paßte sie der Wirklichkeit an. Die Augen richteten sich nicht genau auf mich, die Lippen bewegten sich.

»Wer ist das?« fragten sie, und ich hörte die Worte.

»Corwin«, sagte ich, und er streckte die linke Hand aus, die nun keinen Weinkelch mehr hielt.

»Dann komm zu mir, wenn du willst.«

Ich streckte die Hand aus, und unsere Finger berührten sich. Ich machte einen Schritt.

Nach wie vor hielt ich die Karte in der linken Hand, doch nun standen Bleys und ich zusammen auf einer Klippe. Auf einer Seite gähnte ein Abgrund, auf der anderen ragte eine gewaltige Festung auf. Der Himmel über uns war flammenfarben.

»Sei gegrüßt, Bleys«, sagte ich und steckte die Karte zu den anderen in meinen Gürtel. »Vielen Dank für die Hilfe.«

Mir war plötzlich schwach, und ich spürte, daß die Wunde an meiner linken Schulter noch immer blutete.

»Du bist ja verwundet!« sagte er und legte mir einen Arm um die Schultern. Ich wollte nicken, verlor aber statt dessen das Bewußtsein.

Später am Abend lag ich ausgestreckt in einem bequemen Stuhl in der Festung und trank Whisky. Wir rauchten, reichten die Flasche hin und her und unterhielten uns.

»Du warst also wirklich in Amber?«

»Genau.«

»Und du hast Eric bei eurem Duell verwundet?«

»Ja.«

»Verdammt! Ich wünschte, du hättest ihn umgebracht!« Dann wurde er nachdenklich. »Na ja, vielleicht ist es doch besser so. Damit wärst du nämlich auf den Thron gekommen. Gegen Eric stehen meine Chancen vielleicht besser als gegen dich. Ich weiß es nicht. Was hast du für Pläne?«

»Jeder von uns erstrebt den Thron«, sagte ich, »es besteht also kein Grund, daß wir uns anlügen. Ich habe nicht die Absicht, dich deswegen umzubringen – das wäre töricht –, doch andererseits gedenke ich meinen Anspruch nicht aufzugeben, nur weil ich hier deine Gastfreundschaft genieße. Random hätte Freude daran, aber er ist derzeit so ziemlich aus dem aktiven Geschehen ausgeschlossen. Von Benedict hat seit längerer Zeit niemand etwas gehört. Gérard und Caine scheinen Eric zu unterstützen und keine eigenen Ansprüche anmelden zu wollen. Das gleiche gilt für Julian. Damit bleiben Brand und unsere Schwestern. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was Brand gerade treibt, aber ich weiß, daß Deirdre machtlos ist, es sei denn, sie und Llewella könnten in Rebma etwas auf die Beine stellen, und Flora ist Erics Anhängerin. Was Fiona im Schilde führt, weiß ich nicht.«

»Damit wären wir beide übrig«, sagte Bleys und schenkte noch einmal die Gläser voll. »Ja, du hast recht. Ich weiß nicht, was in den Köpfen der anderen vorgeht, aber ich vermag unsere Stärken und Schwächen abzuwägen und glaube, ich bin in der besten Position. Du hast klug gehandelt, als du zu mir kamst. Unterstütze mich, dann gebe ich dir eine Grafschaft.«

»Du bist zu gütig«, sagte ich. »Wir werden sehen.«

»Was könntest du sonst tun?« fragte er, und ich merkte, daß die Frage einen sehr wichtigen Punkt berührte.

»Ich könnte eine eigene Armee auf die Beine stellen und Amber belagern«, erwiderte ich.

»Wo in den Schatten liegt denn deine Armee?« wollte er wissen.

»Das ist natürlich meine Sache«, erwiderte ich. »Ich glaube nicht, daß ich mich gegen dich stellen würde. Wenn es um die Herrschaft geht, möchte ich dich, mich, Gérard oder Benedict – wenn er noch lebt – auf dem Thron sehen.«

»Aber am liebsten natürlich dich.«

»Natürlich.«

»Dann verstehen wir uns. Ich glaube, wir können zusammenarbeiten, im Augenblick jedenfalls.«

»Ich bin derselben Meinung«, stimmte ich zu, »sonst hätte ich mich auch nicht in deine Hand begeben.«

Er lächelte in seinen Bart. »Du brauchst jemanden«, sagte er. »Und ich war das kleinere Übel.«

»Stimmt.«

»Ich wünschte, Benedict wäre hier. Ich wünschte, Gérard hätte sich nicht kaufen lassen.«

»Wünsche, Wünsche!« sagte ich. »Nimm deine Wünsche in die eine Hand und in die andere etwas anderes, drücke beide zu, dann siehst du, was sich als reell erweist.«

»Gut gesprochen«, meinte er.

Eine Zeitlang rauchten wir schweigend vor uns hin.

»Wie sehr kann ich dir vertrauen?« fragte er.

»Soweit ich dir vertrauen kann.«

»Dann wollen wir ein Abkommen treffen. Offen gestanden hatte ich dich seit vielen Jahren tot geglaubt. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß du im entscheidenden Augenblick auftauchen und einen eigenen Anspruch anmelden würdest. Aber jetzt bist du da, und damit basta. Verbünden wir uns – werfen wir unsere Streitkräfte zusammen, belagern wir Amber. Wer immer von uns den Kampf überlebt, bekommt die Beute. Wenn wir beide überleben, ach, Himmel! – dann können wir uns immer noch duellieren!«

Ich ließ mir den Vorschlag durch den Kopf gehen. Etwas Besseres konnte ich eigentlich nicht erwarten.

»Ich möchte mal drüber schlafen«, sagte ich. »Meine Antwort bekommst du morgen, einverstanden?«

»Einverstanden.«

Wir leerten unsere Gläser und wandten uns gemeinsamen Erinnerungen zu. Meine Schulter schmerzte etwas, aber der Whisky half mir darüber hinweg, ebenso wie die Salbe, die Bleys darauf gestrichen hatte. Nach einer Weile war die Stimmung schon ziemlich gelockert.

Es ist wohl seltsam, Verwandte zu haben und doch ohne Familie zu sein – denn unser ganzes Leben hindurch waren wir getrennte Wege gegangen. Himmel! Wir redeten den Mond vom Himmel! Zuletzt schlug mir Bleys auf die gesunde Schulter und verkündete, er beginne den Alkohol zu spüren, und ein Bediensteter würde mir am nächsten Morgen das Frühstück bringen. Ich nickte, wir umarmten uns, und er zog sich zurück. Dann trat ich ans Fenster. Von hier oben vermochte ich weit in den Abgrund zu blicken.