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Ford lächelte bemüht verlegen und stellte ihr die dümmste Frage, die ihm einfallen wollte. Schließlich sollten die Leute hier ihn nicht für allzu schlau halten. »Also, wozu ist Isabella eigentlich da? Ich bin leider nur Ethnologe.«

»Theoretisch ist das ganz einfach. Isabella beschleunigt subatomare Teilchen auf beinahe Lichtgeschwindigkeit und lässt sie dann aufeinanderprallen, um so die Energiebedingungen beim Urknall nachzuvollziehen. Das ist wie bei einem Karambolage-Rennen. Zwei Teilchenstrahlen beschleunigen in entgegengesetzter Richtung in einer kreisförmigen Röhre mit einem Umfang von fünfundsiebzig Kilometern. Die Teilchen kreisen immer schneller in dem Ring, bis sie sich mit neunundneunzig Komma neun neun Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegen – wie gesagt, in entgegengesetzte Richtungen. Lustig wird es, wenn wir sie frontal aufeinanderprallen lassen. So reproduzieren wir die ungeheure Gewalt des Urknalls.«

»Was für Teilchen lasst ihr da zusammenstoßen?«

»Materie und Antimaterie – Protonen und Antiprotonen. Wenn die aufeinanderprallen – wumm! Die plötzlich frei werdende Energie ruft eine Streuung aller möglichen Teilchen hervor. Diese Streuung wird in den Detektoren erfasst, und dann können wir feststellen, was für Teilchen das sind und wie sie entstehen konnten.«

»Woher bekommt ihr denn Antimaterie?«

»Per Postversand aus Washington.«

Ford lächelte. »Und ich dachte, die verschicken nur Schwarze Löcher.«

»Nein, im Ernst, wir erschaffen unsere Antimaterie selbst vor Ort, indem wir eine Goldplatte mit Alphastrahlen beschießen. Die Antiprotonen sammeln wir in einem zweiten Ring und leiten sie dann in den Hauptring, wenn wir sie brauchen.«

»Und was hat das alles mit Kosmologie zu tun?«, fragte Ford.

»Ich bin hier, um finstere Dinge zu studieren!« Sie rollte dramatisch mit den Augen. »Dunkle Materie und dunkle Energie.« Sie nippte an ihrem Wein.

»Klingt beängstigend.«

Sie lachte. Er beobachtete, wie sie ihn mit ihren grünen Augen unverhohlen abwägend musterte, und fragte sich, wie alt sie wohl sein mochte. Dreiunddreißig? Vierunddreißig?

»Vor etwa dreißig Jahren wurde den Astronomen allmählich klar, dass die meiste Materie im Universum nicht von der Sorte ist, die man sehen oder berühren kann. Sie nannten sie Dunkle Materie. Offenbar ist Dunkle Materie überall um uns herum, unsichtbar, sie fließt quasi unbemerkt durch uns hindurch, wie ein Schattenuniversum. Galaxien liegen mitten in riesigen Seen aus Dunkler Materie. Wir wissen nicht, was sie ist, warum es sie gibt, oder wie sie entstand. Da die Dunkle Materie gleichzeitig mit normaler Materie beim Urknall entstanden sein muss, kann ich mit Hilfe von Isabella hoffentlich etwas davon erzeugen.«

»Und Dunkle Energie?«

»Wunderbares, unheimliches Zeug. Neunzehnhundertneunundneunzig fanden Kosmologen heraus, dass irgendein unbekanntes Energiefeld das Universum expandieren lässt, immer schneller, es wird praktisch aufgeblasen wie ein riesiger Luftballon. Dieses Energiefeld haben sie als Dunkle Energie bezeichnet. Niemand hat auch nur die geringste Ahnung, was sie ist oder woher sie kommt. Aber sie scheint ziemlich bösartig zu sein.«

Auf der anderen Seite des Tisches schnaubte Wolkonski und höhnte mit schriller Stimme: »Bösartig? Universum ist neutral. Kümmert sich keine Dreck um uns.«

»Tatsache ist«, fuhr Corcoran fort, »dass Dunkle Energie letzten Endes das Universum zerstören wird – beim Endknall.«

»Endknall?« Bisher hatte Ford den Ahnungslosen nur gespielt, doch der Endknall war ihm tatsächlich neu.

