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Er legte eine dramatische Pause ein.

»Sie alle kennen das Schicksal des Prometheus. Aus Rache ketteten die Götter ihn für alle Ewigkeit an einen Felsen. Jeden Tag stößt ein Adler herab und verschlingt seine Leber. Doch weil er unsterblich ist, muss er die Folter ewig ertragen.«

Im Raum war es so still, dass Ford das Feuer im Kamin knistern hörte.

»Die Suche nach der Wahrheit ist schwer, sehr schwer, wie wir nun selbst erfahren müssen.« Hazelius hob sein Glas. »Auf die Erben des Prometheus.«

Mit ernsten Mienen hoben alle die Gläser und tranken.

»Unser nächster Durchlauf beginnt am Mittwochmittag. Bis dahin möchte ich, dass jeder Einzelne von Ihnen sich voll und ganz und ausschließlich auf die anstehende Aufgabe konzentriert.«

Er setzte sich. Die Leute am Tisch griffen zu Messer und Gabel und nahmen allmählich ihre Unterhaltung wieder auf.

Als die Stimmen laut genug geworden waren, sagte Ford leise: »Hallo, Kate.«

»Hallo, Wyman.« Ihr Blick war reserviert. »Das als Überraschung zu bezeichnen wäre stark untertrieben.«

»Du siehst gut aus.«

»Danke.«

»Stellvertretende Leiterin – du hast es wirklich weit gebracht.« Er war sich vorgekommen wie ein Voyeur, als er ihr Dossier gelesen hatte. Aber er hatte sich nicht davon abhalten können – es war fesselnd. Sie hatte seit ihrer Trennung einiges erlebt.

»Und du – was ist aus deiner Karriere bei der CIA geworden?«

»Die habe ich aufgegeben.«

»Und jetzt bist du Ethnologe?«

»Ja.«

Keiner von beiden sprach weiter. Der Klang ihrer Stimme, dieser singende Tonfall mit einem ganz schwachen Lispeln, traf ihn noch härter als ihre Erscheinung. Rasch dämmte er die Flut von Erinnerungen ein. Diese Reaktion war absurd – das mit ihnen war lange her. Seitdem hatte er ein halbes Dutzend Beziehungen gehabt, er war verheiratet gewesen. Ihre Trennung war außerdem ziemlich hässlich abgelaufen – keine Spur von »Lass uns Freunde bleiben«. Sie hatten einander unverzeihliche Dinge an den Kopf geworfen.

Kate hatte sich abgewandt und sprach mit jemand anderem. Er nippte an seinem Wein und hing seinen Gedanken nach – an damals, als er sie am MIT zum ersten Mal gesehen hatte. Eines frühen Nachmittags hatte er ganz hinten in der Barker Engineering Library nach einem stillen Eckchen zum Lesen gesucht, als ihm eine Frau auffiel, die dort unter einem Tisch schlief – ein gar nicht so ungewöhnlicher Anblick. Ihre rechte Wange ruhte auf ihrer Hand; der andere Arm war über ihre Bluse ausgestreckt. Ihr langes, glänzendes Haar war über den Teppich gebreitet. Sie war schlank und wirkte kühl, mit den feinen, zarten Gesichtszügen, die man oft bei Menschen von gemischter asiatischer und europäischer Abstammung findet. Sie sah aus wie eine schlafende Gazelle. Die blasse Kuhle an ihrem feingeschwungenen Hals, zwischen den Schlüsselbeinen, erschien ihm als das Erotischste, was er je gesehen hatte. Er betrachtete sie ausgiebig, genoss schamlos jedes erotische Detail ihres schlafenden Körpers. Er konnte sich einfach nicht losreißen. Er starrte sie an.

Eine Fliege streifte ihre Wange. Ihr Kopf zuckte, und sie riss die mahagonifarbenen Augen auf, deren Blick direkt auf ihn fiel. Er fühlte sich ertappt.

Sie errötete und kroch verlegen unter dem Tisch hervor. »Hast du ein Problem?«

Er nuschelte, er habe sich nur vergewissern wollen, dass ihr nichts fehlte.

Ihr Blick wurde weicher, und sie wirkte ein wenig betreten. »Muss schon seltsam ausgesehen haben, wie ich da auf dem Boden lag. Normalerweise kommt um diese Tageszeit nie jemand her. Hier kann ich mich zehn Minuten hinlegen und erfrischt wieder aufwachen.«

Er versicherte ihr noch einmal, dass er sich nur habe vergewissern wollen, ob sie Hilfe brauche. Sie bemerkte beiläufig, sie brauche höchstens einen doppelten Espresso, bevor sie sich wieder über die Bücher hermachte. Er sagte, er könne auch einen vertragen – und das war ihre erste Verabredung.

