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»Gelobt seien Gott und Jesus Christus!«, schrie er, hob die Arme gen Himmel und richtete den Blick an die glitzernde Decke. Er sank auf die Knie und betete mit bebender Stimme: »Jesus Christus, unser Herr, mit Deiner Hilfe werden wir jene aufhalten, die Deinen Vater zu beleidigen suchen. Wir werden diese infernalische Maschine, dieses Teufelswerk in der Wüste vernichten. Wir werden dieser Gotteslästerung namens Isabella ein Ende bereiten!«

7

Um Viertel vor acht verließ Wyman Ford sein Drei-Zimmer-Häuschen. Am Ende der Einfahrt blieb er stehen und atmete tief die duftende Nachtluft ein. Die Fenster des Speisesaals trieben als gelbe Vierecke in der Dunkelheit. Über das Plätschern der Sprinkleranlage auf dem Spielfeld hinweg hörte er ganz schwach ein Klavier Boogie-Woogie spielen, und leises Stimmengewirr. Er konnte sich Kate nicht anders vorstellen denn als die respektlose, kiffende, streitlustige Doktorandin, die er damals gekannt hatte. Aber sie musste sich verändert haben – und zwar sehr –, wenn sie inzwischen stellvertretende Leiterin des wichtigsten wissenschaftlichen Experiments in der Geschichte der Physik geworden war.

Wie von selbst drifteten seine Gedanken zu Erinnerungen an sie und ihre gemeinsame Zeit ab – Erinnerungen, die leider dazu neigten, nicht ganz jugendfrei zu sein. Hastig stopfte er sie zurück in die staubige Ecke seines Verstandes, aus der sie hervorgekrochen waren. Dies, so dachte er, war keine sonderlich verantwortungsbewusste Herangehensweise bei seinen Ermittlungen.

Er umging die Rasensprenger, erreichte den Haupteingang des Blockhauses und betrat den ehemaligen Handelsposten. Licht und Musik drangen aus dem Aufenthaltsraum rechts von ihm. Er ging hinein. Die Leute spielten Karten oder Schach, lasen oder arbeiteten an Laptops. Hier, abseits der Brücke, wirkten sie beinahe entspannt.

Hazelius persönlich saß am Klavier. Seine spinnendürren Finger hüpften noch ein paar Takte lang über die Tasten, dann stand er auf. »Wyman, herzlich willkommen! Das Essen ist fast fertig.« Er kam Ford auf halbem Weg durch den Raum entgegen, nahm ihn beim Arm und führte ihn zum Speisesaal. Die anderen erhoben sich und folgten ihnen gemächlich.

Ein massiver Tisch aus Kiefernholz mit Kerzen, Silberbesteck und frischen Blumen nahm die Mitte des Raums ein. In dem ummauerten Kamin brannte ein Feuer. Navajo-Teppiche hingen an den Wänden; Nakai-Rock-Stil, vermutete Wyman anhand der geometrischen Muster. Mehrere Weinflaschen waren bereits geöffnet worden, und der Duft von gegrilltem Steak trieb aus der Küche herüber.

Hazelius gab den geselligen Gastgeber, geleitete Leute zu ihren Plätzen, lachte und scherzte. Ford führte er zu einem Stuhl in der Mitte, neben einer gertenschlanken blonden Frau.

»Melissa? Das ist Wyman Ford, unser neuer Ethnologe. Melissa Corcoran, unsere Kosmologin.«

Sie gaben sich die Hand. Üppiges, blondes Haar fiel ihr über die Schultern, und ihre hellgrünen Augen, wie Strandglas, musterten ihn neugierig. Die Stupsnase war mit Sommersprossen gesprenkelt; eine mit Perlen bestickte Indianerweste, schlicht, aber schick, passte gut zu der einfachen Kombi aus Hose und Bluse. Doch auch Corcorans Augen waren ein wenig blutunterlaufen und gerötet.

Der Platz neben ihr am Tisch war noch frei.

»Bevor Sie sich auf Wyman stürzen«, sagte Hazelius zu Corcoran, »würde ich ihm gern die anderen vorstellen, die er vorhin noch nicht kennengelernt hat.«

»Nur zu.«

»Das ist Julie Thibodeaux, unsere Quantenfeldtheoretikerin.«

Gegenüber am Tisch warf eine Frau Ford ein knappes »Hallo« zu, bevor sie ihren gereizten Monolog wieder aufnahm, der dem weißhäuptigen, koboldähnlichen Mann neben ihr galt. Thibodeaux kam dem Stereotyp der klassischen Wissenschaftlerin sehr nahe: unscheinbar, übergewichtig, in einen schmuddeligen Laborkittel gehüllt und mit kurzem, strähnigem Haar, offensichtlich schon länger nicht mehr gewaschen. Zwei Kulis in einer Plastikhülle, die aus ihrer Kitteltasche ragten, vervollständigten die Karikatur. In ihrem Dossier stand, sie leide an einer psychischen Erkrankung mit der Bezeichnung »Borderline-Persönlichkeitsstörung«. Ford war gespannt, wie sich so etwas manifestierte.

