»Zweifelsohne«, bestätigt Shaheen Badoor Khan, »aber der Minister fragt sich, wie lange es dauert, bis diese kleinen Auswirkungen an ... diesem Schneeball ...«
»Unsere Simulationen sagen eine Rückkehr zur klimatischen Norm innerhalb von sechs Monaten voraus«, erklärt Vinayachandran.
Shaheen Badoor Khan nickt. Er hat seinem Minister sämtliche Hinweise gegeben. Jetzt kann er seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen.
»Also wird all dies«, sagt Bharats Minister für Wasser und Energie Srinavas mit einer Handbewegung in Richtung des fremden Eises draußen im Golf von Bengalen, »viel zu spät kommen. Ein weiterer ausgefallener Monsun. Wenn Sie es schmelzen und per Pipeline zu uns schicken würden, könnte es von Nutzen sein. Oder können Sie dafür sorgen, dass der Ganges rückwärtsfließt? Das würde uns vielleicht helfen.«
»Es wird den Monsun für die nächsten fünf Jahre stabilisieren, und zwar in ganz Indien«, beteuert Minister Naipaul.
»Herr Minister, ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mein Volk hat jetzt Durst«, spricht V. R. Srinavas genau ins Auge der Nachrichtenkamera, die wie ein unverschämter Straßenbengel über die erste Sitzreihe nach hinten lugt. Shaheen Badoor Khan verschränkt die Hände in der zufriedenen Gewissheit, dass dieser Satz in den Schlagzeilen sämtlicher Abendzeitungen von Kerala bis Kaschmir auftauchen wird. Srinavas ist ein fast genauso großer Dummkopf wie Naipaul, aber er ist ein zuverlässiger Lieferant von kurzen, knappen Sätzen, die ein Problem auf den Punkt bringen.
Der neue, schicke, hochmoderne Senkrechtstarter dreht erneut ab, schwenkt die Triebwerke auf Horizontalflug und macht sich auf den Rückweg nach Bengalen.
Ebenso neu, schick und hochmodern ist der neue Flughafen von Dhaka, und das Gleiche gilt für die vor Kurzem installierte Flugverkehrssteuerung. Das ist der Grund, warum ein diplomatischer Flug von höchster Priorität eine halbe Stunde lang aufgehalten und dann zu einer Standbahn auf der anderen Seite des Geländes umgeleitet wird, weit entfernt vom Airbus der BharatAir. Ein Interface-Problem. Der Computer der Flughafenkontrolle ist eine Kaih ersten Grades mit dem Intellekt, den Instinkten, der Selbständigkeit und der Moral eines Kaninchens. Das sei erheblich mehr, wie jemand aus dem Pressekorps der Bharat Times bemerkte, als man von einem durchschnittlichen Mitarbeiter der Flugsicherung in Dhaka erwarten könne. Shaheen Badoor Khan unterdrückt ein Lächeln, aber niemand kann abstreiten, dass die Vereinten Staaten von Ost- und Westbengalen technisch versiert, kühn, zukunftsorientiert und hochentwickelt sind und einen guten Platz in der globalen Oberliga erreicht haben — all das, wonach Bharat in den Straßen und Höfen von Ranapur strebt und was der Dreck, der Niedergang und die Armut in Kashi wieder zunichtemacht.
Schließlich treffen die Limousinen ein. Shaheen Badoor Khan folgt den Politikern hinunter auf das Vorfeld. Hitze steigt vom Beton auf. Die Luftfeuchtigkeit vertreibt jede Erinnerung an Eis, Meer und Kälte. Shaheen Badoor Khan wünscht ihnen viel Glück mit ihrer Insel aus Eis und stellt sich vor, wie die eifrigen Bangla-Ingenieure in ihren arktischen Anoraks mit pelzgesäumten Kapuzen auf dem Amery-Brocken herumkraxeln.
Auf dem Vordersitz von Minister Srinavas Wagen klemmt sich Shaheen Badoor Khan den Hoek hinters Ohr. Rollbahnen, Flugzeuge, Flugsteige und Gepäcktransporter vermischen sich mit dem Interface seines Office-Systems. Die Kaih hat seine Mails vorsortiert, aber es sind immer noch über fünfzig Nachrichten, die die Aufmerksamkeit von Sajida Ranas Parlamentarischem Privatsekretär erfordern. Mit einem Fingerschnippen jat er den Bericht über das Kampfbereitschaftsproblem von Bharat, neint die Presseerklärung über weitere Wasserrationierungen, spätert die Anfrage von N. K. Jivanjee wegen einer Videokonferenz. Seine Hände bewegen sich wie die Mudras, die anmutige Kathak-Tänzer ausführen. Ein gekrümmter Finger lässt im Nichts ein Notepad entstehen. Halten Sie mich auf dem Laufenden über die Entwicklungen betr. Sarkhand Roundabout, schreibt er in virtuellem Hindi an die Wand eines Airbus von Air Bengal. Bei dieser Sache habe ich ein seltsames Gefühl.
