»Ich werde dich begleiten. Achuthanandan wird sich um dich kümmern. Du hast einen leichten Schock, du solltest es ruhig angehen.«
Die Tilaka: Er ist sich sicher, dass sie sich bewegt. Mystery Girl kommt auf die Beine. Sie streckt ihm schüchtern und förmlich die Hand hin.
»Vielen Dank. Ich glaube, ohne Sie hätte ich große Schwierigkeiten bekommen.«
Thomas Lull schlägt ein. Ihre Hand ist lang und ästhetisch, zart und trocken. Sie weicht immer wieder seinem Blick aus.
»Für Asthma Man gehört so was zum täglichen Geschäft.«
Er geht mit ihr zu den Lichtern zwischen den Palmen. Die Brandung verstärkt sich, die Bäume werden heftig geschüttelt. Die Lampen auf der Hotelveranda tanzen und flimmern hinter dem Schleier der Palmwedel. Die Strandparty kommt ihm plötzlich langweilig vor. Alles, was ihm etwas bedeutet und ihn bestätigt hatte, erscheint ihm, seit er diesem Mädchen begegnet ist, dürftig und alt. Vielleicht kommt jetzt der Monsun, der Wind, der ihn weiterwehen wird.
»Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen eine Atemtechnik beibringen. Als ich jung war, habe ich schwer unter Asthma gelitten. Bei dem Trick geht es um den Gasaustausch. Es ist ziemlich einfach. Ich habe seit zwanzig Jahren keinen Anfall mehr gehabt. Sie könnten Ihre Inhalatoren wegschmeißen. Ich könnte Ihnen das Grundprinzip zeigen, wenn Sie irgendwann morgen vorbeikommen ...«
Das Mädchen hält inne, denkt darüber nach und nickt schließlich. Ihre Tilaka fängt von irgendwo Licht auf.
»Danke. Das würde ich sehr zu schätzen wissen.«
Sie spricht sehr zurückhaltend, sehr viktorianisch, achtet sehr genau auf die Betonung der Worte.
»Also gut, Sie finden mich ...«
»Ach, ich werde einfach die Götter fragen. Dann zeigen sie mir den Weg. Die Götter kennen jeden Weg.«
Darauf kann Thomas Lull nichts erwidern. Also steckt er die Hände in die Taschen seiner abgeschnittenen Baggypants und sagt: »Gut, wenn die Götter es erlauben, sehen wir uns morgen, ja?«
»Kij.« Sie spricht ihren Namen französisch aus: Kidsch. Sie blickt zu den Lichtern des Hotels hinüber, farbige Glühbirnen, die im zunehmenden Wind schaukeln. »Ich glaube, von hier aus komme ich allein zurecht. Vielen Dank. Also bis morgen, Professor Lull.«
7
Thal
Thal ist heute Abend in einem Plastiktaxi unterwegs. Das kleine blasenförmige Phatphat rattert über die Löcher und Narben einer Landstraße, während der Fahrer es nervös im Licht seines einzigen Scheinwerfers lenkt. Eine umherstreifende Kuh und eine Kolonne aus Frauen mit Feuerholzbündeln auf dem Kopf hatte er bereits knapp verfehlt. Straßenbäume schälen sich aus der tiefen ländlichen Nacht heraus. Der Fahrer sucht am Wegesrand nach der Abzweigung. Seine Anweisungen sind mit Klebeband am Armaturenbrett befestigt, damit er sie im Licht der Instrumente lesen kann. So und so viele Kilometer dieser Straße folgen, durch so und so viele Dörfer, an der zweiten Kreuzung nach dem Reklameschild für Rupa-Unterwäsche links abbiegen. Er ist noch nie zuvor aus der Stadt herausgekommen.
Thals Special Mix spielt, zu Ehren des Gastgebers, mächtige Anokha-Breaks mit Slav-Metal-Todesakkorden. Termine mit Prominenten erfordern einen ganz besonderen Mix. Thals Leben lässt sich mit einer Abfolge von Soundtrack-Dateien beschreiben. Thals DJ-Kaih hat ein Set aus Top-Grooves zusammengestellt, in den Pausen der Arbeit am Entwurf des Hochzeitspavillons für die Chawla-Nadiadwala-Vermählung. Im Moment passiert sehr viel im Leben der Schauspieler von Stadt und Land.
Ein plötzlicher Ruck wirft Thal von der Rückbank. Das Phatphat kommt hüpfend zum Stehen. Thal rückt sys Mantel mit Thermostreuung zurecht, ärgert sich über den Dreck auf sys Seidenhosen und sieht dann die Soldaten. Es sind sechs, die vor dem Tarnvorhang der ländlichen Nacht Gestalt annehmen. Ein pummeliger Sikh-Offizier hat die Hand erhoben. Er tritt an das Taxi heran.