»Der Herr, der sich gerade mit Julie unterhält, ist Harlan St. Vincent, unser Elektroingenieur. Wenn Isabella mit voller Kraft läuft, ist Harlan zuständig für die neunhundert Megawatt Energie, die sich wie die Niagarafälle in unsere Maschine ergießen.«

St. Vincent erhob sich und streckte die Hand über den Tisch. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Wyman.« Als er sich wieder setzte, nahm Thibodeaux augenblicklich ihren Sermon wieder auf, der sich offenbar um etwas namens Bose-Einstein-Kondensat drehte.

»Michael Cecchini, unser Feld-Wald-und-Wiesen-Teilchenphysiker, sitzt hier drüben.«

Ein kleiner, dunkler Mann stand auf und streckte die Hand aus. Ford drückte sie und betrachtete dabei die auffällig ausdruckslosen, dunkelgrauen Augen. Der Mann sah aus, als wäre er innerlich tot – und der Händedruck wirkte genauso: klamm und leblos. Aber als wolle er dem Nihilismus im Kern seines Wesens trotzen, hatte Cecchini sich geradezu pedantisch um sein Äußeres bemüht. Sein Hemd war so leuchtend weiß, dass es blendete, die Bügelfalte in seiner Hose war messerscharf, und sein Haar war mit militärischer Präzision gescheitelt und gekämmt. Sogar seine Hände waren makellos, so weich und sauber wie frischer Teig, die Nägel perfekt gefeilt und glänzend poliert. Ford erschnupperte den Hauch eines teuren After shaves. Doch nichts konnte die Aura existenzieller Verzweiflung überdecken, die an ihm klebte.

Hazelius beendete die Vorstellungsrunde und verschwand in der Küche, und sogleich stieg der Lärmpegel an.

Ford hatte Kate immer noch nicht gesehen. Er fragte sich, ob das Zufall sein konnte.

»Ich glaube, mir ist noch nie ein Ethnologe begegnet«, sprach Melissa Corcoran ihn an.

Er drehte sich um. »Und mir noch keine Kosmologin.«

»Sie würden staunen, wie viele Leute meinen, mein Beruf hätte mit Frisuren und Nagellack zu tun. Übrigens ist mir das Du lieber.« Ihr Lächeln wirkte einladend. »Also, was genau ist deine Aufgabe hier?«

»Ich soll die Einheimischen kennenlernen. Ihnen erklären, was hier vorgeht.«

»Hm, aber verstehst du, was hier vorgeht?« Ihre Stimme klang neckend.

»Vielleicht könntest du mir da ein bisschen Nachhilfe geben.«

Lächelnd streckte sie die Hand nach einer Flasche aus. »Wein?«

»Gern, danke.«

Sie musterte das Etikett. »Villa di Capezzana, Carmignano, zweitausend. Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll, aber er ist gut. George Innes ist hier der Weinkenner. George? Erzähl uns was über den Wein.«

Innes unterbrach eine Unterhaltung am anderen Ende des Tisches, und ein freudiges Lächeln breitete sich über sein Gesicht. Er hob sein Glas. »Ich hatte Glück, diese Kiste zu ergattern – heute Abend wollte ich etwas wirklich Erlesenes servieren. Capezzana mag ich besonders, ein altes Weingut in den Hügeln westlich von Florenz. Die erste DOC, die Cabernet Sauvignon zugelassen hat. Er weist eine gute Farbe auf, dunkles Beerenaroma von Roten und Schwarzen Johannisbeeren und Kirsche, und eine hervorragende Fruchttiefe.«

Corcoran wandte sich mit schiefem Grinsen wieder Ford zu. »George ist ein schrecklicher Snob, was Wein angeht«, bemerkte sie, schenkte ihm großzügig ein, füllte ihr eigenes Glas auf und hob es. »Willkommen auf der Red Mesa. Ein grauenhafter Ort.«

»Warum denn das?«

»Ich habe meine Katze mitgebracht – ich konnte es nicht ertragen, sie zurückzulassen. Wir waren erst zwei Tage hier, da habe ich ein Jaulen gehört und einen Kojoten gesehen, der sie davongeschleppt hat.«

»Wie schrecklich.«

»Die schleichen hier überall herum, die räudigen Biester. Dann haben wir noch Taranteln, Skorpione, Bären, Rotfüchse, Baumstachler, Stinktiere, Klapperschlangen und Schwarze Witwen.« Diese Aufzählung schien ihr geradezu Spaß zu machen. »Ich hasse die Red Mesa«, verkündete sie genüsslich.