»Für mich ist es leicht, wissen Sie. Ich brauche nur zum Zone-Tor zu gehen und bin zu Hause. Ich bin über zweitausend Jahre alt, wissen Sie. Zu alt. Aber was mich am Leben hält, hält mich hier fest. Das sollten Sie wissen.« Seine Stimme sank zu einem verträumten Flüstern herab, und er schien nicht seinen Besucher oder die Wand anzublicken, sondern etwas hinter der Wand, etwas, das nur er sehen konnte. »Noch einmal Wind und Regen zu spüren und ein letztes Mal die Sterne sehen. O Gott! Wie ich davon träume!«
»Warum tun Sie es dann nicht? Oder wenigstens dann, wenn das alles vorbei ist.«
Der Ulik schnaubte verächtlich.
»Sie begreifen meine Falle gar nicht, wie? Ich bin katholisch, Zigeuner. Kein guter Katholik, vielleicht, aber trotzdem Katholik. Und dahin zurückzugehen — das wäre Selbstmord. Ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, verstehen Sie? Ich kann mich einfach nicht selbst umbringen.«
Zigeuner schüttelte staunend den Kopf.
»Jeder schafft sich seine eigene Hölle, nicht wahr?« murmelte er, fast unhörbar leise. »Wir schaffen sie und leben darin. Aber welche Hölle könnte schlimmer sein als diese?« Er sah Ortega ins Gesicht und sagte lauter:»Sie werden in Kürze von Brazil selbst hören, und ich bleibe in Verbindung.« Damit ging er zur Bürotür, die sich für ihn öffnete, und trat hinaus. Sie ging hinter ihm wieder zu, und zurück blieben nur der Stummel am Boden und der Geruch nach altem Zigarettenrauch als Hinweis darauf, daß er jemals hier gewesen war.
Der Ulik verlor keine Zeit. Er drückte eine Taste des Sprechgeräts nieder.
»Achtung! Einen Typ 41 festnehmen, der eben die Ulik-Botschaft verläßt!« Er beschrieb Zigeuners Kleidung.
Am anderen Ende blieb es einen Augenblick still, dann antwortete der Posten vor der Tür hörbar verwirrt:»Aber Sir, ich stehe seit einer Stunde genau vor Ihrer Tür. Niemand ist herausgekommen. Jedenfalls keine Seele nach dem Czillaner. Und ganz bestimmt kein Typ 41.«
»Aber das ist doch unmöglich!« brüllte Ortega, dann schaltete er ab und blickte hinüber auf den Boden. Zu seiner großen Erleichterung war der zerdrückte Zigarettenstummel noch da.
Das Sprechgerät summte, und er meldete sich kurz angebunden.
»Hier Botschafter Udril«, sagte eine vom Übersetzer gefärbte Stimme.
»Bitte«, sagte Ortega zum Botschafter aus Czilla.
»Die Informationen zu den drei Neuzugängen: Der eine, Marquoz, ist ein Hakazit und, tja, es ist schwer zu glauben, nach nur wenigen Wochen…«
»Ja?«
»Nun, Botschafter, er scheint der neue Chef der Geheimpolizei von Hakazit zu sein.«
Ortega mußte beinahe nach Atem ringen.
»Und die anderen?«
»Die Frau, Yua, scheint Mit-Awbri mit erstaunlicher Leichtigkeit zum Eintritt in eine Art militärische Streitmacht zu bewegen. Und was Mavra Tschang angeht…«
»Nun?« fragte Ortega scharf. Er hatte das Gefühl, daß ihm die Kontrolle immer mehr zu entgleiten drohte.
»Sie scheint als Dillianerin aufgetaucht zu sein, einige Einheimische als Helfer rekrutiert zu haben und, nun ja, verschwunden zu sein.«
»Verschwunden! Wohin? Wie?«
»Vor einigen Tagen gingen sie und eine kleine Gruppe von Dillianern in die Berge von Gedemondas. Seitdem hat niemand mehr etwas von ihr gehört.«
Hakazit
Es war rauhes Land. Der Planet, für den es als Laborvorlage diente, muß höllisch gewesen sein, dachte Marquoz. Das Gelände war eine verbrannte, abstoßende, hartgestampfte Wüste mit schroffen, wild aussehenden Vulkanerhebungen. Ab und zu lösten schwache Erdbeben Geröllawinen aus, und die sehr seltenen, aber ungeheuer heftigen Gewitter verwandelten trockene, staubige Rinnen manchmal in tödlich reißende Ströme, die tiefe Furchen in die Landschaft schnitten.
Da es an der Oberfläche fast kein Wasser gab und das Meer im Norden nur aus Salzwasser bestand, waren die Bewohner dort, wo es Frischwasser gab — unter dem Boden, auf dem Gestein des Grundwasserspiegels, in riesigen, von jahrtausendealter Erosion im Kalkstein und Marmor darunter ausgeschürften Höhlen. Es hatte auch Raubwesen gegeben: entsetzliche wilde Bestien mit einer Haut wie Fels und unstillbarem Hunger nach Hakazit-Fleisch.
