»Wozu soll das gut sein?«, fragte Hazelius.
Edelstein zuckte mit den Schultern.»Reine Neugier.«
Hazelius sah sich fragend um.»Hat jemand mitgeschrieben?«
»Ich habe das irgendwo«, sagte Chen.»Ich habe es mitsamt den übrigen Daten ausgedruckt.« Sie blätterte in ihren Unterlagen herum und zog ein Blatt heraus. Hazelius nahm es ihr ab.
»Lesen Sie doch laut vor«, sagte St. Vincent.»Ich habe das meiste auch nicht mitbekommen.«
»Ich auch nicht«, sagte Thibodeaux. Die anderen stimmten zu.
Hazelius räusperte sich und las in nüchternem Tonfall vor:
»Seid gegrüßt.
Sei ebenfalls gegrüßt.
Es freut mich, mit dir sprechen zu können.
Freut mich auch, mit dir zu sprechen. Wer bist du?
In Ermangelung eines besseren Wortes – ich bin Gott.«
Hier machte Hazelius eine Pause.»Wenn ich den Mistkerl in die Finger kriege, der diese Logikbombe in unserem System installiert hat, reiße ich ihm die Eier ab.«
Thibodeaux lachte nervös.
»Woher wollen Sie wissen, dass es keine Frau war?«, fragte Corcoran.
Hazelius las nach kurzem Zögern weiter vor.
»Wenn du wirklich Gott bist, dann beweise es.
Wir haben nicht viel Zeit für Beweise.
Ich denke an eine Zahl zwischen eins und zehn. Welche Zahl ist es?
Du denkst an die transzendentale Zahl e.
Jetzt denke ich an eine Zahl zwischen null und eins.
Die chaitinsche Konstante: Omega.
Wenn du Gott bist, was ist dann der Sinn des Lebens?
Den ultimativen Sinn kenne ich nicht.
Das ist ja toll, ein Gott, der den Sinn des Lebens nicht kennt.
Wenn ich ihn kennen würde, wäre alle Existenz sinnlos. Warum?
Wenn das Ende des Universums an seinem Anfang bereits gegenwärtig wäre – wenn wir lediglich mitten im deterministischen Ablauf einer Reihe anfänglicher Bedingungen wären –, dann wäre das Universum ein sinnloses Unterfangen.
Erkläre mir das.
Wenn du an deinem Ziel angekommen bist, warum dann noch den Weg zurücklegen? Wenn du die Antwort kennst, warum die Frage stellen? Deshalb ist die Zukunft vollkommen verborgen, und das muss sie auch sein, sogar vor mir, vor Gott. Ansonsten hätte das Dasein keine Bedeutung.
Das ist ein metaphysisches Argument, kein physikalisches.
Das physikalische Argument lautet, dass kein Teil des Universums Dinge schneller berechnen kann als das Universum selbst. Das Universum ›sagt die Zukunft voraus‹, so schnell es kann.
Was ist das Universum? Wer sind wir? Was tun wir hier? Das Universum ist eine riesige, nicht reduzierbare, laufende Rechenoperation, deren Ergebniszustand ich nicht kenne und nicht kennen kann. Der Sinn aller Existenz ist, diesen finalen Zustand zu erreichen. Doch der Zustand selbst ist sogar für mich ein Geheimnis, und das muss er auch sein, denn wenn ich die Lösung wüsste, was sollte das Ganze dann für einen Sinn haben?
Was meinst du mit Rechenoperation? Stecken wir alle in einem Computer?
Mit Rechenoperation meine ich Denken. Die gesamte Existenz, alles, was geschieht, ist ein Denkprozess Gottes. Ein fallendes Blatt, eine Welle am Strand, der Kollaps eines Sterns – alles nur ich, alles Gott, der denkt.
Was denkst du gerade?«
Hazelius ließ das Blatt sinken.»Das ist alles, was festgehalten wurde.«
Edelstein murmelte:»Das ist wirklich außergewöhnlich.«
»Hört sich für mich an wie ein Haufen New-Age-Geschwafel«, sagte Innes.»Alles nur ich, alles Gott, der denkt. Ich empfinde das als geradezu infantil. Genau das, was man von einem typischen, sozial unterentwickelten Computer-Hacker erwarten würde.«
»Meinen Sie?«, fragte Edelstein.
