Ford drehte sich um und folgte Kate zurück in den Computerraum. Die anderen drängten sich schon vor dem Notausgang, wo Wardlaw sich bemühte, die Schließanlage zu aktiveren.
Nun gab Wardlaw den Sicherheitscode ein und legte die Hand auf die Sensorfläche neben der Tastatur. Doch der Sensor war tot.
Wumm! Die Tür zur Brücke gab nach und knallte auf den Boden. Das Gebrüll des Mobs schwoll an, als die Menge sich in die verräucherte Brücke ergoss.
Eine Salve krachte, und Dolbys Schrei brach abrupt ab, als er an seinem Arbeitsplatz niedergeschossen wurde.
»Wo ist der Antichrist?«, kreischte ein Mann. Ford rannte zur Tür des Computerraums, knallte sie zu und schloss ab.
Wardlaw holte seinen Hauptschlüssel hervor und riss eine Platte neben der Tür aus der Wand, hinter der eine weitere Tastatur zum Vorschein kam. Er gab den Code ein. Nichts.
»Sie sind da hinten!«
»Brecht die Tür auf!«
Bei Wardlaws zweitem Versuch öffnete sich der Ausgang mit einem satten Klicken. Sie drängten sich hindurch in die feuchte, muffige Dunkelheit des Bergwerksstollens. Ford ging als Letzter und schob Kate vor sich her. Ein langer, breiter Tunnel lag vor ihnen, gespickt mit rostigen Metallträgern, die eine durchhängende, rissige Decke stützten. Es roch klamm und faulig, nach dem versteinerten Sumpf, der hier abgebaut worden war. Wasser tropfte von der Decke.
Wardlaw knallte den Notausgang zu und versuchte, die Tür zu versperren. Doch die Verriegelung war elektronisch und funktionierte nicht ohne Strom.
Ein donnerndes Krachen war aus dem Computerraum zu hören, und der Lärm des Mobs schwoll an. Der Rammbock hatte auch die Tür zu den Computern besiegt.
Wardlaw mühte sich ab, die Tür zu verriegeln, erst mit seiner Magnetkarte, dann mit einem Code auf dem Tastenfeld außen an der Tür.
»Ford, hierher!«
Wardlaw zog eine zweite Pistole aus seinem Gürtel und reichte sie Ford. Es war eine SIG-Sauer P229. »Ich werde versuchen, sie hier aufzuhalten. Die Minen da hinten sind eine Kammerbau-Konstruktion. Alles ist miteinander verbunden. Laufen Sie weiter, halten Sie sich möglichst links, vermeiden Sie Sackgassen, bis Sie die große Kammer erreichen, wo das Kohlenflöz zuletzt abgebaut wurde. Das sind von hier etwa viereinhalb Kilometer. Der Gasschacht ist in der hinteren linken Ecke. Über den können Sie entkommen. Warten Sie nicht auf mich – schaffen Sie bloß alle hier raus. Und nehmen Sie das auch mit.«
Er drückte ihm eine starke Taschenlampe in die Hand.
»Sie können sie allein nicht aufhalten«, sagte Ford. »Das wäre Selbstmord.«
»Ich kann Ihnen etwas Zeit verschaffen. Das ist Ihre einzige Chance.«
»Tony …«, begann Hazelius.
»Rettet euch!«
»Tötet den Antichrist!«, heulte es gedämpft hinter der Tür. »Tötet ihn!«
»LAUFT!«, brüllte Wardlaw.
Sie rannten den dunklen Tunnel entlang. Ford bildete die Nachhut. Sie platschten durch Wasserpfützen auf dem Boden und erleuchteten ihren Weg mit Taschenlampen. Er hörte ein Hämmern an der Tür, das Kreischen des Mobs, und das Wort Antichriiist echote durch die Stollen. Gleich darauf krachten mehrere Schüsse. Schreie waren zu hören, weitere Schüsse, Laute, die von Chaos und Panik kündeten.
Der Stollen war lang und gerade, und etwa alle zehn Meter gingen im rechten Winkel Gänge ab, die zu weiteren, parallel verlaufenden Stollen führten. Die bituminöse Schicht in der linken Wand zog sich leicht abwärtsgeneigt neben ihnen her und war aufgegeben worden, bevor man sie völlig abgebaut hatte; deshalb waren dort zahlreiche Sackgassen, offene Abbaukammern und ein Netz dunkler Sedimentschichten übriggeblieben.
Weitere Schüsse krachten hinter ihnen, und in den engen Räumen entwickelten sie ein verrücktes Echo. Die Luft war tot und schwer, die Wände schimmerten vor Feuchtigkeit und trugen einen Pelz aus weißem Salpeter. Der Stollen beschrieb eine breite Biegung. Ford holte zu Julie Thibodeaux auf, die den anderen hinterherlief, schlang einen Arm um sie und versuchte, ihr zu helfen.
