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»Ich weiß nicht recht«, sagt Satnam, aber Najia genießt den Geruch nach dicht gedrängten Körpern, Schweiß und ursprünglichen Flüssigkeiten. Sie schiebt sich nach vorn und blickt hinunter auf den Kampfplatz. Geld wechselt den Besitzer — weiche, abgenutzte Banknoten wischen über die Wetttische. Fäuste wedeln mit Bündeln aus Rupien, Dollars und Euros. Die Satta-Männer notieren jede Paisa. Alle Augen starren aufs Geld, mit Ausnahme eines Mannes, der ihr diagonal gegenüber auf dem Boden steht. Er schaut auf, als hätte er die Last ihres Blickes gespürt. Jung, halbseiden. Offensichtlich ein Gangster, denkt Najia. Ihre Blicke treffen sich.

Der Ausrufer, ein fünfjähriger Junge im Cowboyanzug, stapft über den Platz und feuert das Publikum an, während zwei alte Männer mit Harken aus dem blutigen Sand einen Zen-Garten machen. Er hat ein Bindi-Mikro an der Kehle. Seine bizarre zarte Stimme, die gleichzeitig jung und alt klingt, rasselt aus der Lautsprecheranlage, unterlegt mit einer Brühe aus einem Anokha-Tabla-Mix. Sein unschuldiger und gleichzeitig erfahrener Tonfall lässt darauf schließen, dass er Brahmane ist, überlegt Najia. Nein, der Brahmane sitzt in der Kabine in der ersten Reihe, ein scheinbar zehn Jahre alter Junge, der wie ein Mittzwanziger gekleidet ist, flankiert von Möchtegern-Tivi-Girlis. Der Ausrufer ist nur irgendein Straßenjunge. Najia stellt fest, dass sie schnell und flach atmet. Sie weiß nicht mehr, wo Satnam ist.

Der Lärm, der bereits überwältigend ist, steigert sich noch mehr, als die Teams auf den Sand treten, um ihre Kämpfer vorzuführen. Sie halten sie hoch und stolzieren im Ring umher, damit alle Leute sehen können, wofür sie ihr Geld ausgegeben haben.

Die Mikrosäbler sind entsetzliche Geschöpfe. Das ursprüngliche Patent gehörte einer kleinen Gentechnikfirma in Kalifornien. Man kreuze die gewöhnliche Felis domesticus mit rekonstruierter fossiler DNS von Smilodon fatalis. Das Ergebnis: eine Bonsai-Säbelzahnkatze, etwa von der Größe einer kräftigen Maine Coon mit einer dentalen Ausstattung aus dem Jungpleistozän und entsprechenden Manieren. Sie genossen eine kurzzeitige Popularität als Modehaustiere, bis ihre Besitzer feststellten, dass sie auf ihren und den benachbarten Grundstücken die Katzen, Hunde, guatemaltekischen Hausangestellten und Babys dezimierten. Die Gentechnikfirma meldete Konkurs an, bevor die Haftbefehle eintrafen, aber das Patent war in den Kampfclubs von Manila, Shanghai und Bangkok bereits unzählige Male verletzt worden.

Najia beobachtet ein sportliches Mädchen in bauchfreiem Muskeltop und Springerhose, das ihren Champion in der Arena zur Schau stellt. Die große Katze ist silbrig getigert und hat den Körperbau eines Kampfflugzeugs. Ein prachtvolles Monster mit Killergenen. Die Säbelzähne stecken in Lederscheiden. Najia bemerkt den Stolz und die Liebe des Mädchens, während die tosende Bewunderung der Menge sich auf sie richtet. Der Ausrufer zieht sich auf das Podium der Kommentatoren zurück. Die Buchmacher verteilen hastig Zettel. Die Wettkämpfer kehren zu ihren Boxen zurück.

Das Muskeltop-Mädchen spritzt ihrer Katze ein Aufputschmittel, während ihr männlicher Kollege dem Tier ein Fläschchen mit Poppers unter die Nase hält. Sie halten ihren Helden in den Armen. Sie halten den Atem an. Die Gegner putschen ihren Kämpfer auf, einen kleineren schlanken Mikrosäbler, der schwarz ist wie die tiefste Nacht. Es wird völlig still in der Arena. Der Ausrufer trötet mit seinem Lufthorn. Die Gegner nehmen ihren Kampfkatzen den Lederschutz ab und werfen sie auf den Platz.

Die Menge schreit mit einer Stimme. Najia Askarzadah heult und tobt mit den anderen. Für sie gibt es nur noch die zwei kämpfenden Katzen, die sich gegenseitig anspringen und aufschlitzen, während ihr das Blut rauschend in die Augen und Ohren strömt.

