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Er schloss die Augen und stellte sich vor, eines der Protonen zu sein, die im Ring kreisten, immer rundherum, und von den Supermagneten auf 99,999 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden. Er umkreiste den 75 Kilometer langen Ring viertausendmal pro Sekunde, rundherum, rundherum. Er sah sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit den kreisrunden Tunnel entlangrasen, jeder Magnet verlieh ihm ein wenig mehr Geschwindigkeit, über drei Millionen solche Antriebe pro Sekunde, schneller, immer schneller … eine aufregende Vorstellung. Und nur anderthalb Zentimeter von ihm entfernt in dieser Röhre kreiste der Antiprotonenstrahl in die entgegengesetzte Richtung, sauste mit derselben unfassbaren Geschwindigkeit an ihm vorbei.

Er stellte sich vor, wie er im Kreis herumraste, immer rundherum – und dann kam der Augenblick des Zusammentreffens. Sein Teilchenstrahl wurde auf die Bahn des entgegenkommenden Strahls gezwungen. In eine frontale Kollision bei K-Null. Materie, die mit Lichtgeschwindigkeit auf Antimaterie stieß. Er flog mit seinem Teilchen dort hinein und spürte die Kollision – die reine, absolute, erregende Vernichtung. Er fühlte seine Wiedergeburt, als Streuung seltsamer neuer Teilchen, die in alle Richtungen davonspritzten und in die vielen Schichten der Detektoren prallten, deren Aufgabe es war, jedes Partikel zu registrieren, zu zählen und zu untersuchen.

Zehn Billionen Partikel pro Sekunde.

Dolby öffnete die Augen, erwachte aus seinem Tagtraum und kam sich ein wenig albern vor. Er untersuchte seine Taschen auf Münzen oder andere ferromagnetische Gegenstände und ging durch den großen, offenen Raum zu der Reihe elektrisch betriebener Golfwagen. Isabellas supraleitende Magneten waren tausendmal stärker als die, die etwa in medizinischen Geräten wie Magnetresonanztomographen steckten. Sie konnten einem ein Zehn-Cent-Stück mitten durch den Körper ziehen oder einem mit der eigenen Gürtelschnalle die Eingeweide herausreißen.

Isabella war gefährlich und forderte entsprechenden Respekt.

Er stieg hinter das Lenkrad, drückte auf einen Knopf, betätigte die Kupplung und legte sacht den ersten Gang ein.

Er hatte dieses Gefährt selbst entworfen, und das war mal ein hübsches kleines Wägelchen. Es fuhr zwar nicht schneller als 40 Kilometer pro Stunde, hatte aber fast so viel gekostet wie ein Ferrari Testarossa, vor allem deshalb, weil es vollständig aus nichtmagnetischen Materialien bestehen musste – Kunststoffe, Keramik und sehr schwachen diamagnetischen Metallen. Es war mit einem Kommunikationssystem ausgestattet, einem eingebauten Computer, Radarsensoren und Warnreglern vorn, seitlich und hinten, mit Strahlungssensoren, ferromagnetischem Alarm und einer besonderen, vibrationsarmen Kassette, in der empfindlichste wissenschaftliche Instrumente befördert werden konnten.

Er rollte über den Zementboden und durch die ovale Öffnung in Isabellas Tunnel. Die Kurve war eng, und er hielt den Wagen an.

»Hallo, Isabella.«

Langsam lenkte er den Wagen auf die Betonspur, die im Tunnel entlanglief, neben dem leicht gebogenen Bündel Rohre. Sobald er diese Betonbahn erreicht hatte, beschleunigte er, denn nun wurden die Räder in Rillen geführt. Eine Doppelreihe Leuchtstoffröhren an der Decke tauchte alles in ein grünlich blaues Licht. Während er den Tunnel entlangsauste, betrachtete er die dickste Röhre, eine Konstruktion aus einer schimmernden 7000er-Aluminium-Legierung, alle hundertachtzig Zentimeter geflanscht und mit dicken Bolzen verschraubt. Darin befand sich ein Vakuum, noch stärker als das auf der Mondoberfläche. Es musste absolut dicht sein: Ein einziges Atom, das in K-Null abdriftete, hätte denselben Effekt wie ein verirrtes Pferd, das plötzlich auf der Rennbahn in Daytona seitlich in das Feld sprengte. Chaos und Zerstörung.

Er beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit. Die Gummiräder flüsterten in ihren Spuren. Alle neunzig Meter kam er an einem Magneten vorbei, der wie ein großer Donut um die Röhre gewickelt war. Jeder Magnet, gekühlt auf viereinhalb Grad über dem absoluten Nullpunkt, gab einen feinen Nebel aus Kondensationsflüssigkeit ab. Dolby sauste durch die Wolken, die in kleine Wirbel zerstoben, und die Röhre raste an ihm vorbei.

