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Und eines Morgens erwachte sie vollständig in ihr. Sie spürte ein ungeheures Verlangen, ein absolutes Bedürfnis, befriedigt zu werden, wie eine Rauschgiftsüchtige, die zu lange ohne ihre Droge gewesen war. Es war eine Gier ohne jede Vernunft, nicht zu glauben. Ihr ganzer Körper schmerzte vor Verlangen, und sie konnte überhaupt nicht denken, sie vermochte sich nicht zu beherrschen. Ihr ganzes Wesen wünschte, brauchte, begehrte nur eines, und nichts anderes war von Belang, bis sie es bekam. Die älteren Frauen wußten ebenfalls Bescheid und veranlaßten das Erforderliche.

Bald danach befand sie sich in den oberen Geschossen, in den Unterkünften der Männer, und sie gaben ihr, was sie wünschte, brauchte, begehrte. Sie hatte keine Ahnung, wie viele es waren oder wie lange es dauerte, und konnte sich danach auch an nichts erinnern, außer an die ungeheure, höchste Lust, die sie empfunden hatte, und daran, daß sie alles, wirklich alles, für sie getan hätte.

Später erfuhr sie, daß es zwei Tage und Nächte gedauert hatte — was, wie man ihr sagte, ungefähr dem Durchschnitt entsprach. Und das wiederholte sich alle sechs Wochen, außer während der Schwangerschaft — die Hormone, die durch die Schwangerschaft ausgeschüttet wurden, machten eine Person gefügig und ein wenig verträumt, zum Ende hin immer mehr.

Sie kam sich noch entwürdigter vor, nicht allein um der Dinge willen, die sie erlebt hatte, sondern ihrer eigenen unbeherrschbaren Leidenschaft wegen. Sie hatte als Olympierin auch schon sexuelle Beziehungen gehabt, aber nichts von dieser Art. Nicht annähernd. Das war an und für sich selbst eine Droge, ein so lustvoll starkes und umfassendes Gefühl, daß die Erinnerung als lusterregender Schmerz blieb und ihr Denken der nächsten ›Zeit‹ freudig entgegensah, während ihre Vernunft sie fürchtete und verabscheute.

Und das war die Falle, begriff sie jetzt. Das war gemeint gewesen mit der Behauptung, warum es keine Revolution gegeben hatte und keine geben würde, und weshalb die Männer in ihrer Stellung so gesichert waren. Die Frauen mochten ruhig rebellieren — die Männer brauchten nur zu warten, bis die ›Zeit‹ die Rebellen zwang, zurückzukriechen und zu flehen, so inbrünstig, daß sie vermutlich ihre beste Freundin getötet hätten, sollte diese versuchen, sie aufzuhalten. Diese Gesellschaft stand unter einer grausamen biologischen Diktatur, einer absoluten. Das weibliche Fortpflanzungssystem war dem Anschein nach mit seinen Eiern sehr geizig, und selbst bei diesem System kam eine Schwangerschaft alle zwei oder drei Jahre nur einmal vor. Die Bedingungen mußten bei Mann und Frau absolut vollkommen sein, wenn Junge aus ihrer Verbindung hervorgehen sollten.

Praktisch das einzig Positive daran war, daß alle Frauen sie jetzt ›Schwester‹ nannten und sie von allen im Klan viel besser behandelt wurde, sogar von den ganz wenigen Männern, denen sie begegnete. Sie war jetzt eine von ihnen.

Alle diese Dinge veranlaßten sie erneut, über die Bemerkungen und Warnungen der alten Matriarchin nachzudenken. Mit Obies Plänen stimmte entschieden etwas nicht, und sie saß in der Falle, endgültig in der Falle. Selbst eine Flucht kam nun nicht mehr in Frage, weil die ›Zeit‹ von selbst kein Ende nahm und sich fortsetzte, bis Erlösung kam, und dafür gab es nur den einen Weg.

In dieser Nacht schlief sie, völlig niedergeschlagen, endlich ein, dämmerte unruhig dahin und träumte. Sie war sich bewußt, daß sie träumte, und trotzdem erschien ihr alles so wirklich. Sie war wieder Olympierin und umflutet von einem fremdartigen, schimmernden, purpurnen Leuchten. Sie spürte, daß etwas in ihrer Nähe war, sie umgab, allumfassend.

»Obie?« rief ihr Traum-Ich.

»Ich bin hier, Yua«, ertönte die vertraute Tenorstimme des Supercomputers.