Shaheen Badoor Khan ist in Kashi geboren; er lebt dort und vermutet, dass er auch dort sterben wird, aber die Leidenschaft und der Zorn, den die verwahrlosten Götter des Hinduismus aufbieten, sind ihm stets fremd geblieben. Er bewundert ihre Disziplin und Askese, aber die Götter scheinen ihm nur wenig Geborgenheit zu versprechen. Jeden Tag auf seinem Weg zur Bharat Sabha saust sein Dienstwagen an der Kreuzung der Lady Castlereagh Road an einem kleinen Unterschlupf aus Plastik vorbei, wo seit fünfzehn Jahren ein Sadhu den linken Arm erhoben hält. Shaheen Badoor Khan vermutet, dass der Mann diesen Zweig aus Knochen, Sehnen und verkümmerten Muskeln gar nicht mehr herunternehmen könnte, selbst wenn sein Gott es von ihm verlangen würde. Shaheen Badoor Khan ist kein ausgesprochen religiöser Mann, aber diese bunten, zeichentrickfilmartigen Statuen, die sich mit Armen und Symbolen und Fahrzeug und Attributen raufen, als wäre der Bildhauer gezwungen worden, jedes letzte theologische Detail einzubeziehen, beleidigen seinen Sinn für Ästhetik. Seine Schule des Islam ist kultiviert, äußerst zivilisiert, ekstatisch und mystisch. Sein Glaube ist nicht mit Leuchtfarben angemalt. Er wedelt nicht in der Öffentlichkeit mit dem Penis herum. Trotzdem steigen jeden Morgen Tausende unter den Balkonen seines Haveli die Stufen der Ghats hinunter, um sich im verdorrten Strom des Ganges ihre Sünden abzuwaschen. Witwen geben ihre letzten Rupien aus, damit ihre Ehemänner am heiligen Wasser verbrannt werden und ins Paradies eintreten. Jedes Jahr stürzen junge Männer unter den Jagannath von Puri und werden zerquetscht — auch wenn es nicht annähernd so viele sind, wie der rollenden Prozession der Rushhour von Puri zum Opfer fallen. Armeen von Jugendlichen stürmen Moscheen und legen sie mit bloßen Händen in Trümmer, weil sie Lord Rama entehren, und immer noch sitzt dieser Mann am Straßenrand und hält den Arm wie einen Stab erhoben. Und in einem Kreisverkehr in Sarnath steht eine verschmutzte Betonstatue von Hanuman, die keine zehn Jahre alt ist und von der es heißt, dass sie versetzt werden muss, um Platz für eine neue Metrostation zu machen. Und schon tauchen Horden von jungen Männern in weißen Hemden und Dhotis auf, die in die Luft boxen und Trommeln und Gongs schlagen. Es wird Tote geben, denkt Shaheen Badoor Khan. Kleine Dinge, die lawinenartig anwachsen. N. K. Jivanjee und seine radikale hinduistische Shivaji-Partei werden den Prozessionswagen dieses Jagannath bis zum Tod vorantreiben.
Im VIP-Empfangszentrum kommt es zu weiteren Verwirrungen. Offenbar wurden zwei äußerst wichtige Gruppen gleichzeitig für die Businessclass von Flug BH137 gebucht. Das Erste, was Shaheen Badoor Khan davon bemerkt, ist ein Gerangel aus Reportern und Mikrofonen an Galgen und im freien Flug vor der VIP-Lounge. Minister Srinavas wirft sich in Pose, aber die Linsen schauen in eine andere Richtung. Shaheen Badoor Khan kämpft sich höflich durch die Menge, den Ausweis hoch erhoben, bis er den Flugdienstberater erreicht hat.
»Was für ein Problem gibt es hier?«
»Ah, Mr. Khan, hier scheint es zu einer Verwechslung gekommen zu sein.«
»Es gibt keine Verwechslung. Minister Srinavas und seine Begleiter kehren mit diesem Flug nach Varanasi zurück. Was ist der Grund für das Durcheinander?«
»Eine prominente Persönlichkeit ...«
»Prominent!« Shaheen Badoor Khan spricht es mit einer Verachtung aus, die eine komplette Ernte verdorren lassen könnte.
»Ein russisches Model«, sagt der Flugdienstberater leicht nervös. »Ein ganz großer Name. Es geht um irgendeine Show in Varanasi. Ich bitte um Verzeihung für die Verwechslung, Mr. Khan.«
Shaheen Badoor Khan winkt bereits seine Leute durch das Gate.
»Wer?«, fragt Minister Srinavas, als er sich am Gedränge vorbeischiebt.