»Wir bringen sie morgen, wenn es dunkel ist, nach Zone, und zwar so rasch wie möglich«, fuhr der Dahbi fort. »Wir werden jeden Abgesandten von Ihnen in unserer Botschaft dort empfangen, damit er sich vergewissern kann. Dann haben Sie acht Stunden Zeit, um sich an die Abmachung zu halten.«
»Und danach?« fragte Asam stirnrunzelnd.
»Sie können gemeinsam nach Dillia zurückkehren«, erklärte Sangh. »Zwischen uns persönlich ist damit aber noch nichts ausgestanden, versteht sich. Das bleibt offen — wie bisher. Sicheres Geleit für Sie und die Frau zurück nach Dillia, das ist alles, wofür ich garantieren kann. Danach besteht keine Abmachung mehr.«
Asam seufzte.
»Ich überlege es mir«, sagte er. »Und wenn ich nicht mitmache?«
»Dann wird die Frau das Hauptgericht eines rituellen Festmahls für mein Botschaftspersonal sein, und es wird von ihr keine Spur bleiben«, antwortete der Dahbi kalt.
»Sie gemeiner Kerl«, fluchte Asam wütend. »Sie gemeiner Dreckskerl. Sie und ich werden das eines Tages persönlich austragen.«
»Eines Tages«, bestätigte der Dahbi. »Aber nicht in den nächsten beiden Tagen.« Er verwandelte sich in den milchigweißen Zustand und versank langsam im Boden, bis er völlig verschwunden war.
»Gemeiner Dreckskerl«, sagte Asam in die Dunkelheit hinein, aber sein Gehirn arbeitete bereits fieberhaft. Pläne, Intrigen, Ideen bildeten sich heraus. Er dachte an Zigeuner — aber nein, das ging nicht. Er konnte nicht sicher sein, ob er dem seltsamen kleinen Mann trauen durfte. Es konnte etwas schiefgehen, sie mochten verraten werden. Sangh kannte den Plan ohnehin und würde einen fliehenden Brazil verfolgen. Nein, er mußte sich zwischen Mavra und Brazil entscheiden. Die Wahl fiel leicht.
Dahir
Die Ranch lag kaum zwanzig Kilometer unterhalb der Grenze, aber einsam und weit genug entfernt, um für ihre Zwecke geeignet zu sein. Zwei waren Dahbi, die anderen Krithier, deren riesige, schlagende Schwingen ihre Zurufe untermalten. Sie trugen zwischen sich eine riesengroße Decke, in der ihre schwere Last lag, noch immer bewußtlos von den Schlafmitteln, die man ihr, als sie in den Hinterhalt geraten war, eingespritzt hatte.
Sie hatten schwer geatmet, als sie zur Grenze gelangt waren, nur mit Mühe fähig, sie so weit zu schleppen, aber stolz darauf, es mit einer solchen Last zu schaffen. In Dahir war ihnen die Zauberei der einheimischen Priester zu Hilfe gekommen, und das Fliegen fiel leicht. Sie schien jetzt gar nichts mehr zu wiegen, und sie spürten neue Kräfte in sich.
Die Priester waren unter ihnen auf ihren Hakaks geritten, einhornartigen Reittieren, die leicht Schritt hielten und den fliegenden Geschöpfen vermittelten, was man als den richtigen Energiezufluß bezeichnete. Sie konnten auch in anderer Beziehung wirksam werden, sollte ein feindlicher Beobachter sie durch Zufall bemerken.
Zwei Dahir standen bereit, um die Last aufzunehmen, als sie landeten. Sie begrüßten die Priester mit erhobenen Armen, dann wandten sie sich der bewußtlosen Gestalt zu, die vor den Hakak-Ställen abgelegt wurde. Es war eine klare Nacht; das dichte, wirbelnde Sternenfeld leuchtete mit voller Kraft und schien sich auf ihren hellen, schimmernden Hautskeletten widerzuspiegeln, als die humanoiden Insekten sich an die Arbeit machten. Zuerst stellten sie sie auf ihre vier Beine, dann halfen sie den anderen, sie in eine große Scheune zu ziehen. Sie war immer noch ohne Bewußtsein und ahnte nichts davon.
»Sollen wir sie fesseln?« fragte ein Dahir den Dahbi in der Nähe. »Wir dürfen nicht zulassen, daß sie entkommt.«
»Fesseln können gelockert oder abgestreift werden«, gab das weiße Wesen zurück. »Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
»Sollen wir sie also töten?« wollte das schimmernde Wesen wissen.