»Aber du bist tot«, wandte sie ein. »Ich träume das alles nur.«

»Hm, ja, ich muß tot oder wenigstens schwer beschädigt sein«, gab der Computer zu. »Sonst würden wir diese kleine Unterhaltung nicht führen. Meine Befürchtungen haben sich offenbar bestätigt — das Zusammengehen mit Brazil hat mich schwer beschädigt oder zerstört, und deshalb muß die Aufgabe auf die mühsame Art und Weise bewältigt werden. Sehr bedauerlich. Wenn er nicht so stur gewesen wäre, hätte ich ihn auf die Sechseck-Welt zu einer Avenue hinunterbeamen können, und wir hätten diese Probleme nicht.« Er machte eine Pause. »Na, wem rede ich das ein? Bei dem Riß im Raum-Zeit-Kontinuum war ich ohnehin zu kaputt, um das zu schaffen. Es spielt keine Rolle. Worauf es ankommt, ist, daß Sie, wenn wir uns so unterhalten, in Awbri sein müssen und Ihre erste Zeit hinter sich haben.«

Sie zuckte überrascht zusammen.

»Das weißt du? Aber — was sage ich? Das ist ein Traum. Wunscherfüllung, mehr nicht. Ich spreche nicht wirklich mit dir.«

»Sie haben in vielem recht, aber im letzten Punkt nicht«, gab der Computer zurück. »Ja, das ist ein Traum. Sie schlafen jetzt irgendwo unten in einem Baum in Awbri. Und ich bin auch nicht wirklich hier oder in der Nähe. Selbst wenn ich hingelangen könnte, bezweifle ich, daß ich die Kraft hätte, den nullifizierten Raum und diesen ungeheuren Kurzschluß markovischer Energie zu überwinden. Aber wir führen dieses Gespräch — wir haben es schon geführt, um genau zu sein. Als Sie das letztemal durch mich hindurchgegangen sind, ist das alles von mir tief in Ihr Unbewußtes eingepflanzt worden, um im richtigen Augenblick heraufzukommen. Das konnte erst geschehen, nachdem Sie das erstemal in Brunst gewesen waren. Sie mußten erfahren, womit Sie fertig werden müssen.«

»Ich glaube das einfach nicht«, erklärte sie sich und dem Geistercomputer. »Ich bilde mir nur ein, was ich mir verzweifelt wünsche.«

»Dann bilden Sie sich doch folgendes ein«, schlug der Computer vor. »In diesem Augenblick sehen Sie eine Karte Ihres Gebietes auf der Sechseck-Welt, und Sie können erkennen, wo Sie sich im Hinblick auf Glathriel befinden. In Ihrer Vorstellung befinden sich zur Zeit auch Instruktionen über die Lebensformen und dergleichen in den Sechsecken dazwischen. Und hier gebe ich Ihnen auch noch eine vollständige politischtopographische Karte von Awbri. Sie werden Sie bald brauchen.«

Und so war es wirklich. Da stand alles, in allen Einzelheiten klar und deutlich, nun so sehr Teil ihres Denkens, daß sie daran zweifelte, es jemals vergessen zu können. Sie begann einen Hoffnungsschimmer zu spüren, daß ihr Traum vielleicht doch Wirklichkeit sein mochte.

»Aber was nützt mir das alles, Obie?« fragte sie, immer noch geknickt. »Wenn du mich zu einem Mann gemacht hättest, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, etwas zu unternehmen, aber so!«

Obie lachte leise.

»Tut mir leid. Ich dachte, daß gerade Sie ein bißchen mehr aushalten. Überlegen Sie. Die Frauen sind zahlenmäßig schon einmal in der Mehrheit und genauso klug wie die Männer. Vielleicht sogar noch klüger. Und sie haben bei der Umwälzung natürlich am meisten zu gewinnen. Die Männer würden dich bekämpfen, vielleicht rundweg töten. Sie verfügen über eine hübsche, kleine, schön verpackte Welt, die zu ihrem eigenen Vergnügen und ihrem Genuß da ist. Sie sind gegen jede Veränderung eingestellt — konservativere Figuren können Sie sich nicht vorstellen. Fast alles an Schöpferischem und Fortschrittlichem in Awbri stammt in Wahrheit von den Frauen, insgeheim gefördert und danach hier und dort dem Gehirn des einen oder anderen jungen Mannes sozusagen eingepflanzt. Eine bei der Arbeit gepfiffene Komposition, die Idee zu einem einfachen Federmechanismus, einem männlichen Jungen eingegeben, während er noch seiner Mutter am Rockzipfel hängt. Er ›erfindet‹ das später auf wundersame Weise und bildet sich ein, das wäre wirklich sein Werk. So bei allem. Ohne die Frauen wäre dort alles in hirnlosen Animalismus versunken, Schluß. Aber wenn der Anstoß kommt und die Awbrier vor die Wahl gestellt sind, sich entweder den Streitkräften Brazils anzuschließen oder ihn um jeden Preis aufzuhalten, werden die Männer von Awbri ausnahmslos für das letztere sein. Sie können nicht anders. Er könnte ihnen alles verderben und ihre hübsche, kleine Welt auf den Kopf stellen.«