Fünfter Absatz, sechster.
Mr. Nandha hat sich vorgenommen, sich bei seiner Frau zu entschuldigen, weil er sie vor ihrer Mutter aus der Fassung gebracht hat. Die Entschuldigung ist nicht unbedingt nötig, aber Mr. Nandha ist davon überzeugt, dass es gut für eine Ehe ist, wenn man gelegentlich nachgibt, obwohl man im Recht ist. Doch sie muss anerkennen, dass er sich mitten im wichtigsten Fall der Geschichte des Ministeriums Zeit für sie genommen hat, mitten in einem Fall, der ihm, wenn er die Exkommunikation vollzogen hat, die Beförderung zum Investigative Officer First Rank einbringen wird. Dann werden sie glückliche Abende miteinander verbringen und in den Broschüren mit den Neubauten im Quartier blättern.
Während der letzten drei Treppenabsätze pfeift Mr. Nandha Melodien aus den Concerti grossi von Händel.
Es passiert nicht in dem Moment, als er den Schlüssel ins Schloss steckt. Auch nicht, als er die Hand an den Knauf legt und ihn dreht. Doch während des Zeitraums, den er benötigt, um den Knauf zu drehen und die Tür zu öffnen, wird ihm bewusst, was er vorfinden wird. Und er weiß, was seine Epiphanie im Korridor des Ministeriums kurz vor der Dämmerung zu bedeuten hatte. Es war genau der Moment, in dem seine Frau ihn verlassen hat.
Melodiefetzen von Händel hallen in seinem Hörzentrum nach, doch als er über die Schwelle tritt, hat sich sein Leben genauso verändert wie das Schicksal des Regentropfens, der einen Millimeter neben einem Berggipfel landet, um schließlich in einen ganz anderen Ozean zu fließen.
Er muss ihren Namen nicht rufen. Sie ist endgültig, unwiderruflich fort. Er bemerkt es nicht an der Abwesenheit von Dingen — ihre Chati-Magazine liegen auf dem Tisch, der Dhobi-Korb steht in der Küche neben dem Bügelbrett, ihre schmückenden Götter und Votivgaben befinden sich an den üblichen glückverheißenden Stellen. Die Blumen in der Vase sind frisch, die Geranien gewässert. Es ist ihre Abwesenheit in all diesen Dingen, den Möbeln, der Form des Zimmers, den Teppichen, dem tröstenden, glücklich machenden Fernseher, den Tapeten, den Gardinenstangen und der Farbe der Türen. In den Lichtern, den Küchenutensilien, den weißen Lebensmitteln. Ein halbes Heim, ein halbes Leben und eine halbe Ehe wurden subtrahiert. Die Natur verabscheut dieses Vakuum nicht. Es pulsiert, es besitzt Form und Geometrie.
Mr. Nandha weiß, dass er Laute von sich geben, Handlungen ausführen, Gefühle empfinden sollte, die der Situation angemessen sind, wenn man feststellt, dass man von seiner Frau verlassen wurde. Doch er tritt benommen und mit starrer Miene ins Zimmer und wieder hinaus, die Lippen fast zu einem Lächeln verzogen, als würde er seine Verteidigung auf den nächsten Schlag vorbereiten, wie ein Seemann, der sich in einem Tropensturm an den Mast fesselt, damit die Naturgewalten mit voller Macht über ihn hereinbrechen können. Das ist der Grund, warum er zum Schlafzimmer geht. Die bestickten Kissen, die Hochzeitsgeschenke von seinen Arbeitskollegen waren, sind auf den jeweiligen Seiten des Bettes angeordnet. Das teure Exemplar des Kamasutra, die Pflichtlektüre eines Ehepaars, liegt auf dem Nachttisch. Das glattgezogene Bettlaken ist ordentlich zurückgeschlagen.
Mr. Nandha beugt sich herab, um am Laken zu schnuppern. Nein. Er will gar nicht wissen, ob hier ein Anzeichen von Schuld zu finden ist. Er öffnet die Schiebetüren des Holzschranks, macht eine Inventur, was mitgenommen und zurückgelassen wurde. Die goldenen, blauen, grünen Saris, die reinweiße Seide für besondere Anlässe. Das wunderschöne scharlachrote Choli, das er so gern an ihr gesehen, das ihn von der anderen Seite eines Raumes oder einer Gartenparty begeistert hat. Sie hat all die gepolsterten, parfümierten Bügel mitgenommen und die billigen dagelassen, die sich zu flachen Rhomben verbogen haben. Mr. Nandha geht in die Knie, um sich das Schuhregal anzusehen. Es ist größtenteils leer. Er nimmt einen Slipper in die Hand, mit weicher Sohle, aus Satin und Goldfäden gearbeitet, streicht mit den Fingern über die Spitze, die weiche, wie eine Brust gewölbte Ferse. Er stellt ihn zurück. Er kann ihre hübschen Schuhe nicht ertragen.
