Etwa dreißig Männer drängten sich nach vorne durch.
»Stellt euch in einer Reihe auf, und zeigt mir eure Waffen! Haltet sie hoch!«
Mit einem Jubelschrei hoben die Männer ihre Waffen – Gewehre, Pistolen, Revolver. Eddy ging die Reihe entlang und musterte jeden einzelnen Mann. Er sortierte ein paar aus, die mit Repliken antiker Vorderlader bewaffnet waren, einige Teenager mit 22er-Sportgewehren und zwei Männer, die völlig durchgeknallt wirkten. Zwei Dutzend Mann blieben übrig.
»Ihr Männer kommt mit mir auf die Jagd nach dem Antichrist und seinen Jüngern. Stellt euch da hinüber.« Er wandte sich den anderen zu. »Für euch habe ich eine andere Aufgabe: Euer Platz ist dort draußen, in den Räumen, die wir eben erobert haben. Gott will, dass ihr ISABELLA ZERSTÖRT! Geht und zerstört das Tier des Abgrunds, des Name heißt Abaddon! Geht, Soldaten der Christenheit!«
Brüllend setzte sich die Menge in Bewegung, begierig darauf, auch etwas zu tun; sie strömten zurück durch die offene Tür und schwangen Vorschlaghämmer, Äxte und Baseballschläger. Aus dem Raum hinter der Tür war bereits Krachen und Scheppern zu hören.
Die Maschine schien vor Qual aufzuschreien.
Eddy schnappte sich Frost. »Mike, Sie bleiben an meiner Seite. Ich brauche Ihre Erfahrung.«
»Ja, Pastor.«
»Also dann, Männer – gehen wir!«
71
Hazelius führte die Gruppe durch die breiten Stollen, die durch das massive Kohlenflöz getrieben worden waren. Ford bildete die Nachhut. Er ließ sich zurückfallen, spähte in die Dunkelheit und lauschte. Das Feuergefecht zwischen Wardlaw und dem Mob war beendet, doch Ford konnte die Menge, die sie offenbar durch die Tunnel verfolgte, immer noch brüllen hören.
Sie hielten sich links, wie Wardlaw gesagt hatte, gerieten aber manchmal in Sackgassen und mussten umkehren. Die Mine war riesig, das mächtige Flöz erstreckte sich endlos in drei Himmelsrichtungen. Ein Irrgarten verzweigter, sich überschneidender Stollen war in die schwarze Schicht getrieben worden, wobei man nach dem Kammerbau-System dicke Kohleblöcke hatte stehenlassen, so dass ein Labyrinth aufeinanderfolgender Kammern entstanden war; diese Räume waren auf fast zufällige, unvorhersehbare Weise miteinander verbunden. Schienen verliefen kreuz und quer über den Boden. Sie stammten noch aus den fünfziger Jahren. Rostige Karren, verrottende Seile, kaputte Maschinen und Haufen nicht verladener Kohle lagen überall herum. An tiefer gelegenen Stellen mussten sie durch kleine Teiche schleimigen Wassers waten.
Isabellas kehliges Heulen folgte ihnen durch die Tunnel wie das qualvolle Stöhnen und Bellen eines tödlich verwundeten Ungeheuers. Wenn Ford stehenblieb, um zu lauschen, konnte er auch stets den Lärm ihrer Verfolger hören.
Nachdem sie eine Viertelstunde lang gerannt waren, befahl Hazelius eine kurze Rast. Sie brachen auf dem feuchten Boden zusammen, ohne sich um den pechschwarzen Dreck zu scheren. Kate hockte sich neben Ford, und er legte ihr einen Arm um die Schultern.
»Isabella wird jeden Augenblick explodieren«, sagte Hazelius. »Die Wirkung könnte die einer großen konventionellen Bombe sein, aber auch die einer kleinen Atombombe.«
»Himmel«, sagte Innes.
»Das größere Problem«, sagte Hazelius, »ist, dass einige der Detektoren mit hochexplosivem flüssigem Wasserstoff gefüllt sind. Ein Neutrino-Detektor enthält fast zweihunderttausend Liter Tetrachlorethen, ein Chlorkohlenwasserstoff, und der andere dreihundertachtzigtausend Liter Alkane – beides ist brennbar. Und seht euch nur um – in diesem Flöz ist eine Unmenge brennbare Kohle übrig. Wenn Isabella explodiert, dauert es nicht lange, und der ganze Berg steht in Flammen. Nichts wird dieses Feuer aufhalten können.«
Schweigen.
»Die Explosion könnte auch Einstürze zur Folge haben.«
Die Kakophonie der Horde, die sie verfolgte, echote durch die Stollen, ab und zu von einem Schuss unterstrichen, und übertönte sogar das jaulende, knirschende, vibrierende Summen Isabellas.
