Najia drückt die Hände an die Scheibe und schreit, als sie sieht, wie der Wagen auf Thal in sys verdreckten schicken Sachen zufährt. Thal hebt nutzlos eine Hand. Bremsen kreischen und blockieren im klebrigen Sumpfschlamm. Najia schließt die Augen. Sie weiß nicht, wie es sich anhört, wenn eine nordeuropäische Maschine im Wert von einer halben Million Rupien auf einen chirurgisch umgerüsteten menschlichen Körper trifft, aber sie ist davon überzeugt, dass sie es erkennen wird, wenn sie es hört. Sie hört es nicht. Sie hört, wie eine schwere Autotür zugeschlagen wird. Sie wagt es, die Augen wieder zu öffnen. Der Mann und das Neut stehen im spätnächtlichen Regen. Das ist Shaheen Badoor Khan, denkt Najia. Sie erinnert sich daran, wo sie ihn schon einmal gesehen hat, auf den Fotos aus dem Club. Blitzlicht auf dunklen Polstersesseln, geschnitztem Holz, polierten Oberflächen, aber der Dialog ist der gleiche, zwischen Politiker und Neut. Diesmal überreicht das Neut das Objekt der Macht. Shaheen Badoor Khan ist kleiner, als sie sich vorgestellt hat. Sie versucht ihn zu charakterisieren: Verräter, Feigling, Ehebrecher, Idiot. Doch all ihre Anschuldigungen werden wie Sterne in ein Schwarzes Loch zum Bild des Raumes am Ende des Korridors gezogen, dem Raum, in dem sie niemals war, dem Raum, von dem sie niemals wusste, dass er existierte, dem Raum am Ende ihrer Kindheit, wo ihr Vater sie willkommen heißt. Hier wird Geschichte gemacht, versucht sie sich zu sagen, um die schreckliche Gravitation dessen zu überwinden, was die Kaih ihr über ihren Vater erzählt hat. Genau vor dir auf einem Feldweg wird die Zukunft gestaltet, und du hast einen Platz in der ersten Zuschauerreihe. Du bist hier, wo das Leben pulsiert, und du kannst schon das warme Geld riechen. Dies ist das größte Ereignis deiner Zeit, nicht nur für dich, sondern für alle anderen Menschen. Dies ist dein Pulitzer-Preis, noch bevor du fünfundzwanzig geworden bist.
Auf diesen Moment wirst du für den Rest deines Leben zurückblicken, Najia Askarzadah.
Es klopft am Fenster. Shaheen Badoor Khan beugt sich herab. Najia kurbelt die Scheibe herunter. Sein Gesicht ist mit grauen Stoppeln übersät, seine Augen sind von Erschöpfung überschattet, aber in ihnen brennt ein winziges Licht, wie eine Diya, die auf einem weiten, dunklen Fluss treibt. Trotz aller Vorkommnisse und Widrigkeiten, gegen den Strom der Geschichte, steht er kurz vor dem Sieg. Najia denkt an die Frauen, die ihre Kampfkatzen hoch erhoben und stolz durch den Ring tragen, geschunden, aber tapfer. Er reicht ihr die Hand.
»Ms. Askarzadah.« Seine Stimme ist tiefer, als sie sich vorgestellt hat. Sie nimmt die Hand an. »Sie müssen verzeihen, wenn ich an diesem Morgen etwas langsam zu reagieren scheine. Der Sturm der Ereignisse hat mich ziemlich überwältigt, aber ich muss mich bei Ihnen bedanken, nicht nur meinetwegen — denn ich bin nur ein Staatsdiener —, sondern im Namen meiner Nation.«
Danke mir nicht, denkt Najia. Ich war es, die dich verkauft und überhaupt erst in diese Lage gebracht hat. »Schon gut«, sagt sie.
»Nein, nein, Ms. Askarzadah, Sie haben eine Verschwörung solchen Ausmaßes, solcher Dreistigkeit aufgedeckt ... Ich weiß noch gar nicht, was ich davon halten soll, es ist buchstäblich atemberaubend. Maschinen, Künstliche Intelligenzen ...« Er schüttelt den Kopf, und sie spürt, wie unendlich erschöpft er ist. »Selbst mit diesen Informationen ist es noch lange nicht vorbei, und Sie sind keineswegs in Sicherheit. Ich habe einen Fluchtplan — jeder in der Bharat Sabha hat einen Fluchtplan. Ich hatte die Absicht, gemeinsam mit meiner Frau zu fliehen, aber meine Frau hat, wie Sie herausgefunden haben ...« Wieder schüttelt Shaheen Badoor Khan den Kopf, und diesmal spürt Najia seine Fassungslosigkeit angesichts der Verschachtelungen, der schamlosen Verwegenheit der Verschwörung. »Sagen wir einfach, ich habe noch ein paar Vertraute in einflussreichen Positionen, und jene, auf deren Loyalität ich mich nicht verlassen kann, werden zumindest gut bezahlt. Ich kann Sie nach Kathmandu bringen, aber danach wären Sie auf sich allein gestellt. Ich möchte Sie nur um eins bitten, da ich weiß, dass Sie Journalistin sind. Sie haben die größte Story des Jahrzehnts, aber könnten Sie bitte nichts veröffentlichen, bevor ich meine letzte Karte ausgespielt habe?«
»Okay«, stammelt Najia Askarzadah. Natürlich, kein Problem. Ich bin dir etwas schuldig. Du weißt es nicht, aber ich bin dein Folterknecht.