»Allerdings meine ich das.«
»Darf ich dann darauf hinweisen, dass diese Malware – zumindest bisher – den Turing-Test bestanden hat?«
»Den Turing-Test?«
Edelstein sah ihn mit schmalen Augen an.»Davon müssen Sie doch schon einmal gehört haben.«
»Ich bitte um Entschuldigung, aber ich bin schließlich nur ein einfacher Psychologe.«
»Die bahnbrechende Abhandlung über den Turing-Test wurde in der psychologischen Fachzeitschrift Mind veröffentlicht.«
Innes setzte eine professionell nichtssagende Miene auf.»Vielleicht sollten Sie einmal darüber nachdenken, Alan, warum Sie dieses starke Bedürfnis nach Selbstbestätigung verspüren.«
»Turing«, sagte Edelstein,»war eines der großen Genies des zwanzigsten Jahrhunderts. Er hat die Idee des Computers bereits in den dreißiger Jahren entwickelt. Während des Zweiten Weltkriegs hat er den Enigma-Code der Deutschen geknackt. Nach dem Krieg wurde er wegen seiner Homosexualität verfolgt und beging schließlich Selbstmord, indem er einen vergifteten Apfel aß.«
Innes runzelte die Stirn.»Offenbar eine gefährlich instabile Persönlichkeit.«
»Wollen Sie damit sagen, Homosexuelle seien psychisch instabil?«
»Nein, ganz und gar nicht, natürlich nicht«, sagte Innes hastig.»Das bezog sich auf seine Methode, Selbstmord zu begehen.«
»Turing hat England vor den Nazis gerettet – ohne ihn hätten die Briten den Krieg verloren –, und England hat es ihm mit erbarmungsloser Verfolgung und Misshandlung gedankt. Unter diesen Umständen, finde ich, ist ein Selbstmord nicht … unlogisch. Und was die Methode angeht, sie war sauber, wirkungsvoll und in ihrem Symbolgehalt sehr aussagekräftig.«
Innes errötete.»Ich bin sicher, wir würden es alle begrüßen, wenn Sie endlich zur Sache kämen, Alan.«
Edelstein fuhr gelassen fort:»Der Turing-Test war ein Versuch, die Frage zu beantworten: ›Kann eine Maschine denken?‹ Turing schlug dafür folgende Versuchsanordnung vor: Ein menschlicher Proband führt eine schriftliche Konversation mit zwei Gesprächspartnern, die er nicht sehen kann – der eine ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Wenn der Proband nach einer längeren Unterhaltung nicht unterscheiden kann, wer von beiden Mensch und wer Maschine ist, dann kann man von der Maschine sagen, sie sei ›intelligent‹. Der Turing-Test wurde zur Standarddefinition der künstlichen Intelligenz.«
»Sehr interessant«, sagte Innes,»aber was hat das mit unserem Problem zu tun?«
»Da die Menschheit noch nichts erschaffen hat, das annähernd als künstliche Intelligenz gelten könnte, nicht einmal mit Hilfe der leistungsfähigsten Supercomputer, finde ich es doch erstaunlich, dass ein bloßes Computervirus – ein Programm, das vermutlich nur ein paar tausend Zeilen umfasst – den Turing-Test bestehen sollte. Und das mit einer Unterhaltung zu einem so abstrakten Thema wie Gott und der Sinn des Lebens.« Er deutete auf die Abschrift.»Und deshalb ist das da nicht kindisch – ganz im Gegenteil.« Er verschränkte die Arme und blickte sich um.
»Aus genau diesem Grund müssen wir noch einen Durchlauf machen«, sagte Hazelius.»Wir müssen das Ding zum Reden bringen, damit Rae es zu seinem Ursprung zurückverfolgen kann.«
Die Leute sanken auf ihren Stühlen zusammen. Niemand sprach.
»Also?«, fragte Hazelius.»Ich habe einen Vorschlag gemacht. Wir haben darüber diskutiert. Stimmen wir ab: Stöbern wir morgen diese Logikbombe auf oder nicht?«
Halbherziges Nicken und vage zustimmendes Raunen liefen durch den Raum.