Ich rauchte und trank und genoß das Gefühl, Eric irgendwie besiegt zu haben. Wenn er die Wahrheit erfuhr, mochten die Folgen für mich tödlich sein. Aber ich wußte, daß er keine Ahnung hatte.
Also freute ich mich, rauchte und trank und streckte mich im Lichte dessen, was geschehen war.
Ja, im Licht.
Ich hatte einen winzigen Streifen Helligkeit entdeckt, irgendwo rechts von mir.
Können Sie sich vorstellen, was mir das bedeutete?
Sehen wir es mal so: Ich war in einem Krankenhausbett erwacht und erfuhr, daß ich mich viel zu schnell erholt hatte. Wissen Sie, was ich damit sagen will?
Meine Wunden heilen schneller als die Verletzungen anderer. Alle Lords und Ladies von Amber besitzen diese Fähigkeit.
Ich hatte die Pest überlebt, ich hatte den Marsch auf Moskau überstanden . . .
Mein Körper regeneriert sich schneller und besser, als ich es jemals bei anderen erlebt habe. Bei Nervengewebe dauert es nur etwas länger, das ist alles. Mein Sehvermögen kehrte zurück – das hatte diese Entdeckung zu bedeuten, dieser herrliche Streifen Helligkeit, irgendwo rechts von mir.
Nach einer Weile wußte ich, daß es sich um das kleine vergitterte Fenster in meiner Zellentür handelte.
Meine Finger ertasteten die Tatsache, daß mir neue Augen gewachsen waren. Dieser Vorgang hatte drei Jahre gedauert, aber ich hatte es geschafft. Dies war die winzige Chance, die ich schon erwähnt habe – jener Vorgang, den nicht einmal Eric richtig abzuschätzen wußte, weil die Familienmitglieder in mancher Hinsicht doch sehr verschieden sind. Insoweit hatte ich ihn besiegt; ich wußte, daß mir neue Augäpfel wachsen konnten. Mir war bald klar geworden, daß das Nervengewebe meines Körpers nachwachsen konnte, wenn man ihm genug Zeit ließ. In den preußisch-französischen Kriegen hatte ich eine schwere Rückgratverletzung davongetragen. Nach zwei Jahren war die Lähmung verschwunden gewesen. Ich hatte von Anfang an die Hoffnung genährt – eine vage Hoffnung, das will ich gern eingestehen –, daß ich dasselbe mit meinen ausgebrannten Augäpfeln vollbringen könnte. Und ich hatte recht behalten. Das Sehvermögen kehrte langsam zurück.
Wie lange noch bis zum Jahrestag von Erics Krönung? Ich blieb stehen, und mein Herz begann schneller zu klopfen. Sobald man bemerkte, daß ich das Augenlicht zurückgewonnen hatte, würde ich es wieder verlieren.
Deshalb mußte ich fliehen, ehe die vier Jahre vorüber waren.
Aber wie?
Bis jetzt hatte ich mir kaum Gedanken darüber gemacht, denn selbst wenn ich eine Möglichkeit fand, aus der Zelle auszubrechen, war mir doch der Weg aus der Stadt – oder auch nur aus dem Palast – ganz gewiß versperrt; immerhin war ich blind und allein.
Doch jetzt . . .
Die Tür zu meiner Zelle war ein großes, schweres, metallgefaßtes Ding, in etwa fünf Fuß Höhe von einem winzigen Gitter durchbrochen, durch das man sehen konnte, ob ich noch lebte – falls sich jemand dafür interessierte. Selbst wenn ich das Gitter herausnehmen konnte, vermochte ich durch die Öffnung nicht an das Schloß heranzukommen. Unten gab es eine kleine Klappe – groß genug für das Essen, und das war schon alles. Die Scharniere befanden sich entweder draußen oder zwischen Tür und Türpfosten; ich konnte ihre Stellung nicht genau bestimmen. Jedenfalls kam ich nicht heran. Es gab keine Fenster und keine anderen Türen.
Es war fast, als wäre ich blind – nur war da eben das schwache und beruhigende Licht hinter dem Gitter. Ich wußte, daß meine Sehkraft noch nicht völlig wiederhergestellt war. Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Aber selbst wenn ich wieder richtig hätte sehen können – in der Zelle war es pechschwarz. Dies war mir bekannt – weil ich die Verliese unter Amber eben kannte.