»Danke. Vielen Dank.« Shaheen Badoor Khan blickt in den blutenden Himmel hinauf, blinzelt im dünnen, bitteren Regen. »Ach, ich habe nie schlimmere Zeiten erlebt. Und bitte glauben Sie mir, wenn ich überzeugt gewesen wäre, dass Bharat durch das, was Sie mir gegeben haben, größeren Schaden erlitten hätte ... Ich kann nichts mehr für meine Premierministerin tun, aber jetzt kann ich wenigstens noch etwas für mein Land tun.« Er richtet sich abrupt auf, blickt über das nasse Sumpfland. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bevor irgendjemand von uns in Sicherheit ist.«
Er schüttelt erneut ihre Hand, fest und grimmig, dann kehrt er zu seinem Wagen zurück. Thal und er wechseln nur einen kurzen Blick.
»Das ist der Politiker?«, fragt der Taxi-Wallah, als er den Rückwärtsgang einlegt, um den Mercedes vorbeizulassen.
»Das war Shaheen Badoor Khan«, sagt Thal, der nass auf der Rückbank neben Najia sitzt. »Der ehemalige Privatsekretär von Sajida Rana.«
»Donnerwetter!«, ruft der Fahrer, hängt sich an Shaheen Badoor Khan und hupt frühe Ochsenkarren auf der Landstraße an. »Man muss Bharat einfach lieben!«
Die Jamshedpur-Grameen-Bank besteht aus einem Dutzend ländlicher Sathin-Frauen, die in über einhundert Dörfern Mikrokredite verwalten. Die meisten von ihnen haben nie das Hinterland von Bihar verlassen, einige von ihnen sind sich nie zuvor leibhaftig begegnet, aber sie haben einen Stammaktienanteil an Ray Power in Höhe von fünfzig Lakh. Ihr Kaih-Repräsentant ist eine häusliche kleine Bibi, Stufe 2,1, pummelig, lächelnd, mit Lebensfalten im Gesicht und einer grellroten Bindi. Sie könnte überzeugend die Rolle eines Tantchens vom Lande in einer Episode von Stadt und Land übernehmen. Sie namastiert in Vishrams Hoek-Sicht.
»Für die Resolution«, sagt sie freundlich, wie es eine Mama tun würde, und verschwindet.
Vishram hat die Kopfrechnungen angestellt, bevor Indira ihm das grafisch aufbereitete Ergebnis in die Augen spielen kann. Als Nächstes steht KHP Holdings auf der Liste, achtzehn Prozent Anteil, mit Abstand der größte Einzelaktionär außerhalb der Familie. Wenn Bhardwaj mit Ja stimmt, hat Vishram gewonnen. Wenn er mit Nein stimmt, braucht Vishram noch elf der übrigen zwanzig Parteien.
»Mr. Bhardwaj?«, sagt Vishram. Seine Hände liegen flach auf dem Tisch. Er darf sie nicht anheben, weil sie zwei handtellergroße Schweißflecken hinterlassen würden.
Bhardwaj nimmt seine Brille mit der harten Titanfassung ab und wischt mit einem Poliertuch aus weichem Filz über einen taktischen Schmutzfleck. Er atmet hörbar durch die Nase aus.
»Das ist ein höchst irreguläres Vorgehen«, sagt er. »Ich kann nur darauf hinweisen, dass so etwas unter Mr. Ranjit Ray niemals passiert wäre. Aber das Angebot ist großzügig und lässt sich nicht ignorieren. Daher unterstütze ich den Vorschlag und stimme für die Resolution.«
Vishram erlaubt seiner Faust und seinen Kiefermuskeln einen kleinen mentalen Spasmus, ein kleines Ja! Selbst an dem Abend, als er am Funny-Ha-Ha-Wettbewerb teilnahm, hat er keinen Publikumskick erlebt wie das Gemurmel, das sich nun am Sitzungstisch erhebt. Auch die anderen können rechnen. Vishram spürt, wie Marianna Fuscos bestrumpfter Schenkel unter der transparanten Tischplatte aus Nano-Diamant kurz gegen seinen drückt. Eine Bewegung am Rand seines Sichtfelds lässt ihn aufblicken. Seine Mutter schlüpft aus dem Saal.
Die Formalitäten der weiteren Abstimmung hört er kaum noch. Wie betäubt dankt er den Aktionären und Vorstandsmitgliedern für ihr Vertrauen in den Namen und die Familie Ray. Und denkt dabei: Geschafft! Geschafft! Scheiße, geschafft! Er erklärt der Tischrunde, dass er sie nicht enttäuschen wird, dass sie diesem großen Unternehmen eine großartige Zukunft gesichert haben. Und denkt dabei: Ich werde Marianna Fusco in ein Restaurant ausführen, ins beste, das sich in der Hauptstadt eines besetzten Landes auftreiben lässt, dessen Premierministerin soeben ermordet wurde. Er fordert alle Anwesenden auf, durch den Korridor weiterzugehen, dann werden Sie genau die Zukunft sehen, für die Sie gestimmt haben. Und denkt dabei: ein weicher, verknoteter Seidenschal.