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»Schalten Sie die Sirenen ab«, befiehlt er der hübschen Jemadar, deren Name Sen ist. »Das Ding hat zumindest die Intelligenz eines Tieres. Falls es vorgewarnt wird, könnte es versuchen, sich herauszukopieren.« Sen lässt das Autofenster aufgleiten und ruft der Eskorte Befehle zu. Die Sirenen verstummen.

Der Hummer ist ein stählerner Schwitzkasten. Mr. Nandhas Hose klebt an den Sitzbezügen aus Vinyl, aber er ist zu stolz, um sich freizuwinden. Er klemmt sich den Hoek hinters Ohr, legt den Signalgeber auf die empfindliche Stelle an seinem Schädel und öffnet die Box seiner Avatare.

Ganesha, Herr des verheißungsvollen Neuanfangs, Beseitiger von Hindernissen, thront reitend auf seiner Ratte und erhebt sich so gewaltig wie eine Gewitterwolke über die Flachdächer und Antennenfarmen von Nawada. In den Händen hält er seine Eigenschaften: den Sporn, die Schlinge, einen abgebrochenen Stoßzahn, einen Reismehlkloß und einen Topf mit Wasser. Sein Kugelbauch enthält Universen des Cyberspace. Er ist das Portal. Mr. Nandha kennt die Bewegungen auswendig, mit denen sich jeder Avatar aufrufen lässt. Seine Hand beschwört den fliegenden Hanuman mit Keule und Berg herauf, dann Shiva Nataraja, den Herrn des Tanzes, immer einen Schritt von der universellen Vernichtung und Neuerschaffung entfernt, dann Durga, die Dunkle, Göttin des gerechten Zorns, die mit jedem ihrer zehn Arme eine Waffe hält, dann Lord Krishna mit Flöte und Halskette, Kali, die Zerstörerin, um die Hüfte den Gürtel aus abgeschlagenen Händen. In Mr. Nandhas Geistsicht beugen sich die Kaih-Agenten des Ministeriums tief über das winzige Nawada. Sie sind bereit. Sie sind begierig. Sie sind hungrig.

Der Konvoi biegt in eine Lieferantenstraße. Einige Polizisten versuchen einen Menschenauflauf zu teilen, um den Hummer durchzulassen. Die Gasse ist an der Einfahrt mit Fahrzeugen verstopft, einem Krankenwagen, einem Polizeiauto, einem Elektro-Jeepney. Etwas liegt unter dem Vorderrad des Lieferwagens.

»Was ist hier los?«, will Mr. Nandha wissen, als er durch das Gedränge der Polizisten marschiert, den Ministeriumsausweis hoch erhoben.

»Sir, ein Fabrikarbeiter geriet in Panik und rannte auf die Straße hinaus genau unter das Fahrzeug«, erwidert ein Polizeisergeant. »Er hat etwas von einem Djinn geschrien. Ein Djinn sei in der Fabrik und würde sie alle holen.«

Ihr nennt es Djinn, denkt Mr. Nandha und blickt sich um. Ich nenne es Mem. Immaterielle Replikatoren: Witze, Gerüchte, Sitten, Kinderlieder. Viren des Geistes. Götter, Dämonen, Djinns, Aberglaube. Das Ding in der Fabrik ist kein übernatürliches Wesen, kein Geist einer Flamme, sondern eindeutig ein immaterieller Replikator.

»Wie viele sind drinnen?«

»Zwei Tote, Sir. Es war die Nachtschicht. Die Übrigen sind geflüchtet.«

»Ich möchte, dass dieser Bereich geräumt wird«, ordnet Mr. Nandha an. Jemadar Sen schnalzt ihren Jawans Befehle zu. Mr. Nandha geht weiter, vorbei an der Leiche mit der Lederjacke über dem Gesicht und dem zitternden Jeepney-Fahrer auf der Rückbank des Polizei-Maruti. Er inspiziert den Schauplatz. In dieser verbogenen Blechbaracke wird Tikka-Pasta produziert. Eine Emigrantenfamilie leitet die Firma von Bradford aus. Zuhause für Jobs sorgen. Das ist es, worum es in Orten wie Nawada geht. Für Mr. Nandha ist die Vorstellung von Tikka-Pasta ein Gräuel, aber die asiatische Küche in der britischen Diaspora ist gerade groß in Mode. Mr. Nandha blinzelt zum Telefonverteilerkasten hinauf.

»Jemand soll das Kabel durchschneiden.«

Während die örtliche Polizei nach einer Leiter sucht, macht Mr. Nandha den Leiter der Nachtschicht ausfindig, einen fetten Bengali, der nervös an der Haut neben den Fingernägeln zupft. Er riecht nach etwas, von dem Mr. Nandha annimmt, dass es Tikka-Pasta ist.

»Haben Sie hier einen Mobilfunk-Port oder einen Satelliten-Uplink?«, fragt er.