Es läuft erschreckend schnell und blutig ab. Nach wenigen Sekunden hängt ein Bein der hübschen Silberkatze nur noch an einem Faden aus Knorpel und Haut. Blut spritzt aus der offenen Wunde, aber das Tier schreit den Feind trotzig an, versucht auszuweichen, mit dem schlaffen Dreieck aus Fleisch zu rennen und mit den schrecklichen, tödlichen Zähnen zuzuschlagen. Schließlich liegt es am Boden und dreht sich krampfartig auf dem Rücken, pflügt eine Welle aus blutigem Sand auf. Die Sieger haben ihrem Champion bereits eine Halskette angelegt und schleifen das wütende, kreischende Ding zum Gehege. Die silbrige Katze heult und klagt, bis jemand von der Schiedsrichterbank hinüberläuft und ihr einen Porenbetonstein auf den Kopf fallen lässt.

Muskeltop-Mädchen steht reglos da und beobachtet verdrossen, wie die zermatschte, zuckende Masse weggeschaufelt wird. Sie beißt sich auf die Unterlippe. In diesem Moment liebt Najia sie, und sie liebt den Jungen, mit dem sie Blickkontakt hatte, sie liebt jeden und alles in dieser Holzarena. Ihr Herz bebt, ihr Atem brennt, ihre Fäuste sind geballt und zittern, ihre Pupillen sind erweitert, und ihr Hirn strahlt. Sie ist zu achthundert Prozent lebendig und heilig. Wieder sucht sie den Blick des offensichtlichen Gangsters. Er nickt, aber sie erkennt, dass er einen schweren Verlust erlitten hat.

Die Sieger treten in den Ring, um die Bewunderung der Menge entgegenzunehmen. Der Ausrufer schreit in das Soundsystem, und auf den Bänken der Buchmacher schieben Hände Geld Geld Geld hin und her. Das ist es, sagt sie sich, weswegen du nach Bharat gekommen bist, Najia Askarzadah. Um Leben und Tod, Illusion und Realität auf genau diese Weise zu erleben. Um etwas zu haben, das dir das verdammte, vernünftige, tolerante Schweden wegbrennt. Um etwas Wahnsinniges und Unverfälschtes zu schmecken. Ihre Brustwarzen sind hart. Sie spürt, dass sie feucht ist. Es ist dieser Krieg, dieser Krieg ums Wasser, dieser Krieg, von dem sie leugnet, dass sie seinetwegen hier ist, dieser Krieg, von dem jeder befürchtet, dass er kommen wird. Sie fürchtet ihn nicht. Sie will diesen Krieg. Sie will ihn sehr.

5

Lisa

Vierhundertfünfzig Kilometer über dem Westen von Ecuador rennt Lisa Durnau durch eine Herde Bobbets. Sie stieben vor ihr auseinander, richten sich auf den kräftigen Beinen auf und schlagen die Hufe in den Boden, die Signalkämme erhoben. Das Blätterdach des Waldes wirft ihre trillernden Rufe zurück. Die grasenden Jungtiere schauen hoch, bäumen sich auf, kreischen und stürmen dann zu den Beuteln ihrer Eltern. Die hüfthohen Sauro-Marsupialen entfernen sich in zwei Fluchtschwärmen von Lisa, während die Jungen verzweifelt versuchen, kopfüber in die Bauchtaschen zu kriechen. Sie sind eine der erfolgreichsten Spezies von Biom 161. In den Wäldern im Simulationsjahr acht Millionen vor der Gegenwart pulsieren ihre schwarzen Herden. Alterre läuft mit hunderttausend Jahren pro Realjahr, so dass sie schon morgen ausgestorben sein könnten. Dieser hohe, feuchte Wolkenwald aus schirmförmigen Bäumen trocknet durch einen Klimawandel allmählich aus. Doch in diesem ökologischen Moment, in diesem Zeitausschnitt einer Welt, die in einer anderen Epoche, auf einer anderen Erde der Norden von Tansania sein wird, gehört der heutige Tag ihnen.

Die rennenden, hetzenden Bobbets schrecken eine Gruppe von Trantern auf, die sich auf die Hinterbeine erhoben haben, um die Blätter von einem Trudeau-Baum zu schlürfen. Die großen, langsamen Pflanzenfresser lassen sich auf die längeren Vorderbeine fallen und galoppieren unbeholfen davon. Ihre von gestreiftem Fell bedeckten Panzerplatten bewegen sich wie Maschinenteile. Tarnung von William Morris, denkt Lisa Durnau, Botanik von René Magritte. Die Trudeau-Bäume sind perfekte Halbkugeln aus Blättern, die gleichmäßig über die Ebene verteilt sind wie das Musterbeispiel einer statistischen Distribution. Einige Äste tragen Samenknospen, die in der Brise pendeln. Sie können ihre Samen über einen Hundert-Meter-Radius wie Flechette-Geschosse ausstreuen. Auf diese Weise kommt die mathematische Regelmäßigkeit zustande. Kein Trudeau wächst im Schatten eines anderen Baumes heran, aber das Blätterdach ist ein Füllhorn der unterschiedlichsten Spezies.