Ford galoppierte den Hügel hinauf und lenkte nun absichtlich sein Pferd den Pfad entlang, wo Doke ihn sehen konnte. Er hörte, wie der Mann hinter ihm hochschaltete, dass der Zweitaktmotor kreischte.
Auf dem Kamm des Hügels, verborgen hinter Felsen und Gestrüpp, endete die Mesa ohne jede Vorwarnung an einer senkrechten Klippe. Ford sprang vom Pferd und warf sich hinter einen Geröllhaufen, und schon schoss Doke an ihm vorbei. Das war das Letzte, was er von Doke sah: dicke, tätowierte Arme, die den Lenker gepackt hielten, und goldblondes Haar, das wie eine Flammenmähne hinter ihm herflatterte, als er mit fast neunzig Stundenkilometern an Ford vorbeiraste.
Doke flog über den Rand der Mesa hinweg. Der Motor heulte unter Vollgas, die Räder drehten durch, die Maschine kreischte wie ein Adler. Ford drehte sich um und sah, wie Maschine und Fahrer im hohen Bogen in die dunkle Leere stürzten, und er hörte das vielfache Echo des Motors, als das Gefährt der schwarzen Landschaft dort unten entgegenraste. Das Letzte, was Ford sah, war das Schimmern von blondem Haar, als stürze Luzifer aus dem Himmel herab. Er lauschte und lauschte – und dann, tief unten, flackerte eine kleine, feurige Blüte auf, und ein paar Sekunden später kam das dumpfe Grollen des Aufpralls, über dreihundert Meter unter ihm.
Ford kroch hinter den Felsen hervor und stand auf. Der Rotschimmel lag auf dem Boden, tot. Ford kniete sich hin und berührte sacht seinen Kopf.
»Danke, Kumpel. Tut mir leid.«
Er richtete sich auf und spürte plötzlich, dass sein ganzer Körper schmerzte – gebrochene Rippen, Prellungen, Schnittwunden, ein fast zugeschwollenes Auge. Er drehte sich um, lehnte sich an den uralten Felsen und blickte auf die Red Mesa zurück.
Alles, was Ford dazu einfiel, war Das Jüngste Gericht von Hieronymus Bosch. Das östliche Ende der Mesa, wo Isabella gelegen hatte, war eine einzige, weißglühende Feuersäule, die sich in den Nachthimmel bohrte – als wolle sie die Sterne selbst versengen. Die Säule war umgeben von Hunderten kleinerer Infernos, die Flammen und schwarzen Rauch aus Rissen und eingestürzten Gruben spien, in einem Umkreis von vielen Kilometern. Der Boden bebte und stöhnte beständig unter weiteren Explosionen, deren unsichtbare Wucht die Luft selbst zu erschüttern schien. Rechts von ihm, einen guten Kilometer entfernt, spielte sich eine surreale Szene ab: Tausend geparkte Autos brannten, ihre Benzintanks explodierten, kleine Feuerbälle hoben die Autos in die Luft und ließen sie tanzen und hüpfen. Leute streiften ziellos durch diese gespenstische Höllenlandschaft oder rannten unter irrem Geheul herum.
Ford stieg den Hügel hinab und traf auf die anderen, die über die offene Sandfläche auf ihn zuritten. Er stieg hinter Kate wieder auf.
»Er ist weg«, sagte Ford. »Über die Kante gestürzt.«
»Mann«, sagte Becenti, »du reitest beschissen, aber du hast es geschafft. Dem Kerl hast du wirklich das Fliegen beigebracht.«
»Wie ein himmlischer Feuerwagen«, sagte Kate.
»Das Pferd?«, fragte Begay. »Tot.«
Der Indianer schwieg mit grimmiger Miene.
Nach zehn Minuten erreichten sie den Einschnitt am oberen Ende des Midnight Trails.
»Wir gehen zu Fuß«, sagte Begay. »Die Pferde sollen allein runtergehen, vor uns her.«
Alle stiegen ab. Becenti und Begay trieben die Pferde durch den tiefeingeschnittenen Anfang des Pfades, gaben dem letzten einen Klaps auf die Kruppe, und die Tiere machten sich auf den Weg nach unten.
Sie blieben noch einen Moment am Rand der Mesa stehen, am Anfang des Pfades, und blickten zurück. Eine gewaltige Explosion ließ den Boden erbeben, und ein Grollen rollte über die Red Mesa wie Donner, durchsetzt mit dem schärferen Knallen kleinerer Explosionen in der Ferne. Ein Feuerball stieg über Isabella in die Luft, dann noch einer, und ein dritter. Rauch quoll nun auch direkt hinter ihnen aus Spalten in der Mesa, von Flammen darunter rötlich beleuchtet. Das Feuer hatte die Nordseite erreicht.
