»Einverstanden«, sagte ich und griff in die Tasche.
Ich hatte drei volle Streichholzhefte und ein angebrochenes.
Ich drückte ihm den Löffel in die Hand und führte ihn zur Wand.
»Habt Ihr Euch mit dem Stift vertraut gemacht?« fragte ich.
»Ja – ein angespitzter Löffel, nicht wahr?«
»Ja. Ich mache Licht, sobald Ihr bereit seid. Ihr müßt schnell zeichnen, da mein Vorrat an Streichhölzern beschränkt ist. Ich sehe die Hälfte für den Leuchtturm vor, und die andere Hälfte für Eure Sache.«
»Gut«, sagte er. Ich zündete ein Streichholz an, und er begann die feuchte graue Wand mit Linien zu überziehen.
Zuerst zeichnete er ein hohes Rechteck als eine Art Rahmen. Dann begann er mit energischen Strichen den Leuchtturm zu umreißen.
So unzurechnungsfähig er sonst war – seine Zeichenkunst war ungeschmälert. Ich hielt jedes Streichholz mit den Fingerspitzen, spuckte mir auf Daumen und Zeigefinger der anderen Hand und ergriff das bereits abgebrannte Ende, drehte das ganze Gebilde herum und ließ das Streichholz völlig abbrennen, ehe ich das nächste anzündete.
Als das erste Heft mit Streichhölzern aufgebraucht war, hatte er den Turm abgeschlossen und beschäftigte sich mit Meer und Himmel. Ich ermutigte ihn, indem ich mit jedem Strich anerkennend vor mich hin murmelte.
»Großartig, wirklich großartig«, sagte ich, als das Werk fast vollendet war. Zuletzt ließ er mich ein weiteres Streichholz verschwenden, damit er seine Signatur anbringen konnte. Ich war nun fast mit der zweiten Packung am Ende.
»Jetzt wollen wir es bewundern«, meinte er.
»Wenn Ihr in Eure Räumlichkeiten zurück wollt, müßt Ihrmir das Bewundern überlassen«, sagte ich. »Wir haben zu wenige Streichhölzer, um uns noch als Kunstkritiker zu betätigen.«
Er schmollte ein wenig, ging dann aber an die andere Wand und begann zu zeichnen, sobald das erste Streichholz entflammt war.
Er zeichnete einen Arbeitsraum mit einem Schädel auf dem Tisch, daneben einen Globus, reihenweise Bücher an allen Wänden.
»Das ist gut«, sagte er, als ich mit dem dritten Heftchen durch war und den angebrochenen Streichholzvorrat in Angriff nahm.
Es kostete sechs weitere Streichhölzer, bis er fertig war und das Werk signiert hatte.
Er starrte darauf, während das achte Streichholz brannte – ich hatte nur noch zwei –, dann machte er einen Schritt darauf zu – und war verschwunden.
Schon versengte mir die Flamme den Finger, und ich ließ das Hölzchen fallen, das zischend im Stroh verlöschte.
Zitternd stand ich da, von seltsamen Gefühlen bewegt, und im nächsten Augenblick hörte ich seine Worte und spürte seine Gegenwart neben mir. Er war zurückgekommen!
»Mir ist da noch etwas eingefallen«, sagte er. »Wie könnt Ihr überhaupt das Bild sehen, wo es hier doch so dunkel ist?«
»Oh, ich kann im Dunkeln sehen«, erwiderte ich. »Ich habe so lange darin gelebt, daß ich mich geradezu damit angefreundet habe.«
»Ich verstehe. Ich wollte es nur wissen. Streicht noch ein Hölzchen an, damit ich wieder verschwinden kann.«
»Aber gern«, sagte ich und nahm mein vorletztes Zündholz. »Beim nächsten Mal solltet Ihr aber Euer eigenes Licht mitbringen – ich habe jetzt keine Streichhölzer mehr.«
»Gut.« Ich machte Licht, und er betrachtete seine Zeichnung, ging darauf zu und verschwand von neuem.
Ich wandte mich hastig um und betrachtete den Leuchtturm von Cabra, ehe die Flamme verlöschte. Ja, die Fähigkeit regte sich. Ich spürte sie.
Doch genügte das letzte Streichholz?
Nein, vermutlich nicht.
Es erforderte eine längere Periode der intensiven Konzentration, ehe ich einen Trumpf zur Flucht verwenden konnte.
Was ließ sich verbrennen? Das Stroh war zu feucht und mochte nicht brennen. Es wäre schlimm, den Fluchtweg vor Augen zu haben – den Weg in die Freiheit –, ohne ihn benutzen zu können.
Ich brauchte eine Flamme, die eine Zeitlang brannte.
