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Ich wurde durch einen langen Korridor in den großen Bankettsaal geführt.

Überall standen Tische. Menschen saßen daran; viele von ihnen waren mir bekannt.

Die herrlichen Gewänder der Edelleute Ambers schimmerten, und Musik schwebte durch den Fackelschein und über das Essen auf dem Tisch – das allerdings noch niemand angerührt hatte.

Ich entdeckte bekannte Gesichter – zum Beispiel Flora – und auch etliche Fremde. Den Sänger Lord Rein – ja, ich selbst hatte ihn in den Ritterstand erhoben – hatte ich seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen. Er wich meinem Blick aus.

Ich wurde an das untere Ende des riesigen Mitteltisches geführt und durfte mich dort setzen.

Die Wächter bauten sich hinter mir auf. Sie befestigten die Enden meiner Ketten in Ringen, die in den Boden eingelassen waren. Der Sitz am Kopfende meines Tisches war noch leer.

Die Frau zu meiner Rechten erkannte ich nicht, doch links von mir saß Julian. Ich ignorierte ihn und starrte auf die Dame, eine hagere Blondine.

»Guten Abend«, sagte ich. »Wir sind uns, glaube ich, noch nicht vorgestellt worden. Mein Name ist Corwin, Corwin von Amber.«

Sie sah den Mann zu ihrer Rechten hilfesuchend an, einen massigen rothaarigen Burschen mit zahlreichen Sommersprossen. Er wandte den Blick ab und begann ein lebhaftes Gespräch mit der Frau zu seiner Rechten.

»Ihr könnt ruhig mit mir sprechen, wirklich«, sagte ich. »Es steckt nicht an.«

Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ich bin Carmel«, sagte sie. »Wie geht es Euch, Prinz Corwin?«

»Ein hübscher Name«, erwiderte ich. »Und mir geht es gut. Was hat ein nettes Mädchen wie Ihr an einem solchen Ort zu suchen?«

Hastig trank sie einen Schluck Wasser.

»Corwin«, sagte Julian lauter als notwendig. »Ich glaube, die Lady findet dich aufdringlich und abstoßend.«

»Was hat sie denn mit dir heute abend schon geredet?« Er errötete nicht. Er wurde bleich.

»Das reicht jetzt aber!«

Ich reckte mich und rasselte absichtlich laut mit den Ketten. Abgesehen von dem dramatischen Effekt erfuhr ich auf diese Weise, wieviel Bewegungsraum ich hatte. Natürlich nicht genug. Eric war vorsichtig.

»Komm näher heran und flüstere mir deine Einwände zu, Bruder«, sagte ich.

Aber das tat er nicht.

Da ich der letzte gewesen war, der an den Tischen Platz nahm, dauerte es wahrscheinlich nicht mehr lange. Und darin irrte ich mich nicht.

Fünf Fanfarenstöße ertönten, und Eric trat in den Saal.

Alle standen auf.

Nur ich nicht.

Die Wächter mußten mich an den Ketten hochziehen und festhalten.

Eric lächelte und kam rechts von mir die Stufen herab. Unter dem dicken Hermelinmantel waren seine Farben kaum noch zu erkennen.

Er ging zum Kopfende des Tisches und stellte sich vor seinen Stuhl. Ein Bediensteter baute sich hinter ihm auf, und die Mundschenke machten ihre Runde und füllten die Pokale.

Als alle gefüllt waren, hob er sein Gefäß.

»Mögt Ihr ewig in Amber leben«, sagte er, »das alle Ewigkeit überdauern wird.« Und die Gäste hoben ihre Gläser.

Nur ich rührte mich nicht.

»Heb das Glas!« sagte Julian.

»Heb’s dir sonstwohin«, sagte ich.

Das tat er nicht, sondern starrte mich nur wütend an. Aber im nächsten Augenblick beugte ich mich vor und nahm mein Glas.

Einige hundert Leute saßen zwischen uns, doch meine Stimme war deutlich zu hören. Erics Blick war starr auf mich gerichtet, während ich sagte: »Auf Eric, der am unteren Ende des Tisches sitzt!«

Julian schüttete sein Glas auf dem Boden aus. Die anderen kamen seinem Beispiel nach, doch ich vermochte den größten Teil meines Weins zu trinken, ehe mir das Glas aus der Hand geschlagen wurde.

Eric setzte sich, und die Edelleute taten es ihm nach, und man ließ mich los, ließ mich wieder in meinen Sitz fallen.

Nun wurden die Gerichte aufgetragen, und da ich hungrig war, aß ich so freudig wie alle anderen, und mehr als die meisten.

Das Essen dauerte gut zwei Stunden lang.