Er schließt die Schiebetür vor den Kleidern und Schuhen, aber es ist nicht Parvati, an die er denkt, sondern seine Mutter, wie er sie am Ghat verbrannte, den Kopf kahlgeschoren und ganz in Weiß gekleidet. Er denkt daran, wie es anschließend in ihrem Haus war, die Schmerzlichkeit ihrer Kleider und Schuhe im Schrank, mit einem Mal überflüssig geworden, all ihre Vorlieben im Tod entblößt.
Die Nachricht klebt am Regal in der Küche, wo seine ayurvedischen Tees und Diätartikel aufbewahrt werden. Er stellt fest, dass er sie dreimal gelesen hat, ohne mehr zu verstehen als die offensichtliche Bedeutung, dass sie fort ist. Er kann die Worte nicht zu Sätzen verbinden. Gehe fort. Tut mir so leid. Kann dich nicht lieben. Suche nicht nach mir. Zu nahe. Zu viele Worte, die viel zu nahe beieinander stehen. Er faltet den Zettel zusammen, steckt ihn in die Tasche und steigt die Treppe zum Dachgarten hinauf.
Auf der freien Fläche, im grauen Licht, unter den Augen seiner Nachbarn und kybernetischen Avatare spürt Mr. Nandha, wie sich seine zusammengeballte Wut aus ihm erbricht. Am liebsten würde er den Mund öffnen und alles in einem ekstatischen Strom aus sich hinausfließen lassen. Sein Magen hebt sich, er kämpft dagegen an, bekommt ihn unter Kontrolle. Mr. Nandha unterdrückt die krampfhafte Übelkeit.
Was ist das für ein widerlicher chemischer Geruch? Trotz seiner Disziplin hat er einen Moment lang das Gefühl, dass sein Magen sich gegen ihn durchsetzen könnte.
Mr. Nandha kniet auf der Kante eines Hochbeets, steckt die Finger in die klebrige Erde. Sein Palmer klingelt. Mr. Nandha kann sich nicht vorstellen, was dieses Geräusch bedeuten könnte. Dann veranlasst ihn die wiederholte Nennung seines Namens, die Finger aus der Erde zu ziehen, auf das nasse Dach in der Abenddämmerung von Varanasi zurückzukehren.
»Nandha.«
»Chef, wir haben sie gefunden.« Viks Stimme. »Gyana Chakshu ist vor zwei Minuten auf sie gestoßen. Sie ist hier in Varanasi. Chef, sie ist Kalki. Wir haben alle Puzzleteile zusammengesetzt. Sie ist die Kaih. Sie ist die Inkarnation von Kalki. Ich lasse den Senkrechtstarter einen Umweg fliegen, damit er Sie abholt.«
Mr. Nandha richtet sich auf. Er blickt auf seine Hände, wischt sich an den Holzschwellen den Dreck ab. Sein Anzug ist fleckig, zerknittert, durchnässt. Er kann sich nicht vorstellen, sich jemals wieder trocken zu fühlen. Doch er zupft seine Manschetten zurecht, rückt seinen Kragen gerade. Er nimmt die Waffe aus der Innentasche und lässt sie entspannt an seiner Seite hängen. Die frühen Neonreklamen von Kashi schnattern und flackern zu seinen Füßen. Er muss seine Arbeit tun. Er hat einen Auftrag zu erfüllen. Er wird alles so gut bewältigen, dass nie wieder jemand etwas gegen Nandha vom Ministerium sagen kann.
Der Senkrechtstarter sinkt zwischen den großen Wohnkomplexen herab. Mr. Nandha sucht im Treppenhaus Schutz, während das Flugzeug über dem Dach langsamer wird und die Triebwerke schwenkt. Vik sitzt auf dem Platz des Kopiloten, als die Maschine in den Schwebemodus geht, das Gesicht durch die Konsolen-LEDs dramatisch von unten beleuchtet. Das Dach kann unmöglich einen Senkrechtstarter der Bharati Air Force tragen. Also lässt die Pilotin ihn zentimeterweise in einem ausbalancierten Newton’schen Ballett herabsinken und bringt ihn in Position, damit Mr. Nandha zwischen den Wirbeln von den Triebwerken an den Flügelspitzen hindurchschlüpfen und sicher über die Zugangsrampe im Heck einsteigen kann. Der Rückstoß richtet die Verwüstung an, die er in seiner Phantasie durchgespielt hat. Die Spaliere werden sofort plattgedrückt. Die Geranien werden von den Stangen gefegt. Setzlinge und kleine Pflanzen werden aus der weichen Erde gerissen, auch die Erde selbst rollt in matschigen Klumpen davon. Das getränkte Holz der Beete dampft und raucht. Die Pilotin lässt die Maschine herabsinken, bis die Räder die Dachpappe berühren. Die Heckrampe wird ausgefahren.