Und so waren die Hakazit natürlich auf Kampf und Abwehr eingerichtet. Wie Granit aussehend, waren ihre wilden Dämonengesichter zu einem ergrimmten, schreckenerregenden Ausdruck erstarrt; breite Münder, die beim Öffnen gewaltige Eckzähne zeigten, fähig, das Fleisch ihrer wilden, natürlichen Feinde zu zerreißen. Ihre Augen waren totenschädelartige Höhlen, die in der Dunkelheit grellrot glühten. Es war keine gängige Sehmethode, nicht Augen in dem Sinn, wie er sie stets gekannt hatte, aber seinem Gehirn dienten sie auf dieselbe Weise, vernachlässigten Weitsicht zugunsten einer außerordentlichen Tiefenschärfe und veränderten vielleicht (Gewißheit erlangte er nie) den Farbensinn ganz beträchtlich, um Kontraste stärker hervorzuheben. Über den Augenhöhlen ragten Knochenwülste wie Hörner hervor.
Der gewaltige, muskulöse, stahlgraue Körper war humanoider Art, eine Masse von Sehnen mit Armen, die mittelgroße Bäume entwurzeln und sie auseinanderbrechen konnten. Die fünffingrigen Hände liefen in tödliche, stahlartige Krallen aus, die ebenfalls zum Zerreißen und Zerfetzen von Fleisch geeignet waren, und die dicken Beine liefen aus in Reptilfüße, die den schweren Körper über fast jedes Hindernis hinwegziehen, -krallen und -schieben konnten. Nachgezogen wurde ein langer Schwanz von gleichem Stahlgrau, der auslief in zwei enorme spitze Knochen, die vom Greifschwanz als zusätzliche Waffen gebraucht werden konnten. Der Leib selbst war so stark gepanzert, so undurchdringlich und dickhäutig, daß Pfeile davon abprallten und sogar ein konventionelles Explosivgeschoß nur wenig Schaden anrichten konnte. Die Steuerung des Nervensystems erfolgte bei den Hakazit uneingeschränkt und automatisch; zum Beispiel konnten Schmerzzentren in einem umgrenzten Bereich bewußt stillgelegt werden.
Es war die gewaltigste lebende Waffe, der er je begegnet war, dachte das ehemalige kleine Dinosaurier-Geschöpf. Die Männer erreichten eine Größe von über drei Metern und besaßen neun Meter lange Schwänze, die Frauen waren kleiner und schwächer: im Durchschnitt nur zweieinhalb Meter hoch und gerade noch fähig, mit bloßen Händen einen großen Steinblock zu zerdrücken.
Jetzt wurde er jedoch als einer von ihnen zu einer riesengroßen unterirdischen Stadt hinuntergebracht, offenbar war er ein Gefangener der örtlichen Behörden. Die Stadt selbst war eindrucksvoll, ein Wunderland von farbigen Lichtern und laufenden Gehbändern, im Maßstab den Giganten angemessen, die dort lebten. Zu alledem noch eine Hochtech-Zivilisation, stellte er verblüfft fest. Keine Benachteiligungen wie in manchen Sechsecken hier, wo Technologie nur bis zur Dampfmaschine zulässig war oder nichts in Betracht kam, was nicht durch mechanische Energie funktionierte. Die Welt, die von den Markoviern für die Rasse der Hakazit vorgesehen war, mußte wahrlich eine Hölle gewesen sein.
Jedermann schien einen Leder- oder Wollpullover mit irgendeinem Rang- oder Amtsabzeichen zu tragen. Er konnte weder sie noch die Schilder oder die Schrift verstehen, aber das Ganze machte einen streng hierarchischen Eindruck, beinahe so, als befänden sich alle beim Militär. Das war ein strenger, disziplinierter Ort, wo jedermann in verzweifelter, dringender Sache unterwegs zu sein schien, ohne Zeit für Aufenthalt oder Privates zu haben. Man benötigte kein geübtes Auge, um zu erkennen, daß manche der Wesen den Auftrag hatten, andere im Auge zu behalten. Besonders eine Gruppe, die Lederwämse mit zielscheibenartigen Mustern trug, war mit Handfeuerwaffen unbekannter Art ausgerüstet. Für Marquoz gab es keinen Zweifel daran, daß diese Pistolen zu den lebenswichtigen Organen eines Hakazit durchdringen konnten.
Commander Zhart, sein Begleiter, genoß es, Harmonie-City vorzuführen, wie sie genannt wurde. Er wies auf den Springbrunnen der Demokratie, den Volks-Kongreß, die Promenade ›Frieden und Freiheit‹ und dergleichen mehr. Marquoz nickte nur und schaute sich um. Auf irgendeine Weise kam ihm das alles nur zu vertraut vor, als ein Widerhall jeder Diktatur, in der er sich schon aufgehalten hatte. Von einer Welt kommend, die nicht einmal eine Zentralregierung besaß und trotzdem seit Jahrtausenden keinen größeren Krieg erlebt hatte, mußte man das als krassen Gegensatz empfinden. Dabei hatte er lange Jahre im ›menschlichen‹ Kom-Bereich verbracht, wo Diktatur die Regel war und die Dinge nicht viel anders zu stehen schienen.