Ich wanderte erneut hin und her und überdachte meine Lage, beschäftigte mich mit allem, was mir vielleicht helfen konnte. Da war meine Kleidung, meine Matratze und genug feuchtes Stroh. Ich hatte auch Streichhölzer – gab aber den Gedanken, das Stroh anzuzünden, schnell wieder auf. Ich glaubte nicht, daß jemand herbeieilen und die Tür öffnen würde. Eher würde mich der Wächter auslachen, wenn er überhaupt etwas bemerkte. Beim letzten Bankett hatte ich einen Löffel mitgehen lassen. Eigentlich wollte ich ja ein Messer stibitzen, doch Julian hatte mich dabei erwischt, wie ich eins zur Hand nahm, und hatte es mir entrissen. Er wußte allerdings nicht, daß dies mein zweiter Versuch war. Der Löffel steckte bereits in meinem Stiefel.
Aber was konnte mir das gute Stück jetzt nützen?
Ich hatte Geschichten von Gefangenen gehört, die sich mit den seltsamsten Gegenständen einen Weg in die Freiheit graben konnten – Gürtelschnallen (so etwas besaß ich nicht) und so weiter. Aber ich hatte nicht die Zeit, den Grafen von Monte Christo zu spielen. Ich mußte innerhalb weniger Monate entkommen, sonst konnte mir auch das neue Augenlicht nicht weiterhelfen.
Die Tür bestand hauptsächlich aus Holz. Eichenholz. Vier Metallstreifen hielten sie zusammen. Ein Band führte im oberen Teil ganz herum, ein zweites weiter unten, unmittelbar über dem Türchen, und zwei verliefen von oben nach unten, links und rechts an dem fußbreiten Gitter vorbei. Die Tür öffnete sich nach außen, das wußte ich noch, und das Schloß befand sich zu meiner Linken. Wenn ich mich recht erinnerte, war die Tür etwa fünf Zentimeter dick, und ich wußte auch noch die ungefähre Position des Schlosses – einen Eindruck, den ich bestätigte, indem ich mich gegen die Tür lehnte und an der Stelle die Spannung überprüfte. Ich wußte auch, daß die Tür zusätzlich verriegelt war, aber darüber konnte ich mir später noch Gedanken machen. Vielleicht konnte ich den Griff des Löffels zwischen Türkante und Türöffnung nach oben gleiten lassen.
Ich kniete mich auf meine Matratze und kratzte mit dem Löffel ein Viereck in die Tür, in dessen Mitte das Schloß liegen mußte. Ich arbeitete, bis mir die Hand schmerzte – ein paar Stunden lang. Dann fuhr ich mit dem Fingernagel über die Oberfläche. Ich hatte noch keine große Kerbe ins Holz gegraben, aber es war wenigstens ein Anfang. Ich nahm den Löffel in die linke Hand und machte weiter, bis auch sie schmerzte.
Ich hoffte, daß Rein wieder einmal auftauchen würde. Ich glaubte, ihn mit dem nötigen Nachdruck überreden zu können, mir seinen Dolch anzuvertrauen. Da er sich aber nicht blicken ließ, schabte ich weiter.
Tag um Tag arbeitete ich, bis ich etwa einen Zentimeter tief in das Holz eingedrungen war. Sobald ich die Schritte eines Wächters hörte, schob ich das Bettgestell wieder an die gegenüberliegende Mauer und legte mich mit dem Rücken zur Tür darauf. Wenn der Mann vorbei war, setzte ich meine Arbeit fort. Obwohl ich meine Hände zum Schutz in ein Tuch einwickelte, das ich mir von meiner Kleidung abgerissen hatte, holte ich mir zahlreiche Blasen, die aufplatzten, und das rohe Fleisch darunter begann zu bluten. Ich legte also eine Pause ein, um die Wunden heilen zu lassen. In dieser Zeit wollte ich planen, was nach dem Ausbruch zu tun war.
Wenn ich tief genug in der Tür war, wollte ich den Riegelbalken anheben. Das Geräusch des fallenden Holzes würde vermutlich einen Wächter alarmieren. Aber bis dahin war ich längst draußen. Mit einigen festen Tritten konnte ich das Stück herausfallen lassen, an dem ich gerade arbeitete. Sobald die Tür aufschwang, sah ich mich dem Wächter gegenüber. Der Mann würde bewaffnet sein, ich nicht. Ich mußte es mit ihm aufnehmen.
Vielleicht fühlte sich der Mann zu sicher – wahrscheinlich nahm er an, ich könnte nichts sehen. Andererseits mochte er Angst empfinden bei der Erinnerung daran, wie ich nach Amber gekommen war. Wie auch immer – er mußte sterben, und ich wollte seine Waffen an mich nehmen. Ich umspannte mit der linken Hand meinen rechten Bizeps und spürte, wie sich die Fingerspitzen berührten. Himmel! Ich war ja ausgemergelt! Egal, ich war vom Blute Ambers und spürte, daß ich einen gewöhnlichen Gegner sogar in dieser Situation überwältigen konnte. Vielleicht machte ich mir damit etwas vor, aber ich mußte es versuchen.