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Er schenkte zwei Gläser voll, hob das seine und sagte: »Das Glück sei mit Euch, Corwin. Ich hoffe, ich sehe Euch eines Tages wieder.«

Ich sagte nichts zu der Tatsache, daß er mich mit meinem richtigen Namen angeredet hatte, und er lächelte, als er erkannte, daß mir der Umstand nicht entgangen war.

»Ihr seid ein guter Mann, Jopin«, sagte ich. »Wenn ich Erfolg habe mit dem, was ich jetzt in Angriff nehmen muß, werde ich nicht vergessen, was Ihr für mich getan habt.«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich wünsche mir nichts«, sagte er. »Ich bin hier vollauf zufrieden, ich habe Spaß an der Arbeit. Es gefällt mir, mich um diesen Turm zu kümmern. Er ist mein ganzes Leben. Wenn Ihr Erfolg habt in Eurem Bemühen – nein, verratet mir nichts davon, bitte! Ich will es nicht wissen! –, dann kommt Ihr hoffentlich manchmal auf eine Partie Schach vorbei.«

»Gewiß«, versprach ich ihm.

»Ihr könnt morgen früh die Schmetterling nehmen, wenn Ihr wollt.«

»Vielen Dank.«

Die Schmetterling war sein Segelboot.

»Ehe Ihr geht«, sagte er, »möchte ich Euch bitten, mein Sehglas zu nehmen, den Turm zu ersteigen, und einmal ins Tal Garnath zu schauen.«

»Was gibt es dort zu sehen?«

Er zuckte die Achseln.

»Das müßt Ihr Euch schon selbst zusammenreimen.«

Ich nickte.

»Also gut, ich tu’s!«

Dann begannen wir uns angenehm zu betrinken und legten uns schließlich zu Bett. Der alte Jopin würde mir fehlen. Abgesehen von Rein war er der einzige Freund, den ich seit meiner Rückkehr von der Schattenerde gefunden hatte. Ich dachte an das Tal, das eine Flammenhölle gewesen war, als wir es durchquerten. Was mochte daran so ungewöhnlich sein – jetzt, vier Jahre später?

Heimgesucht von Träumen über Werwölfe und Sabbate schlief ich tief die ganze Nacht, und der Vollmond stieg über der Welt auf.

Beim Einsetzen der Dämmerung stand ich auf. Jopin schlief noch. Darüber war ich froh, denn ich hätte mich nur ungern von ihm verabschiedet; außerdem hatte ich das seltsame Gefühl, daß ich ihn nie wiedersehen würde.

Ich erstieg den Turm und betrat den Raum mit dem großen Licht, das Fernglas in der Hand. Ich ging zum Fenster, das zur Küste hinüberschaute, und richtete das Fernglas auf das Tal.

Nebel hing über dem Gehölz, ein kaltes, feucht aussehendes graues Gewebe, das sich an die Spitzen der kleinen, verkrüppelten Bäume klammerte. Die Bäume waren düster, und ihre Äste verhakten sich ineinander wie die Finger ringender Hände. Dunkle Gebilde huschten dazwischen umher, und aus ihren Bewegungen schloß ich, daß es sich nicht um Vögel handelte. Wahrscheinlich waren es Fledermäuse. In dem Riesenwald machte sich etwas Unheimliches und Böses bemerkbar, das erkannte ich nun – und plötzlich erkannte ich die Empfindung. Ich selbst lauerte dort. Meine Rache begann Gestalt anzunehmen!

Mein Fluch hatte diese Veränderung bewirkt. Ich hatte das friedliche Garnath-Tal in seine heutige Form gebracht: ein Symbol meines Hasses auf Eric und all die anderen, die es zugelassen hatten, daß sein Machthunger gestillt wurde, die es zugelassen hatten, daß ich das Augenlicht verlor. Dieser Wald gefiel mir ganz und gar nicht, und während ich hinüberstarrte, erkannte ich, wie sehr mein Haß dort schon Gestalt gewonnen hatte. Ich wußte es, weil die Erscheinungen dort ein Teil meiner selbst waren.

