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Lorenzo machte einen weiteren halbherzigen Versuch, ihn zu umgehen, und Eddy trat wieder dazwischen. Er merkte, dass seine Hände zitterten. »Zufällig weiß ich, woher du das Geld hast. Du hast es gestohlen. Aus der Kirchenkollekte.«

»Niemals.«

»O doch. Du hast es gestohlen. Über fünfzig Dollar.«

»Blödsinn.«

»Red nicht so mit mir, Lorenzo. Ich habe gesehen, wie du es genommen hast.« Die Lüge war ihm über die Lippen gekommen, ehe er es recht gemerkt hatte. Doch das war jetzt gleich; er hätte ihn ja leicht dabei beobachten können – und das Schuldbewusstsein stand dem Jungen ins Gesicht geschrieben.

Lorenzo sagte nichts.

»Das waren fünfzig Dollar, die diese Mission dringend braucht. Aber du hast nicht nur die Mission bestohlen. Du hast nicht nur mich bestohlen. Du hast Gott, den Herrn, bestohlen.«

Keine Erwiderung.

»Was meinst du, wie der Herr darauf reagieren wird? Hast du einmal daran gedacht, als du dir das Geld genommen hast, Lorenzo? Und wenn deine rechte Hand dir Anlass zur Sünde gibt, so hau sie ab und wirf sie von dir; denn es ist besser, dass eins deiner Glieder umkommt und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird

Lorenzo wandte sich brüsk ab und ging den Weg zurück, den er gekommen war, in Richtung des Ortes. Eddy stürzte sich auf ihn und hielt sein T-Shirt an der Schulter fest. Lorenzo riss sich los und ging weiter. Plötzlich bog er ab und lief auf den Trailer zu.

»Wo willst du hin?«, rief Eddy. »Geh nicht da rein!«

Lorenzo verschwand im Wohnwagen. Eddy rannte ihm nach und blieb in der Tür stehen. »Raus hier!« Er zögerte, dem jungen Mann nach drinnen zu folgen, denn er fürchtete einen Angriff. »Du bist ein Dieb!«, schrie er hinein. »Das bist du. Ein gewöhnlicher Dieb. Verlass sofort mein Haus! Ich rufe die Polizei!«

Von der Küche her ertönte ein Krachen, und eine Besteckschublade flog durch den einzigen Raum.

»Den Schaden wirst du mir bezahlen! Jeden Cent!«

Ein weiteres Krachen, noch mehr Besteck flog durch die Gegend. Eddy wollte unbedingt dort hinein, aber er hatte zu viel Angst. Zumindest war der betrunkene Indianer in der Küche und nicht im Schlafbereich, wo sein Computer stand.

»Raus da, du Säufer! Abschaum! In den Augen Jesu bist du nichts als Schmutz! Ich werde deinem Bewährungshelfer hiervon berichten, und dann gehst du zurück ins Gefängnis! Das garantiere ich dir!«

Plötzlich stand Lorenzo vor dem Eingang, ein langes Brotmesser in der Hand.

Eddy wich zurück und trat von der kleinen Veranda. »Lorenzo. Nein.«

Lorenzo stand unsicher unter dem Vorbau, fuchtelte mit dem Messer herum und blinzelte in die untergehende Sonne. Er ging nicht weiter auf Eddy zu.

»Leg das Messer weg, Lorenzo. Lass es fallen.«

Die Hand senkte sich.

»Lass es sofort los.« Eddy konnte sehen, wie die vor Anspannung weißen Fingerknöchel über dem Griff sich ein wenig lockerten. »Lass es fallen, sonst wird Jesus dich bestrafen.«

Plötzlich drang ein zorniges Gurgeln aus Lorenzos Kehle. »Ich ficke deinen Jesus in den Arsch, siehst du!« Er stieß das Messer so heftig aufwärts in die Luft, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor.

Eddy taumelte rückwärts, von den Worten getroffen wie von einem Tritt in den Bauch. »Wie – kannst – du – es – wagen, dich so an unserem Erlöser zu versündigen? Du kranker – du bösartiger Mistkerl! Du wirst in der Hölle schmoren, Satan! Du …!« Eddys schrille Stimme erstarb, als ihm die Hysterie die Kehle zuschnürte.