Der Mob, erkannte Ford, holte allmählich auf. »Ich gehe ein Stück zurück und feuere ein paar Schüsse auf sie ab«, sagte er. »Um sie ein bisschen aufzuhalten.«
»Hervorragende Idee«, sagt Hazelius. »Aber bitte treffen Sie niemanden.«
Sie gingen weiter. Ford blieb zurück, glitt in einen Seitengang, schaltete seine Taschenlampe aus und lauschte gespannt. Der Lärm der Verfolger rollte durch die Kammern, fern und verzerrt.
Ford tastete sich den Querstollen entlang, eine Hand an der Wand, und prägte sich den Weg ein. Allmählich wurden die Geräusche lauter, und dann konnte er das schwache Licht eines halben Dutzends Taschenlampen in der Dunkelheit hüpfen sehen. Er zog die Pistole, duckte sich hinter einen Kohlepfeiler und richtete die Waffe an die Decke.
Die Verfolger kamen näher. Ford feuerte rasch hintereinander drei 9-mm-Parabellum-Patronen ab, und die Schüsse hallten in dem beengten Raum wie Donner. Eddys Mob wich zurück und schoss blindlings in die Dunkelheit.
Ford huschte in einen weiteren dunklen Seitengang, legte eine Hand an die Wand, um sich zu orientieren, und lief rasch an zwei weiteren Queröffnungen vorbei. Eine zweite Gruppe Verfolger näherte sich – offenbar hatten sie sich in kleinere Teams aufgeteilt –, doch diese Gruppe bewegte sich wegen der Schüsse sehr vorsichtig.
Er zog sich zurück – eine Hand immer noch an der Wand – und zählte drei weitere Pfeiler ab, ehe er sich sicher genug fühlte, seine Taschenlampe wieder einzuschalten. Er hielt sich leicht geduckt und rannte den Stollen entlang in der Hoffnung, seine Gruppe wieder einzuholen. Doch im vollen Lauf hörte er plötzlich ein seltsames, hustendes Geräusch hinter sich. Er blieb stehen. Isabellas knurrendes Summen hob sich zu einem schrillen Heulen, immer höher, bis es einem ohrenbetäubenden Kreischen glich, dann gab sie ein ungeheuerliches Brüllen von sich, das lauter und lauter wurde und den Berg erbeben ließ. Ford spürte, was nun kommen würde, und warf sich auf den Boden.
Das Brüllen wurde zu einem Erdbeben, der Boden selbst zuckte und bäumte sich auf. Ein gewaltiges Wumm folgte, eine Druckwelle lief durch die Mine, erfasste ihn wie ein Blatt im Wind und schleuderte ihn gegen einen Kohlepfeiler. Als der Donnerschlag durch die Kammern weiterlief, fegte ein heftiger Wind durch die Tunnel, der alles mit sich riss und kreischte wie eine Banshee. Ford kauerte im Windschatten des Kohlepfeilers und zog den Kopf ein, während Kohlebrocken und Steine an ihm vorbeischossen.
Schließlich rollte Ford sich zur Seite und blickte auf. Die Decke riss und splitterte, es regnete Kohle und Steinsplitter. Er sprang auf und versuchte, dem Einsturz der Stollen davonzulaufen, der sich brüllend von hinten näherte.
Eddy wurde von der Wucht der Explosion zu Boden geschleudert. Er lag mit dem Gesicht nach unten in einer schlammigen Pfütze, Steinchen und Schmutz regneten auf ihn herab, und in den Tunneln hallte und krachte es, nah und fern. Staub hing in der Luft, und er konnte kaum mehr atmen. Alles schien um ihn herum einzustürzen.
Minuten vergingen, und die donnernden Einstürze ebbten zu einem gelegentlichen Rumpeln ab. Als auch das Rumpeln verklang, folgte eine ängstliche Stille, und von Isabella war nichts mehr zu hören. Die Maschine war tot.
Sie hatten sie getötet.
Eddy setzte sich hustend auf. Einen Moment lang tastete er in der erstickenden Staubwolke herum, bis er seine Taschenlampe fand, die immer noch leuchtete. Um ihn herum standen die anderen auf, und ihre Lampen schwebten wie Glühwürmchen im Dunst. Der Tunnel war keine zwanzig Meter hinter ihnen eingestürzt, doch sie hatten überlebt.
»Gelobt sei der Herr!«, sagte Eddy und hustete erneut.
»Gelobt sei der Herr!«, jubelten seine Gefolgsleute. Eddy zog Bilanz. Einige seiner Soldaten waren durch herabstürzendes Gestein verletzt worden. Blut lief ihnen über die Stirn, und sie hatten Schnittwunden an den Schultern. Andere schienen unverletzt zu sein. Zum Glück war niemand ums Leben gekommen.