Ich hatte einen neuen Eingang zur wirklichen Welt geschaffen. Garnath war ein neuer Weg durch die Schatten. Durch düstere, böse Schatten. Nur die Gefährlichen, die böse Denkenden mochten diesen Weg beschreiten. Hier lag der Ausgangspunkt der Dinge, von denen Rein gesprochen hatte, jener Dinge, die Eric zu schaffen machten. Das war auf eine Weise gut, wenn sie ihn in Atem hielten. Aber während ich durch das Glas starrte, kam mir der Gedanke, daß ich hier etwas sehr Schlimmes getan hatte. Damals konnte ich nicht ahnen, daß ich jemals wieder das helle Tageslicht schauen würde. Nachdem ich nun wieder sehen konnte, wurde mir klar, daß ich hier etwas entfesselt hatte, dessen Bändigung gehörige Anstrengungen erforderte. Schon jetzt schienen sich dort drüben seltsame Gestalten zu bewegen. Ich hatte etwas getan, das niemals zuvor getan worden war, auch nicht während Oberons langer Herrschaft: ich hatte einen neuen Weg nach Amber eröffnet. Und ich hatte ihn nur den schlimmsten Kräften aufgetan. Der Tag würde kommen, da sich der Herrscher von Amber – wer immer es sein mochte – dem Problem gegenübersah, diesen schrecklichen Weg zu schließen. All dies ging mir durch den Kopf, während ich hinüberstarrte, während ich erkannte, daß die Erscheinung ein Produkt meines Schmerzes, meines Zorns und meines Hasses war. Wenn ich Amber eines Tages mein eigen nannte, mochte ich es mit meinem eigenen üblen Werk aufnehmen müssen – was stets ein teuflisch schwieriges Bemühen ist. Ich senkte das Glas und seufzte.

Na, und wenn schon, sagte ich mir. Bis es soweit war, sollte Eric noch viele schlaflose Nächte davon erleiden!

Ich nahm ein kleines Frühstück zu mir, rüstete die Schmetterling aus, so schnell es ging, legte ab und setzte Segel. Jopin war sonst um diese Zeit schon auf den Beinen, aber vielleicht sagte er ebenso ungern Lebewohl wie ich.

Ich steuerte das Boot aufs Meer hinaus. Ich wußte, wohin ich fuhr, ohne genau zu wissen, wie ich an dieses Ziel gelangen sollte. Ich wollte durch die Schatten segeln, durch seltsame Gewässer, aber dieser Weg war besser als jede Route an Land – vor allem, solange sich dort mein Fluch bemerkbar machte.

Ich nahm Kurs auf ein Land, das fast ebenso prächtig war wie Amber, auf einen nahezu unsterblichen Ort, eine Welt, die es eigentlich gar nicht gab, nicht mehr. Es war ein Ort, der vor Urzeiten im Chaos versunken war, von dem es aber irgendwo noch einen Schatten geben mußte. Ich mußte diesen Ort nur finden, erkennen und mir wieder aneignen, wie ich es vor langer Zeit schon einmal getan hatte. Mit den eigenen Streitkräften im Rücken, wollte ich dann etwas unternehmen, das Amber nie zuvor erlebt hatte. Ich wußte noch nicht, wie ich meine Pläne verwirklichen wollte, doch ich gab mir das Versprechen, daß am Tage meiner Rückkehr in der unsterblichen Stadt die Waffen sprechen würden.

Während ich in die Schatten segelte, flog ein weißer Vogel meiner Schöpfung herbei und ließ sich auf meiner rechten Schulter nieder, und ich schrieb einen Zettel, band ihn an seinem Bein fest und schickte ihn fort. Der Zettel verkündete: »Ich komme«, und trug meine Unterschrift.

Ich wollte nicht ruhen, bis meine Rache erfüllt war, bis ich den Thron erstiegen hatte; und Adieu allen, die sich zwischen mich und dieses Ziel stellten.

Die Sonne stand tief zu meiner Linken, und der Wind blähte das Segel und trieb mich voran.

Ich war frei und in Bewegung; ich hatte es bis hierher geschafft. Jetzt hatte ich die Chance, die ich mir von Anfang an gewünscht hatte.

Ein schwarzer Vogel meiner Schöpfung flog herbei und ließ sich auf meiner linken Schulter nieder, und ich schrieb einen Zettel, band ihn an seinem Bein fest und schickte ihn damit nach Westen.

Darauf stand: »Eric – ich komme zurück«, und die Unterschrift lautete: »Corwin, Lord von Amber.«

Ein Dämonenwind trieb mich an der Sonne vorbei.