»Schaut mal, da beim Navajo Mountain«, sagte Kate und deutete in den Himmel.
Sie wandten die Köpfe nach Westen. Eine Lichterkette war am Himmel über dem fernen Berg erschienen; sie näherte sich rasch, begleitet von einem tiefen Dröhnen.
»Da kommt die Kavallerie«, sagte Begay.
Ein weiteres Rumpeln, neue Flammen. Als Ford Kate durch den Einschnitt folgte, blickte er ein letztes Mal zurück.
»Unglaublich«, sagte Kate leise. »Die gesamte Mesa steht in Flammen.«
Vor ihren Augen schoss eine gewaltige Staubschlange aus dem Boden und schlängelte sich über die Mesa, als ein weiterer langer Grubenstollen einbrach und den Boden erzittern ließ, diesmal beängstigend dicht hinter ihnen.
Kate wandte sich der Gruppe zu und sprach mit kraftvoller Stimme. »Ich habe etwas Wichtiges zu sagen.«
Die erschöpften Gesichter der Wissenschaftler hoben sich, alle sahen sie an.
»Wenn wir den Behörden in die Hände fallen«, erklärte sie, »werden sie uns streng abgeschirmt befragen und alles, was hier geschehen ist, als geheim einstufen und unter Verschluss halten. Niemand wird unsere Geschichte hören.«
Sie hielt inne und blickte eindringlich in die Runde.
»Wir müssen ihnen aus dem Weg gehen und selbst nach Flagstaff reisen. Und dort, in Flagstaff, werden wir mit der ganzen Welt darüber sprechen – zu unseren Bedingungen. Wir werden der Welt berichten, was hier passiert ist.«
Die Reihe der Hubschrauber näherte sich mit donnernden Rotoren.
Ohne auf eine Antwort aus der Gruppe zu warten, lief Kate den Pfad hinunter.
Alle folgten ihr.
79
Wo war er?
Was war das für ein seltsamer Ort?
Wie lange war er herumgewandert?
Er konnte sich nicht an die Einzelheiten erinnern. Irgendetwas war geschehen, die Erde war explodiert und brannte. Der Antichrist war dafür verantwortlich, und Eddy hatte ihn lebendig verbrannt. Also wo war … der Messias? Warum war Christus nicht zurückgekehrt, um seine Auserwählten um sich zu scharen und sie in den Himmel zu entrücken?
Seine Kleider waren verkohlt, sein Haar angesengt, in seinen Ohren summte es, seine Lunge schmerzte, und es war so dunkel … Beißender Qualm drang aus Rissen im Boden, wohin er sich auch wandte. Eine düstere Wolke lag über dem Land wie Nebel, und er konnte kaum drei Schritte weit sehen.
Am Rand seines Gesichtsfelds ragte ein Schemen auf, rund und bewegt, mit vage menschlichen Umrissen.
»He da!«, rief er und hastete über den steinigen Boden auf die Gestalt zu. Er stolperte über den glimmenden Stumpf einer Kiefer, von der ansonsten nur noch ein Kreis aus Asche übriggeblieben war.
Die Gestalt ragte dunkel vor ihm auf.
»Doke!«, rief er, doch der Rauch schien seine Stimme zu verschlucken. »Doke! Sind Sie das?«
Keine Antwort.
»Doke! Ich bin es, Pastor Eddy!«
Er rannte, stolperte, fiel hin, blieb einen Moment lang liegen und atmete die kühlere, frischere Luft dicht am Boden ein. Er rappelte sich wieder auf, zog sein Taschentuch hervor und versuchte, durch den Stoff zu atmen. Nur ein paar Schritte. Und noch ein paar. Das dunkle Ding wurde größer. Das war nicht Doke. Das war gar kein Mensch. Er streckte die Hand danach aus. Es war ein trockener Felsen, heiß unter seinen Fingern, der auf einer Sandsteinsäule ruhte.
Eddy versuchte sich zu konzentrieren, doch seine Gedanken waren bruchstückhaft. Seine Mission … sein Wohnwagen … Kleidertag. Er erinnerte sich daran, wie er sich an der alten Handpumpe das Gesicht wusch, im wirbelnden Sand vor einem Dutzend Leuten predigte, am Computer mit seinen christlichen Freunden chattete.
Wie war er hierhergekommen?