»Nein. Wir haben versprochen, sie lebend auszutauschen. Wir werden das Versprechen halten müssen.«
»Ein einfacher Zauber«, schlug einer der Priester vor. »Er wäre vollauf wirksam — und wir müssen sie tarnen, wenn wir sie morgen zum Tor bringen.«
»Das ist eure Sache«, erklärte der Dahbi. »Hier sollte das nicht schwierig sein. Aber eure Zaubersprüche wirken nur hier. Das Tor würde sie zunichte machen.«
»Sie könnten, sobald wir in Zone sind, erneuert werden«, betonte der Priester. »Unser Zauber wirkt dort, zumindest in begrenzter Weise.«
»Zu riskant«, gab der Dahbi zurück. »Wir dürfen ihr keinen Fluchtweg offenlassen. Unser Herr, Seine Heiligkeit Gunit Sangh, hat außerdem ein geeignetes Mittel empfohlen. Hier«, das Wesen zeigte auf die Stelle, »am Nacken verlaufen die wichtigsten Nervenverbindungen vom Gehirn zum Rückenmark. Wenn man sie durchtrennt, ist der Oberkörper gelähmt.« Bei diesen Worten gebrauchte das Wesen das rechte Vorderbein mit der scharfen, messerartigen Chitinplatte und stieß die Schneide tief, aber mit Überlegung hinein. Es spritzte Blut heraus, doch nicht sehr viel, und man behandelte die Wunde sofort mit Salbe und Verband.
»Und hier, am unteren Ende des Oberkörpers, eine Verbindung für die andere, größere Hälfte, beinahe ein zweites, wenn auch nichtbewußtes Gehirn, das vom ersten aus gesteuert wird«, stellte der Dahbi fest, und wieder stieß die Klinge zu und drehte sich im Inneren. Sie wurde, befleckt mit dunkelrotem Blut, herausgezogen, und man kümmerte sich auch um diese Wunde.
»Die Dillianerin ist jetzt völlig gelähmt«, erklärte das weiße Geschöpf, während es sich das blutverschmierte Vorderbein abwischte. »Die Wirkung ist von Dauer, der Schaden nicht zu beheben. Beachten Sie, wie Arme und Beine erstarrt sind, ein biologischer Schutzmechanismus, wenn Nerven geschädigt sind. Sie können sterben, wenn sie nicht auf den Beinen stehen, also erstarren sie, wenn die Nerven durchtrennt oder geschädigt werden, um das zu vermeiden. Die autonomen Funktionen sind nicht betroffen; sie werden von einem anderen Nervensystem auf der anderen Seite des Knorpels gesteuert. Ich habe darauf geachtet, diese Stellen nicht zu verletzen.«
»Sie werden das nicht hinnehmen«, erklärte der Dahir-Priester düster. »Sie werden Brazil für jemanden in einem solchen Zustand nicht austauschen.«
Der Dahbi lachte leise.
»Euer Zauber konnte sie hier zur Statue erstarren lassen. Kann euer Zauber sie nicht auch zum Gehen bringen?«
Der Dahir legte den Kopf ein wenig auf die Seite und dachte nach.
»Aber ja, versteht sich.«
»Und in Zone erneut?«
»Ah!« Die Miene des Priesters hellte sich auf.
»Sehen Sie? Keine Möglichkeit zur Flucht, denn ohne Ihre Zaubersprüche ist sie starr und hilflos. Aussehen wird es aber anders. Das wird mitgeteilt werden, der Austausch wird stattfinden, und die Frau wird nach Dillia zurückkehren.«
»In Dillia wirkt der Zauber nicht«, erklärte der Priester. »Sie wird als hilfloser Krüppel ankommen.«
»Genau«, sagte der Dahbi. »Unsere Abmachung sah vor, daß sie lebend übergeben wird. Nicht mehr. Wir halten unser Wort — buchstabengetreu.«
»Es erscheint aber ein wenig grausam«, meinte der Dahir, ohne den Eindruck zu machen, als störe ihn das.
»Seine Heiligkeit Gunit Sangh, mein Herr, hat mit dem, der sie liebt, eine Rechnung zu begleichen«, teilte der Dahbi mit. »Ihn zu töten, wäre so… endgültig. Und es ginge viel zu schnell. Er ist auch nicht leicht zu töten. Das wird ihn viel mehr zermürben als alles andere. Seine Geliebte für den Rest ihres Lebens ein hilfloser Krüppel und er ein Verräter seiner Sache, an dem Vertrauen, das ihm geschenkt wurde, für immer gebrandmarkt in Geschichte und Legende, ohne daß er dafür etwas bekommen hätte.«
Der Priester nickte bewundernd.
»Unglaublich. Eine Rechnung so zu begleichen, kann nur noch Bewunderung erregen.« Er blickte auf Mavra. »Und wieviel Macht hat sie noch über sich?«