»Das ist die jüngste Theorie über das Schicksal des Universums. Ziemlich bald wird sich die Expansion des Universums so stark beschleunigen, dass Galaxien auseinandergerissen werden, dann die Sterne, die Planeten, du und ich – bis hinunter zu den Atomen selbst. Alles weg, mit einem gewaltigen Puff! Die Existenz selbst ist dann zu Ende. Ich habe den Wikipedia-Artikel darüber verfasst. Sieh ihn dir mal an.«

Sie trank einen weiteren Schluck, und Ford bemerkte, dass sie nicht die Einzige war, die sich den Wein schmecken ließ. Die Gespräche um sie herum waren immer lauter geworden, und ein halbes Dutzend leerer Flaschen stand auf dem Tisch.

»Sagtest du gerade ›ziemlich bald‹?«

»Es wird höchstens noch zwanzig bis fünfundzwanzig Milliarden Jahre dauern.«

»Bald ist Frage von Perspektive«, warf Wolkonski mit heiserem Lachen ein.

Corcoran sagte: »Wir Kosmologen betrachten alles auf lange Sicht.«

»Und wir Computerwissenschaftler kurze. Millisekunde kurze.«

»Millisekunden?«, bemerkte Thibodeaux verächtlich. »In der Quantenelektrodynamik habe ich es mit Femtosekunden zu tun.«

Hazelius kam mit einer Servierplatte herein, auf der sich gegrillte Filetsteaks türmten. Unter anerkennendem Gemurmel stellte er sie auf den Tisch.

Hinter ihm erschien Kate Mercer mit einer großen Schüssel Pommes frites. Ohne in Fords Richtung zu blicken, stellte sie sie ab und verschwand wieder in der Küche.

Nichts, was Ford sich ausgemalt hatte, hätte ihn hierauf vorbereiten können – den ersten Blick auf sie, seit sie sich getrennt hatten. Mit fünfunddreißig war sie sogar noch schöner, als sie es mit dreiundzwanzig gewesen war – nur ihre lange, wilde schwarze Mähne war einer schicken Kurzhaarfrisur gewichen. Die immer etwas schlampige Studentin in Jeans und übergroßen Männerhemden war erwachsen geworden. Vor zwölf Jahren hatte er sie zuletzt gesehen – aber es fühlte sich an, als seien nur ein paar Tage vergangen.

Er bekam einen Stups in die Rippen, wandte sich um und bemerkte, dass Corcoran ihm die Steakplatte hinhielt. »Ich hoffe doch, du bist kein Vegetarier, Wyman.«

»Ganz und gar nicht.« Er suchte sich ein bluttriefendes Stück aus, reichte die Platte weiter und bemühte sich, ganz entspannt zu wirken. Kates Erscheinen hatte ihn aus der Fassung gebracht.

»Glaub ja nicht, dass wir jeden Abend so ein Festmahl bekommen«, sagte sie. »Das ist nur zur Feier deiner Ankunft.«

Ein Löffel klingelte auf Glas, und Hazelius stand mit erhobenem Weinglas auf. Die Gespräche verstummten.

»Ich habe eine kleine Willkommensansprache vorbereitet …« Er blickte sich um. »Wo steckt denn bloß unsere stellvertretende Leiterin?«

Die Küchentür ging auf, Kate eilte heraus und setzte sich hastig neben Ford, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet.

»Wie ich gerade sagte, möchte ich das neueste Mitglied unseres Teams ganz herzlich willkommen heißen: Wyman Ford.«

Ford schaute weiterhin Hazelius an und betrachtete nur aus den Augenwinkeln Kates schlanke Gestalt neben sich, spürte die Wärme ihres Körpers, roch ihren Duft.

»Wie die meisten von Ihnen bereits wissen, ist Wyman Ethnologe, das heißt, sein Fachgebiet ist die menschliche Natur – eine wesentlich komplexere Angelegenheit als alles, woran wir hier arbeiten.« Er hob das Glas höher. »Ich freue mich darauf, Sie näher kennenzulernen, Wyman. Und ein ganz, ganz herzliches Willkommen von uns allen.«

Am Tisch wurde geklatscht.

»Und nun, bevor ich mich wieder setze, möchte ich noch ein paar Worte zu unserer Enttäuschung gestern Abend verlieren …« Er zögerte kurz. »Wir sind verwickelt in einen Kampf, der schon andauert, seit das erste menschliche Wesen zu den Sternen aufblickte und sich fragte, was genau sie sein mochten. Die Suche nach der Wahrheit ist das größte menschliche Streben überhaupt. Von der Entdeckung des Feuers bis hin zur Entdeckung des Quarks ist diese Suche die Essenz dessen, was Menschsein ausmacht. Wir – wir vierzehn, die wir hier versammelt sind – sind die wahren Erben des Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl, um es den Menschen zu bringen.«