»Und nun«, sagte er, »meine Freunde, ist die Zeit gekommen für die Jünger des Antichristen. Wir sind Christen. Wir vergeben. Sie müssen eine Chance bekommen, Jesus anzunehmen. Selbst der größte Sünder muss eine letzte, eine allerletzte Chance bekommen. AUF DIE KNIE MIT EUCH!«
Ein Mann versetzte Ford einen Schlag auf den Hinterkopf, so dass er unwillkürlich auf die Knie sackte. Kate ließ sich neben ihm nieder und zog ihn an sich.
»Betet zu unserem Herrn Jesus Christus für die Erlösung ihrer Seelen!«
Doke ging auf ein Knie nieder, Eddy tat es ihm gleich, und bald kniete der gesamte Mob im dunkelroten Glimmen des ersterbenden Feuers auf dem Wüstensand und murmelte vor sich hin.
Eine weitere Explosion donnerte in der Tiefe der Mesa, und der Boden bebte.
»Ihr Jünger des Antichristen«, sagte Eddy, »bekennt ihr, dass ihr vom Glauben abgefallen seid, und nehmt Jesus als euren persönlichen Erlöser an? Nehmt ihr Jesus aus vollem Herzen an, ohne Vorbehalt? Werdet ihr euch uns anschließen und fortan zu Gottes großer Armee gehören?«
Absolute Stille. Ford drückte Kates Hand. Er wünschte, sie würde etwas sagen, wünschte, sie würde einfach zustimmen. Aber wenn er das selbst nicht fertigbrachte, wie konnte er es da von ihr erwarten?
»Will denn nicht einer von euch der Ketzerei abschwören und sich zu Jesus bekennen? Will nicht einer vor dem Feuer dieser Welt und dem ewigen Feuer der nächsten gerettet werden?«
Ford spürte Zorn in sich hochkochen. Er hob den Kopf. »Ich bin Christ, ich bin Katholik. Ich habe keine Ketzerei begangen, der ich abschwören müsste.«
Eddy atmete tief durch und sprach mit bebender Stimme, die Hand dramatisch erhoben. »Katholiken sind keine Christen. Der Katholizismus frönt dem Götzendienst, der Verehrung der Heiligen Jungfrau Maria.«
Verunsichertes Murmeln war zu hören.
»Das ist der Geist des Dämonenglaubens, der offenkundig wird in der missbräuchlichen und eitlen Wiederholung des Ave Maria im Gebet des Rosenkranzes. Das ist Götzendienst, ein schweres Vergehen gegen die Gebote Gottes.«
Rasender Zorn erfasste Ford, doch er bemühte sich, ihn zu zügeln. Er stand auf. »Wie können Sie es wagen?«, sagte er mit leiser Stimme. »Wie können Sie es wagen?«
Eddy hob den Revolver und richtete ihn auf Ford. »Eure Priester haben euch Katholiken seit eintausendfünfhundert Jahren einer Gehirnwäsche unterzogen. Ihr lest nicht in der Bibel. Ihr tut, was die Priester euch sagen. Euer Papst betet Götzenbilder an und küsst Statuen die Füße. Das Wort Gottes ist eindeutig – wir sollen uns vor Jesus beugen und vor keinem anderen, weder vor Maria noch vor den sogenannten Heiligen. Schwöre deiner gotteslästerlichen Religion ab – oder du bekommst den Zorn des Herrn zu spüren.«
»Ihr seid es, die hier Gott lästern«, sagte Ford und starrte die Menge an, »ihr seid ein Klümpchen Spucke im Antlitz Gottes!«
Eddy hob die zitternde Waffe und zielte auf Fords rechtes Auge. »Die Rede, die du führst, kommt direkt aus dem Mund der Hölle! Schwöre deiner Kirche ab!«
»Niemals.«
Die Waffe zitterte kaum noch, als Eddy aus wenigen Zentimetern Entfernung zielte und den Finger am Abzug krümmte.
76
Reverend Don T. Spates knallte den Hörer auf. Das Telefon funktionierte immer noch nicht. Seine Internetverbindung auch nicht. Er dachte daran, hinüber ins Medienbüro der Silver Cathedral zu gehen und den Fernseher einzuschalten, um nachzusehen, ob vielleicht etwas in den Nachrichten kam, doch er konnte sich nicht dazu überwinden. Er hatte Angst, hier wegzugehen, Angst, von seinem Schreibtisch aufzustehen – Angst vor dem, was er entdecken könnte.
