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Wenn ich durchkam, wenn ich dann eine Klinge in der Hand hielt, konnte mich nichts davon abhalten, zum Muster vorzudringen. Ich wollte es beschreiten und mich dann von der Mitte aus in einen Schatten meiner Wahl versetzen lassen. Dort wollte ich mich erholen, ohne die Dinge zu überstürzen. Und wenn es mich ein Jahrhundert kostete – ich wollte alles perfekt vorbereiten, ehe ich wieder gegen Amber vorging. War nicht ich der Herrscher hier? Hatte ich mich nicht vor den Augen aller gekrönt, ehe Eric dasselbe getan hatte? Ich würde meinen Anspruch auf den Thron schon durchsetzen!

Nach etwa einem Monat waren meine Hände verheilt, und von der Schaberei bildeten sich gewaltige Schwielen. Ich hörte die Schritte eines Wächters und zog mich auf die andere Seite der Zelle zurück. Ein leises Quietschen ertönte, und mein Essen wurde unter der Tür hindurchgeschoben. Und wieder erklangen Schritte, verloren sich in der Ferne.

Ich kehrte zur Tür zurück. Ich brauchte gar nicht erst hinzuschauen – ich wußte, was sich auf dem Tablett befand; ein trockenes Stück Brot, ein Krug mit Wasser, und wenn ich Glück hatte, auch ein Stück schimmeliger Käse. Ich zog die Matratze zurecht, kniete mich darauf und betastete die Rille. Ich war etwa halb durch.

Dann hörte ich das leise Lachen.

Es ertönte hinter mir.

Ich wandte mich um und brauchte gar nicht erst meine Augen zu bemühen, um zu wissen, daß noch jemand in der Zelle war.

Unmittelbar vor der linken Wand stand ein Mann und kicherte vor sich hin.

»Wer seid Ihr?« fragte ich, und meine Stimme hörte sich seltsam an. Da wurde mir bewußt, daß ich seit langer Zeit nicht mehr gesprochen hatte.

»Fliehen«, sagte er. »Er versucht zu fliehen.« Und wieder lachte er.

»Wie seid Ihr hier hereingekommen?«

»Zu Fuß«, entgegnete er.

»Von wo? Wie?«

Ich riß ein Streichholz an. Das Licht schmerzte meinen noch sehr empfindlichen Augen, doch ich hielt es in die Höhe.

Ein kleiner Mann. Winzig, könnte man sagen. Etwa fünf Fuß groß und bucklig. Haar und Bart waren so lang und dicht wie bei mir. Das einzige hervorstechende Merkmal in der Pelzpracht waren die lange Hakennase und die nahezu pechschwarzen Augen, die sich im Lichtschein zusammengezogen hatten.

»Dworkin!« rief ich überrascht.

Und er lachte.

»So heiße ich. Und wie heißt Ihr?«

»Kennt Ihr mich nicht wieder, Dworkin?« Ich zündete ein zweites Streichholz an und hielt es mir vors Gesicht. »Schaut einmal genau hin. Vergeßt den Bart und das Haar. Stellt Euch vor, ich wäre etliche Pfund schwerer. Ihr habt mich in exquisitem Detail auf mehreren Kartenspielen festgehalten.«

»Corwin«, sagte er schließlich. »Ich erinnere mich an Euch. Jawohl.«

»Ich hatte Euch für tot gehalten.«

»Das bin ich aber nicht. Seht Ihr?« Und er drehte sich im Kreise. »Wie geht es Eurem Vater? Habt Ihr ihn kürzlich gesehen? Hat er Euch hierhergesteckt?«

»Oberon ist nicht mehr in Amber«, erwiderte ich. »Mein Bruder Eric herrscht in der Stadt, und ich bin sein Gefangener.«

»Dann habe ich gewisse Vorrechte«, sagte er, »denn ich bin Oberons Gefangener.«

»Oh? Niemand von uns wußte, daß Vater Euch eingesperrt hatte.«

Ich hörte ihn weinen.

»Ja«, sagte er nach einer Weile. »Er hat mir nicht getraut.«

»Warum nicht?«

»Ich sagte ihm, ich hätte eine Möglichkeit gefunden, Amber zu vernichten. Ich habe ihm die Methode beschrieben, und da hat er mich eingesperrt.«

»Das war ungerecht von ihm«, sagte ich.

»Ich weiß«, stimmte er zu, »aber er gab mir eine schöne Wohnung und viele Dinge, die ich erforschen konnte. Nur besuchte er mich nach einer gewissen Zeit nicht mehr. Er brachte immer Männer mit, die mir Tintenkleckse zeigten und mich aufforderten, Geschichten darüber zu erzählen. Das war ganz lustig, bis ich eine Geschichte erzählte, die mir selbst nicht gefiel, und einen seiner Begleiter in einen Frosch verwandelte. Der König war zornig, als ich ihn nicht zurückverwandeln wollte. Ich habe inzwischen so lange niemanden mehr gesehen, daß ich den Kerl sogar jetzt noch zurückverwandeln würde, wenn er darauf bestünde. Einmal . . .«

»Wie seid Ihr hierher gekommen, in meine Zelle?« fragte ich noch einmal.