Lorenzo gab ein schmutziges, schleimiges Lachen von sich. Er schwenkte das Messer durch die Luft und grinste, als weide er sich an Eddys Grauen. »Ja, Mann, in den Arsch

»Du wirst in der Hölle schmoren!«, schrie Eddy, der auf einmal seinen Mut wiedergefunden hatte. »Du wirst Jesus anflehen, deine verdorrten Lippen zu benetzen, doch Er wird dich nicht erhören. Weil du Abschaum bist. Menschlicher Dreck und Abschaum!«

Lorenzo spuckte erneut aus. »Wenn du meinst.«

»Gott wird dich niederschlagen, sage ich dir. Er wird dich zerschmettern und verfluchen, du Gotteslästerer! Du hast Ihn bestohlen, du dreckiger, diebischer Indianer!«

Lorenzo stürzte sich auf Eddy. Doch der Prediger war klein und flink, und als das Messer in einem weiten, schlechtgezielten Bogen auf ihn zu schwang, wich Eddy seitlich aus und packte Lorenzos Unterarm mit beiden Händen. Der Navajo wehrte sich und versuchte, das Messer wieder gegen Eddy zu wenden, doch der hielt den Unterarm mit beiden Händen fest wie ein Terrier; er verdrehte und zerrte an dem Arm, damit der Indianer das Messer fallen ließ.

Lorenzo grunzte und kämpfte gegen ihn an, doch in seinem betrunkenen Zustand hatte er nicht viel Kraft. Plötzlich wurde sein Arm schlaff, und Eddy hielt ihn immer noch umklammert.

»Lass das Messer fallen.«

Lorenzo stand unsicher da. Eddy witterte seine Chance, rammte Lorenzo mit der Schulter, wirbelte ihn herum und schnappte nach dem Messer. Eddy verlor das Gleichgewicht, stürzte rücklings zu Boden, und Lorenzo fiel auf ihn. Doch im Fallen hatte Eddy den Griff des Messers zu fassen bekommen. Lorenzo fiel in die Klinge, die ihn aufspießte. Eddy spürte heißes Blut über seine Hände rinnen, ließ mit einem Aufschrei das Messer los und kroch unter dem Navajo hervor. Das Messer steckte in Lorenzos Brust, direkt über dem Herzen.

»Nein!«

Es war unglaublich, aber Lorenzo kam wieder auf die Beine, obwohl das Messer noch aus seiner Brust ragte. Er taumelte rückwärts und legte, offenbar mit letzter Kraft, beide Hände um den Messergriff. So blieb er einen Moment lang stehen, beide Hände um den Griff geklammert, und bemühte sich verzweifelt, mit rasch schwindenden Kräften die Klinge herauszuziehen, das Gesicht völlig ausdruckslos, der Blick schon verschleiert. Dann kippte er nach vorn, fiel schwer auf den Sand, und die Wucht des Aufpralls trieb die Klinge tiefer hinein, bis sie aus seinem Rücken ragte.

Eddy starrte ihn an und konnte nur stumm die Lippen bewegen. Unter dem hingestreckten Körper bildete sich eine Blutlache im Sand, die im durstigen Boden versickerte und nur geleeartige Klümpchen zurückließ.

Der erste Gedanke, der Eddy durch den Kopf schoss, war: Ich werde nie wieder Opfer sein.

Die Sonne war längst untergegangen, und die Luft hatte sich abgekühlt, als Eddy mit der Grube fertig war. Der Sand war weich und trocken, und er hatte ein tiefes Loch gegraben – sehr tief.

Er hielt inne, schweißgebadet und zitternd zugleich. Er kletterte aus dem Loch, zog die Leiter heraus, stemmte einen Fuß gegen die Leiche und ließ sie in die Grube rollen. Sie landete mit einem hässlichen, feuchten Plumps.

Sorgfältig schaufelte er den ganzen blutgetränkten Sand in das Loch, grub so tief, wie das Blut versickert war, und ließ kein Körnchen blutigen Sand zurück. Dann zog er seine Kleidung aus und warf sie hinterher. Als Nächstes kam das blutige Wasser, in dem er sich die Hände gewaschen hatte, das mitsamt dem Eimer in dem Loch verschwand, gefolgt von dem Handtuch, mit dem er sich abgetrocknet hatte.

Zitternd stand er am Rand der dunklen Grube, splitternackt. Sollte er beten? Aber der Gotteslästerer hatte kein Gebet verdient – und was sollten Gebete jemandem nützen, der sich ohnehin schon kreischend im Fegefeuer wand? Eddy hatte ihm gesagt, dass Gott ihn niederschmettern würde; und keine fünfzehn Sekunden später hatte Gott genau das getan. Gott hatte die Hand des blasphemischen Diebes gegen ihn selbst gerichtet. Eddy war selbst Zeuge geworden – er hatte das Wunder mit angesehen. Gott war da gewesen, an seiner Seite.

Immer noch nackt füllte Eddy das Loch auf, Schaufel um Schaufel, um sich durch die harte körperliche Arbeit warm zu halten. Gegen Mitternacht war er fertig. Mit dem Rechen ließ er die letzten Spuren seiner Arbeit verschwinden, räumte sein Werkzeug weg und ging in den Wohnwagen.