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»Ich verstehe nicht, was Sie sagen, das ist richtig«, erwiderte der Zentaur. »Aber ich glaube Sie recht gut zu durchschauen. Es sind nicht all die seltsamen Namen, die Sie in Wirklichkeit berühren, glaube ich. Es ist die Tatsache, daß Sie keinen Dummen haben, der weitermacht, damit Sie sterben können.«

Brazil sah ihn mit uralten Augen an, mit Augen, die Qual und Schmerzen über jede Marter hinaus zeigten, Qual, die Weisheit hervorbringt.

»Wenn Sie das glauben«, sagte er langsam, »dann verstehen Sie mich überhaupt nicht.«

Asam drehte sich um und ging zu seinem Zelt zurück. Es wirkte auf einmal leer, und er wußte selbst nicht genau, was er empfand; er spürte nur den Drang, alles kurz und klein zu schlagen. Er tat es aber nicht, sondern griff in sein Gepäck, holte eine große Flasche heraus und trank in großen Zügen.

Asam träumte nie; jedenfalls konnte er sich, abgesehen von ein paar außerordentlich lebensechten Alpträumen seiner Kindheit, nie an seine Träume erinnern. Aber jetzt schien ihm, als träume er, weil es keine andere Erklärung gab.

Ein Rascheln weckte ihn — jedenfalls glaubte er das —, aber zunächst sahen seine Augen in der Dunkelheit nichts. Dann schien sich das Zelt langsam mit einem geisterhaften weißen Licht zu füllen.

Der Schnaps, dachte er. Das mußte am Schnaps liegen. Und es war der Schnaps, der seine Erinnerung umwölkte, er und die Erschöpfung, die ihn erfaßt hatte. Beides hinderte ihn daran, sofort zu erkennen, was er lange Zeit nicht mehr gesehen hatte, trotzdem aber gut kannte.

Dann begriff er plötzlich, was es war, und seine Hand zuckte zum Schwert. Schußwaffen mochten bei den verdammten Wesen nur oberflächlichen Schaden anrichten, aber zerteilen konnte man sie so gut wie alle anderen.

»Lassen Sie das Schwert, Colonel. Ich bin hier, um mit Ihnen zu reden, nicht, um zu kämpfen«, sagte der Dahbi, als er die letzten Zentimeter aus dem Boden quoll und sich vor ihm, keine drei Meter entfernt, verfestigte.

Asams Hand löste sich nicht vom Schwertgriff, aber er spannte nur die Muskeln an, ohne die Waffe schon herauszuziehen.

»Was, zum Teufel, wollen Sie?« krächzte er.

»Was ich schon sagte; mit Ihnen reden, mehr nicht. Ich habe Ihnen in gewisser Weise schon mehr Schaden zugefügt, als hätte ich Ihnen ein Messer ins Herz gestoßen, wie Ihnen klar sein muß. Sie werden nie wissen, wieviel Befriedigung mir das verschafft hat und wie schmerzhaft es für mich ist, daß ich Ihnen anbieten muß, sie zurückzugeben.«

Asam atmete ein wenig auf, während gleichzeitig die Kälte an seinem Rücken hochkroch.

»Sangh. Gunit Sangh in Person!« stieß er hervor. »Sie haben Mut, das muß man Ihnen lassen.«

»Die Gefahr ist wirklich sehr gering«, gab der Dahbi zurück. »Ich kann durch das Gestein schwimmen, wie Sie wissen. Außerdem wollte ich Ihnen klarmachen, daß ich das kleine Unternehmen vorhin am Abend selbst geleitet habe. Es verleiht allem Nachdruck — und ein bißchen Gerechtigkeit —, finden Sie nicht?«

»Sie haben Nerven!« fauchte Asam. »Gerechtigkeit!«

»Beherrschung, Colonel, Beherrschung!« sagte Gunit Sangh höhnisch. »Ich habe etwas, das Sie wollen. Sie haben etwas, das ich will. Offensichtlich kann das, was ich habe, nicht weit entfernt sein — die Zeit hat nicht gereicht, und ihr seid, wie soll ich sagen, äh, reichlich umfangreich. Aber Sie werden sie nie finden. Sie könnten es vielleicht schaffen, wenn Sie ein paar Wochen Zeit hätten, aber wir rücken derzeit gegen Sie vor, und in Kürze werden Sie so beschäftigt sein, daß Ihnen dafür keine Zeit bleibt. Außerdem würde die Entdeckung nur ihren Tod bedeuten.«

»Sie Dreckskerl«, zischte Asam. »Woher weiß ich, daß ihr sie nicht schon umgebracht habt?«

Der Dahbi wirkte tief getroffen.