»Haben Sie uns nicht gesehen?«
»Sie sind schwer zu erkennen«, sagt der Fahrer.
»Sie haben nicht zufällig einen Führerschein dabei?«, fragt der Jemadar.
»Nein«, sagt der Fahrer. »Mein Cousin ...«
»Wissen Sie nicht, dass wir uns im Zustand erhöhter Alarmbereitschaft befinden?«, tadelt der Sikh. »Langsame Awadhi-Drohnen könnten bereits in unserem Land unterwegs sein. Sie sind gut getarnt, sie können sich auf vielerlei Weise unsichtbar machen.«
»Nicht so langsam wie dieses alte Wrack«, witzelt der Fahrer. Der Sikh unterdrückt ein Lächeln und beugt sich herab, um einen Blick auf den Passagier zu werfen. Thal schaltet hastig die bpm ab. Ys sitzt völlig ruhig da, völlig aufrecht, mit verräterisch lautem Herzschlag.
»Und Sie, Sir? Madam?«
Seine Soldaten kichern. Der Sikh hat Zwiebeln gegessen. Thal glaubt, ys könnte vom Gestank und von der Anspannung ohnmächtig werden. Ys öffnet sys Handtasche und zieht die dicke Einladung mit Goldrand heraus. Der Sikh sieht sie sich an, als könnte sie ihm einen Vorwand für eine gründliche Durchsuchung aller Körperöffnungen liefern. Dann gibt er sie Thal zurück.
»Sie haben Glück, dass wir heute Nacht hier draußen sind. Sie haben die richtige Abzweigung um ein paar Kilometer verfehlt. Sie sind schon der siebte oder achte. Fahren Sie folgendermaßen ...«
Thal atmet wieder. Als der Fahrer das Taxi wendet, kann er über dem Schnurren des Alkoholmotors deutlich das hässliche Lachen der Soldaten hören.
Ich hoffe, ein paar langsame Drohnen schleichen sich an euch an, denkt Thal.
Der halb zerfallene Ardhanarishvara-Tempel steht zwischen Bäumen an einem Schotterweg, der direkt von der Hauptstraße abgeht. Die Organisatoren der Party haben den Entladebereich mit Biolum-Klebestreifen erleuchtet. Das grüne Licht zeichnet Gesichter auf die Baumstämme, wirft einen unheimlichen Schein auf die zusammengesackten Statuen und Yakshis, die im uralten Boden liegen. Der Empfang ist thematisch nach diametralen Gegensätzen gestaltet: Sakti und Purusa, weibliche und männliche Energien, Sattva und Tamas, spirituelle Intelligenz und irdischer Materialismus. Die yoniförmigen Becken sind extravagant geflutet worden. Thal denkt an sys Partyvorbereitungen, eine spärliche Katzenwäsche mit einer Flasche erwärmtem Mineralwasser. Die Wasserversorgung im White Fort — die riesige Ballung von Wohnanlagen, in denen Thal sys Zwei-Zimmer-Apartment hat — funktioniert nun schon seit zwei Monaten nicht mehr. Tag und Nacht zieht vor sys Wohnungstür eine Prozession aus Frauen und Kindern vorbei, die Wasserkanister die Treppenstufen hinauftragen.
Aus Düsen im Zentrum der Yoni-Becken lodern Gasflammen empor. Thal mustert die Dvarapala, die Zwillingsfiguren der Tempelwächter, während der Taxifahrer sys Karte durch das Lesegerät zieht. Die Ruinen der Arkade werden vom Bildnis Ardhanarishvaras dominiert, eine halb männliche, halb weibliche Gestalt. Eine einzige volle Brust, ein erigierter Penis, der in der Mitte halbiert ist, ein Hoden, eine Labienlocke, die Andeutung eines Schlitzes. Der Oberkörper hat die Schulterbreite eines Mannes, die Hüften haben die Fülle einer Frau, die Hände sind feinfühlig zu rituellen Mudras erhoben, aber die Züge sind verallgemeinert, androgyn. Das dritte Auge Shivas auf der Stirn ist geschlossen. Drinnen dröhnt die Musik. Mit der Einladung in der Hand geht Thal zwischen den Wächtergottheiten hindurch zur Party der Saison.
Selbst als Thal ihnen die Einladung zeigte, waren die Leute in der Abteilung davon überzeugt, dass ys sie gefälscht hätte. In einem Arbeitsbereich, der für den Entwurf visueller Hintergründe für das fiktive Leben der Kaih-Schauspieler von Indiens beliebtester Soapi zuständig war, war dieser Verdacht nur folgerichtig. Thal hatte es selbst nicht geglaubt, als ys die dicke, cremefarbene Wafer-Karte in sys Posteingang vorgefunden hatte.