»Ja, ja, ein dezentrales internes Mobilnetzwerk«, sagte der Bengali. »Für die Roboter. Und eins von diesen Dingern, die Signale an Meteorspuren reflektieren. Um mit Bradford zu sprechen.«

»Jemadar Sen, einer Ihrer Männer soll sich bitte um die Satellitenschüssel kümmern. Vielleicht schaffen wir es noch rechtzeitig, sie daran zu hindern, sich hinauszukopieren.«

Die Polizei hat die Basti-Leute nun bis zum Ende der Gasse zurückgetrieben. Ein Jawan winkt vom Dach, Arbeit erledigt.

»Sämtliche Kommunikationsgeräte ausschalten, bitte«, weist Mr. Nandha an. Jemadar Sen und und Sergeant Sunder begleiten ihn zur besessenen Fabrik. Mr. Nandha rückt seine Jacke im Nehru-Stil und die Manschetten zurecht, duckt sich unter dem Rolltor hindurch und betritt die Kampfzone. »Bleiben Sie in der Nähe und folgen Sie exakt meinen Anweisungen.« Mr. Nandha atmet in der langsamen, beruhigenden Pranayama-Technik, die das Ministerium den Krishna Cops beibringt, und beginnt mit der ersten visuellen Musterung.

Es ist eine typische, mit Entwicklungszuschüssen finanzierte Firma. Plastiktonnen mit Futtermittel auf der einen Seite, die Verarbeitungsanlagen in der Mitte, auf der anderen Seite die Verpackungsabteilung. Keine Schutzvorrichtungen, keine Schutzkleidung, keine Lärmschutzausrüstung, keine Klimaanlage, nur eine männliche und eine weibliche Toilette. Alles ist auf Kostenminimierung ausgerichtet. Wenig Robotik, denn in den Stadtstreifen waren menschliche Hände schon immer billiger. Rechts sind in einer Reihe von Glastik-Kästen die Büros und die Kaih-Unterstützung untergebracht. Wasserspender und Ventilatoren, alle ausgeschaltet. Die Sonne steht bereits hoch am Himmel. Das Gebäude ist ein stählerner Ofen.

Ein Gabelstapler ist gegen eine Wand ganz links gefahren. Zwischen dem Fahrzeug und dem Wellblech ist gerade noch ein halb aufrechter Körper erkennbar. Blut, glänzend und von Fliegen wimmelnd, ist unter den Rädern geronnen. Der Mann wurde in Bauchhöhe von den Zinken des Gabelstaplers bajonettiert. Mr. Nandha verzieht angewidert die Lippen.

Überall Kameraaugen. Dagegen lässt sich nichts machen. Jetzt sieht sie zu.

Während seiner drei Jahre als Jäger illegaler Kaihs hat Mr. Nandha schon etliche Leichen gesehen, die aus Konflikten zwischen Menschen und Künstlichen Intelligenzen resultieren. Er zieht seine Waffe. Jemadar Sen reißt die Augen auf. Mr. Nandhas Waffe ist groß, schwarz und schwer, und sie sieht aus, als wäre sie in der Hölle geschmiedet worden. Sie hat all die Knöpfe, Details und Teile, die ein Krishna Cop an seiner Waffe braucht. Sie ist selbstzielend und doppelläufig. Der untere Lauf tötet das Fleisch mit langsam fliegenden Sprenggeschossen. Ein Treffer in irgendeinem Körperteil bedeutet den sicheren Tod durch Verletzungstrauma. Nicht umsonst ist Dum-Dum eine Vorstadt von Kolkata. Der obere Lauf zerstört den Geist. Es ist eine EM-Puls-Waffe, ein Googlewatt Energie, die zu einem drei Millisekunden anhaltenden Strahl gebündet wird. Proteinchips verbrennen. Quantenprozessoren verheisenbergen. Kohlenstoffnanoröhren verdampfen. Dies ist die Waffe, die illegale Kaihs auslöscht, gesteuert von GPS-orientierten Gyroskopen und kontrolliert durch einen visuellen Avatar von Indra, dem Herrn des Donnerkeils. Mr. Nandhas Waffe tötet immer und verfehlt nie ihr Ziel.

Der Gestank nach Bradford Tikka-Pasta zerrt nachdrücklich an Mr. Nandhas Eingeweiden. Wie kann dieser Unrat, diese Umweltverschmutzung die ganz große Sache sein? Einer der großen industriellen Kochtöpfe aus rostfreiem Stahl ist umgekippt und hat seinen Inhalt über den Boden ergossen. Hier liegt die zweite Leiche. Ihre obere Hälfte ist in Tikka-Pasta ertränkt. Mr. Nandha riecht gekochtes Fleisch und zückt sein Taschentuch, um es sich über den Mund zu legen. Er bemerkt die gute Hose der Leiche, die gepflegten Schuhe, das gepresste Hemd. Also dürfte es der IT-Wallah sein. Nach Mr. Nandhas Erfahrung verhalten sich Kaihs wie Hunde und wenden sich zuerst gegen ihre Herrchen.

Er winkt Sen und Sunder heran. Der Landpolizist macht einen nervösen Eindruck, doch die Jemadar hebt entschlossen ihr Sturmgewehr.

»Kann sie uns hören?«, fragt Jemadar Sen, während sie sich langsam im Kreis dreht.