Die Waffe bohrte sich bis zum Heft in den Hals des nächsten Gegners.
Bleys sprang zwei Stufen empor und zertrennte dem Mann vor sich die Achillessehne und kippte ihn in die Tiefe.
Dann hieb er aufwärts, riß dem nachfolgenden Kämpfer den Unterleib auf.
Ich stürmte vor, um die Lücke aufzufüllen, um mich unmittelbar hinter ihm aufzuhalten, kampfbereit. Doch er brauchte mich noch nicht.
Mit neu aufflackernder Energie tötete er die beiden nächsten Männer. Ich rief nach einem weiteren Dolch, der mir von hinten gereicht wurde.
Ich hielt die Klinge bereit, bis Bleys wieder langsamer wurde, und tötete damit den Mann, gegen den er kämpfte.
Als die Waffe durch die Luft zischte, stürmte der Mann gerade vor und wurde mehr vom Griff als von der Klinge getroffen. Doch die Wucht des Aufpralls am Kopf genügte, Bleys drückte gegen seine Schulter, und der Mann stürzte ab. Aber schon griff der nächste Soldat an. Obwohl er sich selbst aufspießte, traf er Bleys an der Schulter, und beide taumelten gemeinsam über die Kante.
Wie durch Reflex, in einer jener mikrosekundenschnellen Entscheidungen, deren Rechtfertigung man erst findet, nachdem sie längst gefallen sind, zuckte meine linke Hand zum Gürtel, riß die Schachtel mit den Trümpfen heraus und warf sie Bleys zu, der einen Augenblick lang zu verharren schien – so schnell waren meine Wahrnehmungen und Muskeln. »Fang sie, du Dummkopf!« brüllte ich.
Und er fing das Päckchen auf.
Ich hatte keine Zeit mehr, mich um die weiteren Geschehnisse zu kümmern, da ich schon parieren und zustoßen mußte. Dann begann die letzte Etappe unseres Anstiegs auf den Kolvir-Berg.
Beschränken wir uns auf den Hinweis, daß ich es schaffte und keuchend dastand, als meine Truppen über den Rand kletterten, um mir auf dem letzten Treppenabsatz zur Seite zu stehen.
Wir konsolidierten unsere Streitkräfte und drangen weiter vor.
Es dauerte eine Stunde, bis wir das Große Tor erreichten.
Wir stürmten hindurch. Wir betraten Amber.
Wo immer Eric auch sein mochte, er hatte sicher nicht damit gerechnet, wir würden es bis hierhin schaffen.
Und ich fragte mich, wo Bleys wohl steckte. Hatte er Gelegenheit gefunden, einen Trumpf zu ziehen und zu benutzen, ehe er unten aufprallte? Eine Antwort auf diese Frage würde ich wohl nie erhalten.
Wir hatten die Lage unterschätzt, in vollem Ausmaß. Wir waren hoffnungslos unterlegen, und es blieb uns nichts anderes übrig, als bis zum Äußersten zu kämpfen. Warum hatte ich Bleys törichterweise meine Trümpfe zugeworfen? Ich wußte, daß er kein Spiel besaß, und diese Tatsache hatte wohl meine Reaktion bestimmt, die zudem noch von meinem Aufenthalt auf der Schatten-Erde geprägt worden war. Aber wenn es jetzt zum Schlimmsten kam, hätte ich die Karten zur Flucht benutzen können.
Und es kam zum Schlimmsten.
Wir kämpften bis zum Einbruch der Dämmerung, und zu dieser Zeit war nur noch eine kleine Gruppe von uns am Leben.
Wir waren an einem Punkt etwa tausend Meter innerhalb der Mauern Ambers umzingelt – noch immer weit vom Palast. Wir kämpften in der Defensive – und einer nach dem anderen starben wir. Wir wurden überwältigt.
Llewella oder Deirdre hätten mir Schutz geboten. Warum hatte ich es getan? Ich tötete einen Mann und schlug mir die Frage aus dem Kopf.
Die Sonne ging unter, und Dunkelheit füllte den Himmel. Wir waren nur noch hundert Mann und hatten auf dem Weg zum Palast kaum Fortschritte gemacht.
Dann entdeckte ich Eric und hörte ihn Befehle brüllen. Wenn ich ihn doch nur erreichen könnte!
Aber das konnte ich nicht.
Vermutlich hätte ich in diesem Augenblick kapituliert, um die restlichen Soldaten zu retten, die mir viel zu gute Dienste geleistet hatten.
Aber es gab niemanden, dem ich mich hätte ergeben können, niemanden, der eine Kapitulation verlangte. Eric hätte mich nicht hören können, wenn ich losgebrüllt hätte. Er war weit hinten und befehligte seine Leute.
Und so kämpften wir weiter, und bis auf hundert Mann existierte meine Streitmacht nicht mehr.