Weitere Schüsse in der Ferne. Wardlaw in seiner letzten Schlacht, wie Leonidas bei den Thermopylen, dachte Ford traurig und war zugleich überrascht über den Mut und den entschlossenen Einsatz dieses Mannes. Er hatte ihn völlig falsch eingeschätzt.
Der Stollen öffnete sich schließlich zu einem weiten Raum mit niedriger Decke, gebildet vom Hauptflöz selbst; es wurde von gewaltigen Kohlesäulen gestützt, die man stehengelassen hatte, damit die Decke hielt. Die Seiten dieser Kohlepfeiler waren jede sieben Meter breit, schwarzglänzende Flächen aus Kohle, die im Licht der Taschenlampen schimmerten. Die Mine selbst war ein Labyrinth aus Pfeilern und offenen Bereichen, die völlig planlos angeordnet waren. Ford blieb stehen, um das Magazin zu überprüfen, und stellte fest, dass es voll geladen war, dreizehn 9-mm-Geschosse. Er ließ es wieder einrasten.
»Wir bleiben dicht zusammen«, sagte Hazelius und wartete auf die anderen. »George und Alan, Sie helfen Julie – sie tut sich schwer. Wyman, Sie bleiben hinten und geben uns Rückendeckung.«
Hazelius legte Kate beide Hände auf die Schultern und sah ihr direkt ins Gesicht. »Falls mir etwas zustoßen sollte, übernimmst du die Führung. Klar?«
Kate nickte.
Die Männer, die Eddy begleitet hatten, kamen nicht voran, denn sie wurden im Stollen hinter dem Notausgang von jemandem beschossen, der sich hinter dem ersten Kohlepfeiler versteckte.
»In Deckung!«, kreischte Eddy und zielte mit seinem Blackhawk auf die Stelle, wo er das letzte Mündungsfeuer gesehen hatte; er gab einen Schuss ab, um das Gegenfeuer zu verzögern. Weitere Schüsse krachten hinter ihm, als die anderen den Stollen stürmten und ihren Beschuss auf dieselbe Stelle konzentrierten. Die Lichtkegel eines guten Dutzends Taschenlampen flackerten den Schacht entlang.
»Er steht hinter dieser Kohlewand!«, rief Eddy. »Gebt mir Deckung!«
Die Wand wurde von einzelnen Kugeln getroffen, Kohlesplitter spritzten durch die Luft.
»Feuer einstellen!«
Eddy stand auf und rannte zu dem breiten Pfeiler, dessen ihm zugewandte Seite mindestens sieben Meter breit sein musste. Er drückte sich flach dagegen und schob sich langsam vorwärts, wobei er seinen Leuten ein Signal gab. Mehrere Kämpfer begannen, den Pfeiler in die andere Richtung zu umrunden. Langsam rückte er vor, dicht an die rauhe Oberfläche des Pfeilers gedrückt, die Waffe schussbereit.
Der Schütze hatte ihren Schachzug vorausgesehen und flüchtete hinter den nächsten Pfeiler.
Eddy hob die Waffe, schoss und verfehlte ihn. Ein weiterer Schuss krachte, bevor der Mann seine Deckung erreicht hatte. Er stürzte und kroch weiter. Frost kam auf der anderen Seite hinter dem Pfeiler hervor, hielt die Waffe mit beiden Händen und gab einen zweiten und dritten Schuss auf den kriechenden Mann ab, der sich zusammenkrümmte. Dann ging Frost hinüber und schoss ihm aus nächster Nähe eine Kugel in den Kopf.
»Alles klar«, sagte er und leuchtete mit der Taschenlampe in die nächsten Stollen. »Nur einer. Die übrigen sind geflohen.«
Russell Eddy ließ die Waffe sinken und trat in die Mitte des breiten Tunnels. Leute drängten durch die offene Tür herein, füllten den Stollen, und ihre Stimmen klangen in dem beengten Raum sehr laut. Er hob die Hand. Es wurde still.
»Es ist gekommen der große Tag Seines Zorns, und wer kann bestehen?«, rief Eddy.
Er spürte den Drang der Menge hinter sich, ihre Energie, wie ein Dynamo, der seine Entschlossenheit antrieb. Doch es waren zu viele. Er musste mit einer kleineren, mobileren, lenkbaren Gruppe dort hinein. Er drehte sich um und schrie über das knirschende Summen der Maschinen hinweg: »Ich kann nur eine kleine Gruppe mit in die Mine nehmen – nur Männer mit Schusswaffen. Habt ihr verstanden? Keine Frauen, keine Kinder. Alle Männer mit Erfahrung und einer Feuerwaffe, vortreten! Ihr Übrigen geht zurück!«