Er sah auf seine Armbanduhr. Halb fünf Uhr morgens. Noch zwei Stunden bis zum Morgengrauen. Sobald die Sonne aufging, würde er schnurstracks zu Dobson gehen. Er würde sich in die Hände seines Anwalts begeben. Dobson würde mit der Sache schon fertig werden. Sicher, das würde einiges kosten. Aber nach dieser Nacht würden die Spenden nur so hereinströmen. Er musste nur diesen Sturm aussitzen. Er hatte schon genug Stürme erlebt, wie damals, als diese beiden Huren ihn an die Zeitungen verraten hatten. Damals hatte er gedacht, die Welt müsse untergehen. Und doch war er einen Monat später wieder im Geschäft gewesen, hatte in seiner Kathedrale gepredigt, und nun war er der heißeste Fernsehprediger in der Branche.
Er zog sein Taschentuch heraus, trocknete sein Gesicht, wischte sich über Augen, Stirn, Nase und Mund und hinterließ einen braunen Make-up-Fleck auf dem weißen Leinen. Angewidert starrte er darauf und warf das Tuch in den Mülleimer. Er schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein, gab einen ordentlichen Schuss Wodka dazu und trank mit zitternder Hand.
Er stellte die Tasse so heftig ab, dass sie entzweibrach.
Die kostbare Sèvres-Tasse hatte sich genau in der Mitte gespalten. Er hielt die Bruchstücke in Händen, starrte sie an und schleuderte sie dann in plötzlichem Zorn durch den Raum.
Schwankend erhob er sich, ging zum Fenster, riss es auf und starrte hinaus. Draußen war alles dunkel und still. Die Welt schlief. Aber nicht in Arizona. Dort draußen könnten gerade schreckliche Dinge geschehen. Doch das war nicht seine Schuld. Er hatte sein Leben dem Werk Christi auf Erden gewidmet. Ich glaube an Ehre, Religion, Pflicht und Vaterland.
Wenn nur endlich die Sonne aufgehen wollte. Er stellte sich vor, wie geborgen er sich in dem gedämpften, holzvertäfelten Büro seines Anwalts an der 13th Street fühlen wurde, und dieser Gedanke war tröstlich. Sobald es hell war, würde er seinen Chauffeur wecken und nach Washington fahren.
Während er auf die dunkle, regennasse Straße hinabblickte, hörte er in der Ferne Sirenengeheul. Gleich darauf sah er etwas die Laskin Road entlangkommen: Polizeiautos und einen Mannschaftswagen mit blitzenden Warnlichtern. Er trat hastig zurück und knallte mit klopfendem Herzen das Fenster zu. Die waren nicht seinetwegen hier. Natürlich nicht. Was bildete er sich für einen Unsinn ein? Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück und griff erneut nach Kaffee und Wodka. Dann fiel ihm die zerbrochene Tasse ein. Zum Teufel mit Tassen. Er schnappte sich die Flasche, setzte sie an die Lippen und trank.
Er stellte die Flasche ab und stieß die Luft aus. Vermutlich verjagten die bloß ein paar Nigger aus dem Yachtclub um die Ecke.
Ein lautes Krachen in der Silver Cathedral ließ ihn zusammenzucken. Plötzlich herrschte überall Lärm, Stimmen, Rufe, das Quaken von Funkgeräten.
Er konnte sich nicht rühren.
Gleich darauf sprang die Tür zu seinem Büro krachend auf, und Männer in FBI-Jacken stürmten mit gezückten Waffen herein. Ihnen folgte ein riesiger schwarzer Agent mit kahlgeschorenem Kopf.
Spates blieb sitzen, unfähig, das zu begreifen.
»Mr. Don Spates?«, fragte der Agent und klappte seine Marke auf. »FBI, Special Agent Cooper Johnson.«
Spates brachte kein Wort heraus. Er starrte den Mann nur an.
»Sind Sie Mr. Don Spates?«
Er nickte.
»Legen Sie beide Hände auf den Tisch, Mr. Spates.«
Er hob die dicken, leberfleckigen Hände und legte sie auf den Schreibtisch.
»Stehen Sie auf, aber lassen Sie Ihre Hände, wo sie sind.«
Ungeschickt stand er auf, und der Sessel kippte krachend um.
»Handschellen anlegen.«
Ein weiterer Agent trat vor, packte ihn am Unterarm, zog ihm den Arm hinter den Rücken, dann den anderen – und Spates spürte fassungslos, wie kalter Stahl sich um seine Handgelenke schloss.
Johnson trat zu Spates und baute sich vor ihm auf, breitbeinig, mit verschränkten Armen.
»Mr. Spates?«
Spates starrte ihn an. Sein Verstand war vollkommen gelähmt.
Der Agent sprach leise und schnell. »Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, mit einem Rechtsanwalt zu sprechen und einen Rechtsanwalt zur Befragung hinzuzuziehen. Sollten Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen auf Kosten des Staates ein Anwalt gestellt. Haben Sie das verstanden?«