Machen wir es kurz.
Man tötete jeden einzelnen unserer Leute.
Mich bedachte man mit stumpfen Pfeilen und einem großen Netz.
Schließlich sank ich zu Boden, wurde niedergeknüppelt und gefesselt, und dann ging alles andere unter bis auf einen Alptraum, der sich an mich klammerte und unter keinen Umständen loslassen wollte.
Wir waren besiegt.
Ich erwachte in einem Verlies unter Amber, und es tat mir leid, daß ich es bis hierhin geschafft hatte.
Die Tatsache, daß ich noch lebte, deutete daraufhin, daß Eric Pläne mit mir hatte. Ich stellte mir Streckbänke und Kammern, Flammen und Zangen vor. Auf feuchtem Stroh liegend, beschäftigte ich mich mit den kommenden Erniedrigungen.
Wie lange war ich bewußtlos gewesen? Ich wußte es nicht.
Ich durchsuchte meine Zelle nach einem Werkzeug, mit dem ich Selbstmord begehen konnte. Aber ich fand nichts Geeignetes.
Meine Wunden brannten wie Sonnen, und ich war ungeheuer müde.
Ich legte mich nieder und schlief erneut ein.
Ich erwachte, und noch immer kümmerte sich niemand um mich. Es gab niemanden zu überzeugen, niemanden zu foltern.
Auch hatte ich nichts zu essen.
Ich lag in der Zelle auf dem Boden, in meinen Mantel gehüllt, und ließ mir alles durch den Kopf gehen, was geschehen war, seitdem ich in Greenwood mein Bewußtsein erlangt und mich einer Spritze widersetzt hatte. Vielleicht hätte ich das lieber nicht tun sollen.
Ich erfuhr, was Verzweiflung bedeutet.
Bald würde sich Eric zum König von Amber krönen. Vielleicht war es schon geschehen.
Aber der Schlaf war etwas Herrliches, und ich war so ungeheuer müde!
Zum erstenmal hatte ich Gelegenheit, mich auszuruhen und meine Wunden zu vergessen.
Die Zelle war dunkel; sie stank und war feucht.
8
Wie oft ich erwachte und wieder einschlief, weiß ich nicht. Zweimal fand ich Brot und Wasser auf einem Tablett an der Tür. Beide Male leerte ich das Tablett. Meine Zelle war nahezu pechschwarz und sehr kühl. Ich wartete und wartete.
Dann holte man mich.
Die Tür wurde aufgerissen, und schwaches Licht fiel herein. Ich blinzelte in die Helligkeit, als mein Name gerufen wurde.
Der Korridor vor der Zelle quoll vor Bewaffneten förmlich über, und so wagte ich keine Risiken.
Ich rieb mir über die Bartstoppeln und ließ mich führen.
Nach einer langen Wanderung erreichten wir den Saal der Wendeltreppe und begannen emporzusteigen. Ich stellte unterwegs keine Fragen, und niemand stillte meinen Wissensdurst.
Als wir oben ankamen, führte man mich tiefer in den eigentlichen Palast. Man brachte mich in ein warmes sauberes Zimmer und befahl mir, mich auszuziehen. Ich gehorchte. Dann stieg ich in ein dampfendes Bad, und ein Bediensteter eilte herbei und schrubbte mich ab, rasierte mich und schnitt mir das Haar.
Als ich wieder trocken war, erhielt ich frische Kleidung in Schwarz und Silber.
Als ich die Sachen angelegt hatte, wurde mir ein schwarzer Umhang um die Schultern gelegt, dessen Schnalle eine Silberrose darstellte.
»Ihr seid bereit«, sagte der Sergeant der Wache. »Hier entlang.«
Ich folgte ihm, und der Wächter folgte mir.
Ich wurde in den hinteren Teil des Palasts geführt, wo mir ein Schmied Eisenbänder um die Hand- und Fußgelenke legte. Die Ketten daran waren zu schwer, als daß ich sie hätte brechen können. Hätte ich mich widersetzt, wäre ich garantiert bewußtlos geschlagen worden, und das Ergebnis wäre dasselbe gewesen. Da ich keine Lust hatte, erneut bewußtlos geschlagen zu werden, ließ ich alles mit mir geschehen.
Dann wurden die Ketten von mehreren Wächtern hochgehoben, und ich wurde wieder in den vorderen Teil des Palasts geführt. Ich verschwendete keinen Blick auf die herrliche Ausstattung ringsum. Ich war ein Gefangener. Wahrscheinlich würde ich bald tot sein oder auf einer Streckbank liegen. Was immer ich auch anstellte – ich konnte nichts richtig machen. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, daß wir Spätnachmittag hatten, und es gab keinen Anlaß zur Nostalgie, als wir Zimmer durchschritten, in denen wir als Kinder gespielt hatten.