Meine Matratze! Es handelte sich um einen mit Stroh gefüllten Stoffsack. Das Stroh war bestimmt trockener als das andere, und der Stoff mochte ebenfalls brennen.
Ich fegte die Hälfte des Steinbodens frei. Dann suchte ich den angespitzten Löffel, um damit den Strohsack zu öffnen. Und ich fluchte. Dworkin hatte mein Handwerkszeug mitgenommen!
Ich zerrte und riß an dem Ding.
Schließlich ging der Stoff auf, und ich zog das trockene Stroh aus der Mitte, häufte es auf und legte den Bezug daneben, als weitere Nahrung für das Feuer, falls ich es brauchte. Je weniger Rauch, desto besser. Wenn zufällig ein Wächter vorbeikam, mochte er aufmerksam werden. Aber die Wahrscheinlichkeit war nicht besonders groß, da man mich erst vor kurzem versorgt hatte und ich nur eine Mahlzeit am Tag erhielt.
Ich zündete mein letztes Streichholz an, benutzte es dazu, die Papierhülle der Streichhölzer anzuzünden. Als die Flamme brannte, hielt ich sie an das Stroh.
Fast hätte es nicht geklappt. Obwohl das Stroh aus dem Kern meiner Matratze kam, war es feuchter, als ich angenommen hatte. Doch endlich begann es zu glühen, dann zu flackern. Ich mußte zwei weitere leere Zündholzheftchen anzünden, bis es soweit war – und ich war froh, daß ich sie nicht in das Toilettenloch geworfen hatte.
Ich legte das dritte auf das Stroh, nahm den Stoffbezug in die linke Hand, richtete mich auf und betrachtete die Zeichnung.
Als die Flammen höher wurden, kroch der Feuerschein an der Wand empor, und ich konzentrierte mich auf den Turm und erinnerte mich daran. Ich glaubte den Schrei einer Möwe zu hören, spürte so etwas wie eine salzige Brise und hatte das Empfinden, daß das Bild immer realer wurde.
Schließlich warf ich den Bezug auf das Feuer, und die Flammen verlöschten einen Augenblick lang, ehe sie noch höher flackerten. Ich nahm den Blick nicht von der Zeichnung.
Dworkins Hand besaß noch immer den alten Zauber, denn bald kam mir der Leuchtturm so real vor wie die Zelle. Dann war er die einzige Wirklichkeit, während die Zelle zu einem Schatten hinter mir verblaßte. Ich hörte das Plätschern der Wellen und spürte so etwas wie die Nachmittagssonne auf den Schultern.
Ich trat vor, doch mein Fuß berührte das Feuer nicht.
Ich stand auf dem sandigen, mit Felsbrocken übersäten Ufer der kleinen Insel Cabra mit dem großen grauen Leuchtturm, der den Schiffen Ambers in der Nacht den Weg wies. Eine Horde erschrockener Möwen umflog mich kreischend, und mein Lachen verschmolz mit der Brandung und dem Freiheitslied des Windes. Amber lag dreiundvierzig Meilen links hinter mir.
Ich hatte es geschafft.
10
Ich ging zum Leuchtturm hinüber und erstieg die Steintreppe, die zur Tür auf der Westseite führte. Sie war groß, schwer und wasserdicht. Und sie war verschlossen. Etwa dreihundert Meter hinter mir befand sich ein kleines Pier. Zwei Boote waren dort vertäut – ein Ruderboot und ein geschlossenes Segelboot. Die beiden Boote schwankten leicht auf den Wellen, und das Wasser hinter ihnen schimmerte grau in der Sonne. Ich verharrte einen Augenblick, um den Anblick zu genießen. Es war so lange her, daß ich überhaupt etwas gesehen hatte, und so kamen mir die beiden Boote eine Sekunde lang fast überwirklich vor. Ich mußte ein Schluchzen unterdrücken, machte kehrt und klopfte an die Tür.
Nach längerer Zeit wiederholte ich das Klopfen.
Endlich hörte ich ein Geräusch von innen, und die Tür schwang auf; die Scharniere quietschten.
Leuchtturmwächter Jopin musterte mich mit blutunterlaufenen Augen. Sein Atem stank nach Whisky. Er war etwa fünfeinhalb Fuß groß und ging dermaßen gebückt, daß er mich an Dworkin erinnerte. Sein Bart war so lang wie der meine und rauchfarben, bis auf einige gelbe Flecke in der Nähe seiner ausgetrocknet wirkenden Lippen. Seine Haut hatte Poren wie eine Apfelsinenschale; Wind und Wetter hatten sie gegerbt, daß sie wie das Furnier eines wertvollen alten Möbelstücks aussah. Die dunklen Augen waren zusammengekniffen, konzentrierten sich auf mich. Wie so mancher Schwerhörige sprach er übermäßig laut.
»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?« fragte er.