»Ich hab’s Euch doch gesagt. Zu Fuß.«

»Durch die Mauer?«

»Natürlich nicht. Durch die Schatten-Mauer.«

»Niemand kann in Amber durch die Schatten schreiten. In Amber gibt es keine Schatten.«

»Hihi, man muß sich nur auskennen und ein bißchen schummeln«, sagte er.

»Wie?«

»Ich entwarf einen neuen Trumpf und bin hindurchgeschritten, um mal zu sehen, was sich auf dieser Seite der Mauer tut. Ach je – da fällt mir ein . . . ich kann ja ohne den Trumpf nicht zurück! Ich muß einen neuen zeichnen. Habt Ihr irgend etwas zu essen?«

»Nehmt ein Stück Brot«, sagte ich und reichte ihm den Laib. »Und hier ist ein Stück Käse dazu.«

»Dank sei Euch, Corwin«, und er verschlang die Brocken und trank anschließend meinen Wasserkrug leer. »Wenn Ihr mir jetzt einen Stift und ein Stück Pergament geben könntet, kann ich in meine Räume zurückkehren. Ich möchte gern noch ein Buch zu Ende lesen. Unser Gespräch hat mich gefreut. Die Sache mit Eric ist bedauerlich. Ich komme ein andermal wieder, dann können wir uns ausführlicher unterhalten. Wenn Ihr Euren Vater seht, sagt ihm bitte, er soll nicht zornig sein, weil ich . . .«

»Ich habe weder Schreibstift noch Pergament«, stellte ich fest.

»Meine Güte!« rief er aus. »Wie unzivilisiert.«

»Ich weiß. Eric ist eben nicht besonders zivilisiert.«

»Nun denn, was habt Ihr statt dessen? Meine Räume gefallen mir doch besser als dieser Ort. Zumindest sind sie besser beleuchtet.«

»Ihr habt mit mir gegessen«, sagte ich, »und jetzt möchte ich Euch um einen Gefallen bitten. Wenn Ihr mir die Bitte erfüllt, dann will ich alles in meiner Macht Stehende tun, um die Angelegenheit zwischen Euch und Vater zu bereinigen, das verspreche ich Euch.«

»Was wollt Ihr?« fragte er.

»Ich bin seit langer Zeit ein großer Bewunderer Eurer Arbeit«, sagte ich. »Und es gibt ein Motiv, das ich mir stets von Eurer Hand gewünscht habe. Kennt Ihr den Leuchtturm von Cabra?«

»Natürlich. Ich bin oft dort gewesen. Ich kenne den Wächter Jopin. Früher habe ich öfter mit ihm Schach gespielt.«

»Vor allen Dingen habe ich mir eins ersehnt – eine Eurer magischen Skizzen des großen grauen Turms – das ist mein Herzenswunsch.«

»Ein einfaches Thema«, sagte er, »und auch ganz reizvoll. Ich habe früher einmal ein paar Grundskizzen davon gemacht, doch weiter bin ich nicht gekommen. Es kam mir immer andere Arbeit dazwischen. Wenn Ihr möchtet, hole ich Euch eine der Zeichnungen.«

»Nein«, sagte ich. »Ich wünsche mir etwas Dauerhafteres, das mir hier in der Zelle Gesellschaft leisten soll – um mich zu trösten, und andere, die vielleicht nach mir hier leben müssen.«

»Löblich«, sagte er. »Was habt Ihr Euch als Material gedacht?«

»Ich habe hier einen Stift«, erwiderte ich (der Löffel war inzwischen ziemlich scharf) »und hätte das Bild gern an der gegenüberliegenden Wand, damit ich es anschauen kann, wenn ich mich ausruhe.«

Er schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: »Die Beleuchtung ist aber ziemlich schlecht.«

»Ich habe mehrere Streichholzheftchen«, erwiderte ich. »Ich werde die Hölzer aneinander anzünden und hochhalten. Wenn der Vorrat knapp wird, können wir auch etwas von dem Stroh verbrennen.«

»Die Arbeitsbedingungen sind nicht gerade ideal . . .«

»Ich weiß«, sagte ich, »und ich entschuldige mich dafür, großer Dworkin, aber etwas Besseres kann ich Euch leider nicht bieten. Ein Kunstwerk von Eurer Hand würde mein bescheidenes Dasein unvorstellbar bereichern.«

Er kicherte vor sich hin.

»Also gut. Aber Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr mir hinterher Licht zur Verfügung stellt, damit ich mir einen Rückweg in meine Gemächer aufzeichnen kann.«