In regelmäßigen Abständen kam er an einer Tür in der linken Tunnelwand vorbei, Öffnungen zu den alten Kohlenschächten. Notausgänge, falls einmal etwas passieren sollte. Aber es würde nichts passieren. Dies hier war seine Isabella.

Magnet Nummer 140 lag fast dreizehn Kilometer weit im Inneren des Tunnels … eine Fahrt von zwanzig Minuten. Es war nichts Ernstes. Dolby war beinahe froh über den kleinen Fehler – er genoss diese Zeit, allein mit seiner Maschine.

»Nicht übel«, sagte er laut,»für den Sohn eines kleinen Mechanikers aus Watts, was meinst du, Isabella?«

Er dachte an seinen Vater, der jeden Automotor auf Erden reparieren oder neu aufbauen konnte. Verdiente damit nie mehr, als dass es gerade so zum Leben reichte – es war beinahe ein Verbrechen, dass ein so guter Mechaniker nie eine echte Chance bekommen hatte. Dolby war entschlossen, das wettzumachen – und das gelang ihm auch. Als Dolby sieben war, schenkte sein Vater ihm einen Radio-Bausatz. Es erschien ihm wie ein Wunder, dass man einen Haufen Plastik-und Metallteilchen zusammenschraubte und -lötete und dann tatsächlich etwas vor sich hatte, aus dem eine Stimme kam. Mit zehn Jahren hatte Dolby seinen ersten Computer selbst gebaut. Dann konstruierte er ein Teleskop, baute noch ein paar CCD-Sensoren ein, schloss es an den Computer an und begann, Asteroiden zu beobachten. Er baute einen Teilchenbeschleuniger auf seinem Schreibtisch, mit einer alten Elektronenkanone aus einem Fernseher. Damit gelang ihm etwas, wovon jeder Alchemist träumte, etwas, das nicht einmal Isaac Newton geschafft hatte: Er hatte ein Stück Bleifolie mit Elektronen beschossen und dabei ein paar hundert Atome in Gold verwandelt. Sein armer Vater, Gott sei seiner gütigen Seele gnädig, hatte jeden Dollar, den er von seinem mageren Lohn entbehren konnte, in Bausätze, Ausrüstung und Material für seinen Sohn investiert. Ken Dolbys Traum war es, die größte, glänzendste, teuerste Maschine aller Zeiten zu bauen.

Und nun hatte er es geschafft.

Seine Maschine war perfekt, auch wenn sich irgendein Mistkerl in die Computersoftware hineingehackt hatte.

Magnet Nummer 140 kam in Sicht, er bremste heftig ab und hielt an. Er holte einen speziellen Laptop aus der Instrumentenkassette und schloss ihn an einem Steckplatz an der Seite des Magneten an. Dann hockte er sich auf die Fersen, arbeitete am Laptop und sprach dabei mit sich selbst. Er schraubte eine Metallplatte aus der Verkleidung des Magneten und schloss ein Gerät mit zwei Leitungen, eine rot, eine schwarz, an Steckplätze im Magneten an.

Er sah auf den Computerbildschirm, und seine Miene verfinsterte sich.»Na, du verfluchtes Miststück.« Die Kryopumpe, ein wichtiger Teil des Isoliersystems, war fast im Eimer. »Da bin ich ja froh, dass ich dich gleich erwischt habe.«

Schweigend packte er seine Instrumente wieder ein, schob den Laptop in seine Neoprenhülle und setzte sich hinters Lenkrad. Er nahm ein Funkgerät vom Armaturenbrett und drückte auf einen Knopf.

»Dolby an Brücke.«

»Wardlaw hier«, drang eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher.

»Ich muss mit Gregory sprechen.«

Gleich darauf meldete sich Hazelius.

»Sie können Isabella starten.«

»Der Überhitzungsalarm am Kontrollpult ist noch rot.«

Schweigen.»Sie wissen, dass ich meine Maschine niemals aufs Spiel setzen würde, Gregory.«

»Schön. Dann fahre ich sie jetzt hoch.«

»Wir müssen hier eine neue Kryopumpe einbauen, aber wir haben noch reichlich Zeit. Die hält noch mindestens zwei Durchläufe.«

Dolby verabschiedete sich, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und legte die Füße aufs Armaturenbrett. Zunächst kam es ihm vollkommen still vor, doch dann hörte Dolby allmählich leise Geräusche heraus – das Flüstern der Belüftung, das Summen der Kryopumpen, das Zischen von flüssigem Stickstoff in den äußeren Umhüllungen, das leise Stöhnen des Golfwagen-Motors, der weiter abkühlte, und das Ächzen und Knarren des Berges selbst.