Sie waren grundverschieden. Das machte gerade den Reiz aus. Sie kam aus der Arbeiterschicht in einem Dorf, er gehörte der Großstadt-Elite an. Sie stand auf Blondie, er hörte gern Bach. Sie rauchte manchmal Haschisch, was er ein wenig skandalös fand. Er war Katholik, sie eine schreiende Atheistin. Er war beherrscht; sie war unberechenbar, spontan, manchmal sogar wild. Bei ihrer zweiten Verabredung war sie es, die sich an ihn heranmachte. Obendrein war sie eine brillante Studentin – vielleicht sogar ein Genie. Sie war so klug, dass es ihm Angst einjagte und ihn zugleich erst recht scharf machte. Sogar außerhalb der Physik war sie von dem Drang, die menschliche Natur verstehen zu wollen, wie besessen. Sie war eine leidenschaftliche Partisanin, zutiefst empört über die Ungerech tigkeit der Welt, und gehörte zu jenen, die Petitionen unterschrieben, auf der Straße demonstrierten und hitzige Leserbriefe schrieben. Er erinnerte sich daran, wie sie oft bis in die frühen Morgenstunden über Politik und Religion diskutiert hatten, an ihre überraschend tiefen Einsichten in die menschliche Psyche, so emotional ihre Ansichten auch sein mochten.

Seine Entscheidung, zur CIA zu gehen, hatte ihre Beziehung beendet. In ihren Augen war man entweder einer von den guten Jungs, oder eben nicht. Die CIA gehörte definitiv in die Kategorie »oder eben nicht«.

»Also, Wyman«, fragte Kate, »warum hast du sie aufgegeben?«

»Was?« Ford wurde in die Gegenwart zurückgerissen.

»Deine Karriere bei der CIA. Was ist passiert?«

Ford wünschte, er könnte sich überwinden, es einfach auszusprechen: Weil meine Frau bei einem unserer Undercover-Einsätze von einer Autobombe zerfetzt wurde. »Das war doch nichts für mich«, sagte er lahm.

»Verstehe. Wäre es … bestünde denn Grund zur Hoffnung, dass du deine Einstellung geändert hast?«

Und was ist mit deiner Einstellung?, dachte Ford, behielt das aber für sich. Das sah ihr so ähnlich: direkt zum springenden Punkt vorzudringen, koste es, was es wolle. Das hatte er an ihr geliebt, und er hatte es gehasst.

»Das Essen sieht toll aus«, sagte er, um das Gespräch unverbindlich zu halten. »Soweit ich mich erinnere, warst du früher die Königin der Mikrowelle.«

»Von dem ganzen Fertigfraß bin ich dick geworden.«

Wieder Schweigen.

Ford spürte von der anderen Seite einen weiteren Rippenstoß. Melissa Corcoran hielt eine Flasche in der Hand und bot an, ihm nachzuschenken. Ihr Gesicht war gerötet.

»Das Steak ist perfekt«, sagte sie. »Gut gemacht, Kate.«

»Danke.«

»Blutig – genau so, wie ich es mag. Aber, he!«, sagte sie und wies auf Fords Teller. »Du hast deines ja gar nicht angerührt!«

Ford aß einen Bissen, aber der Appetit war ihm vergangen.

»Das liegt sicher daran, dass Kate dir alles über die Stringtheorie erzählt hat. Ziemlich cool – auch wenn es reine Spekulation ist.«

»Ganz im Gegensatz zu Dunkler Energie«, bemerkte Kate mit einem scharfen Unterton in der Stimme.

Ford spürte sofort die Spannung zwischen den beiden Frauen.

»Dunkle Energie«, erklärte Corcoran kühl, »wurde experimentell entdeckt. Durch Beobachtung. Das Problem bei der Stringtheorie ist genau umgekehrt – sie existiert nur als ein Haufen hypothetischer Berechnungen ohne überprüfbare Voraussagen. Das ist eigentlich nicht wissenschaftlich zu nennen.«

Wolkonski beugte sich über den Tisch, und Ford roch einen Hauch von schalem Zigarettenrauch. »Dunkle Energie, Strings, pff! Wer interessiert das? Ich will wissen, was macht Ethnologe.«

Ford war froh über die Ablenkung. »Wir leben eine Zeitlang in der Wildnis bei irgendeinem Stamm und stellen eine Menge dumme Fragen.«

»Ha, ha!«, machte Wolkonski. »Vielleicht hast du gehört, Rothäute kommt zur Red Mesa. Ich hoffe, wird keine skalpieren hier!« Er stieß eine Art Indianergeheul aus und blickte sich beifallheischend um.