Während der ganzen Zeit sagte niemand ein Wort zu mir, und auch ich enthielt mich jeder Bemerkung. Aber meine Gegenwart machte sich bemerkbar; unser Tisch war stiller als die anderen.

Caine saß ein Stück weiter oben an unserem Tisch. Rechts von Eric. Ich vermutete, daß Julian in Ungnade gefallen war. Weder Random noch Deirdre waren anwesend. Ich erkannte zahlreiche andere Edelleute, die ich früher zu meinen Freunden gezählt hatte, doch kein einziger erwiderte meinen Blick.

Daraus schloß ich, daß es nur noch einer reinen Formalität bedurfte, Eric zum König von Amber zu machen.

Und ich brauchte nicht lange darauf zu warten.

Nach dem Essen gab es keine großartigen Reden. Eric stand einfach auf.

Neue Fanfarentöne, und ein heiseres Murmeln in der Luft.

Dann bildete sich eine Prozession, die langsam in den Thronsaal Ambers marschierte.

Ich wußte, was nun kam.

Eric stand vor dem Thron, und alle verbeugten sich.

Natürlich bildete ich die Ausnahme, doch ich wurde energisch in die Knie gezwungen.

Heute war der Krönungstag.

Stille trat ein. Gleich darauf trug Caine das Kissen mit der Krone herein, mit der Krone Ambers. Er kniete nieder und erstarrte in dieser Stellung, die Krone darreichend.

Dann wurde ich hochgerissen und nach vorn gezerrt. Ich wußte, was mich erwartete. Blitzartig wurde mir die Wahrheit bewußt, und ich begann mich zu wehren. Doch ich wurde niedergeschlagen und vor der Throntreppe auf die Knie angehoben. Die angenehme Musik steigerte sich – es war »Greensleeves« –, und hinter mir sagte Julian: »Seht die Krönung eines neuen Königs in Amber!« Dann flüsterte er mir zu: »Nimm die Krone und reiche sie Eric. Er wird sich selbst krönen.«

Ich starrte auf die Krone von Amber, die auf dem von Caine dargereichten Kissen lag.

Sie war aus Silber geschmiedet und hatte sieben Spitzen, die jeweils von einem Edelstein abgeschlossen wurden. Sie war mit Smaragden besetzt, und links und rechts schimmerte je ein riesiger Rubin.

Ich regte mich nicht, dachte an die vielen Male, da ich das Gesicht meines Vaters unter dieser Krone gesehen hatte.

»Nein«, sagte ich einfach und spürte einen Hieb an der linken Wange.

»Nimm sie und gib sie Eric!« wiederholte er.

Ich versuchte nach ihm zu schlagen, doch man hatte die Ketten eng angezogen.

Wieder wurde ich geprügelt.

Ich starrte auf die hohen Spitzen der Krone.

»Also gut«, sagte ich schließlich und griff danach.

Ich hielt sie eine Sekunde lang in beiden Händen, setzte sie mir mit schneller Bewegung auf den Kopf und erklärte: »Hierdurch kröne ich mich, Corwin, zum König von Amber!«

Die Krone wurde mir sofort wieder abgenommen und auf das Kissen zurückgestellt. Mehrere Schläge trafen mich auf den Rücken. Die Menschen im Saal begannen zu murmeln.

»Und jetzt versuch es noch mal«, sagte Julian. »Nimm die Krone und reiche sie Eric.«

Wieder ein Schlag.

»Gut«, sagte ich, als ich spürte, daß mein Hemd feucht wurde.

Diesmal schleuderte ich das Staatssymbol, in der Hoffnung, Eric ein Auge damit auszustechen.

Doch er fing die Krone mit der rechten Hand auf und lächelte auf mich herab, während ich brutal zusammengeschlagen wurde.

»Vielen Dank«, sagte er. »Nun hört mich an, Ihr Anwesenden und auch Ihr, die Ihr aus den Schatten lauscht – ich übernehme von diesem Tage an Krone und Thron. Ich ergreife das Szepter des Königreichs von Amber. Ich habe mir den Thron in fairem Kampf errungen und besteige ihn mit dem Rechte meines Blutes.«

»Lügner!« brüllte ich, und eine Hand wurde mir über den Mund gelegt.

»Hiermit kröne ich mich – Eric der Erste, König von Amber.«

»Lang lebe der König!« riefen die Edelleute dreimal hintereinander.

Dann beugte er sich vor und flüsterte mir zu: »Deine Augen haben den schönsten Anblick genossen, den sie jemals sehen werden . . . Wachen! Bringt Corwin in die Schmiede und brennt ihm die Augen aus! Er soll sich an die herrlichen Szenen dieses Tages als die letzten erinnern, die er jemals vor Augen hatte! Dann werft ihn in die Schwärze des tiefsten Verlieses unter Amber, auf daß sein Name vergessen sei!«