»Mein Wort ist nicht gut genug? Nun, mag sein. Aber ich brauche sie — lebend. Tot nützt sie keinem etwas. Lebend ist sie eine Geisel Ihnen und Brazil gegenüber.«

Asam lachte mürrisch.

»Für Brazil ist sie keine«, erwiderte er. »Der Kerl hat schon seit einer Ewigkeit für andere nichts mehr übrig. Er ist so eiskalt wie Sie, Sangh.«

»Sehr bedauerlich«, gab der Dahbi zurück. »Aber das vereinfacht die Dinge auf andere Weise. Wenn er sogar zu Ihnen unliebenswürdig ist, sollte Ihnen das, was ich verlange, um so leichter fallen.«

Der Zentaur sah den anderen argwöhnisch an.

»Was, zum Teufel, meinen Sie damit?«

»Ein Geschäft. Brazil vertraut Ihnen. Ich kann nur vermuten, daß er vorhat, vor dem Kampf Ihre Truppe zu verlassen, wobei er den Tod von Ihnen und Ihren Leuten zur Ablenkung benützt — vielleicht läßt er noch ein Ebenbild zurück, um uns zu täuschen. Aber das wird nicht funktionieren. Darauf sind wir gefaßt. Es spricht alles dafür, daß er nie die Avenue erreichen wird, geschweige denn den Schacht selbst.«

»Wozu brauchen Sie dann mich noch?« knurrte Asam.

»Wir könnten ihn trotzdem verfehlen. Alles spricht dagegen, aber es ist möglich. Er ist sehr schlau.« Er schwieg kurze Zeit. »Äh, wissen Sie genau, welcher der richtige Brazil ist?«

»Ich weiß, wer wer ist«, antwortete der Colonel.

»Deshalb berücksichtige ich auch die letzte Möglichkeit, verstehen Sie? Der Tausch ist ein ganz einfacher — Mavra Tschang gegen Brazil. Im Lauf des kommenden Tages. Sagen wir, spätestens bis morgen nacht um diese Zeit. Damit wird nicht nur das Hauptziel erreicht, sondern auch der kommende Kampf verhindert. Es wird nicht nötig sein, die Truppen in den Tod zu jagen, begreifen Sie?«

Asam runzelte die Stirn.

»Ich traue Ihnen nicht, Sangh. Seit wann kümmert es Sie, wer am Leben bleibt und wer stirbt, wenn es nicht Ihre eigene Person betrifft? Ich habe keine Garantien.«

»Sie haben mehrere«, erklärte Gunit Sangh. »Sie schaffen Brazil zu einem Zone-Tor und schleusen ihn durch. Diplomatische Immunität, ja? Obwohl der Rat gegen Sie ist, wird man in Zone nichts unternehmen. Bringen Sie ihn zu Ihrer eigenen Botschaft. Wir nehmen dort den Tausch vor. Besser noch, schicken Sie Kuriere voraus. Nehmen Sie Brazil mit, aber schleusen Sie ihn nicht durch, bis ein Kurier mit der Nachricht zurückkommt, daß sich Mavra Tschang lebend in meiner Botschaft in Zone befindet.«

Asam hatte sich völlig beruhigt und dachte nach. Schließlich sagte er:»Warum tun Sie das, Sangh? Warum haben Sie den Oberbefehl überhaupt übernommen? Was, zum Teufel, haben Sie davon?«

»Bedenken Sie, welche Ehre sich derjenige erwirbt, der Nathan Brazil dingfest macht«, erwiderte der Dahbi. »Ehre, Macht und Einfluß. Denken Sie an das ideale Gefängnis, Hunderte von Metern unter massivem Granit, der Tunnel, durch den er hinuntergebracht wurde, verschüttet bis auf ein kleines Loch für Nahrung und Wasser. Der Rat wird Brazil nicht bekommen. Die Dahbi — ich — wir werden Brazil haben. Sozusagen als stumme Geisel. Und ich werde die Dankbarkeit aller erwerben, die ihr Leben nicht in sinnlosen Schlachten verlieren mußten. Bedenken Sie die Wirkung auf Ortega, der nicht länger so gefürchtet sein, nicht länger die alleinige Macht besitzen wird. Er wird seine Stellung mir abtreten müssen, und die fette alte Schlange wird endlich sterben, der Einfluß auf Sechseck-Welt und Rat wird gebrochen sein. Es wird bereits gemunkelt, man könne ihm als einem alten Freund Brazils in dieser Sache nicht recht trauen. Die Möglichkeiten sind unabsehbar.«

Asam fröstelte ein wenig, als er sich Gunit Sangh ungezügelt an der Macht vorstellte, aber seltsamerweise beruhigte ihn dieser unheilvolle Plan auch. Sangh war aufrichtig zu ihm, teils aus Vertraulichkeit, teils aus seiner grenzenlosen Arroganz heraus.