Die Tür ging auf, und zwei Dahir kamen herein. Im Licht kleiner Öllampen sahen sie seltsam aus. Sie kamen nicht weit herein und schauten sich nur um.
»Ich bin sicher, daß ich jemanden reden hörte«, sagte der eine zum anderen. Sie gingen weiter, blickten in jeden Stall, wobei die einzelnen Tiere sich regten, dann gelangten sie zu ihr. Sie tat so, als sei sie immer noch nicht bei Sinnen, und hielt die Augen geschlossen.
Sie hielten lange ein Licht auf sie gerichtet, dann wandten sie sich ab.
»Jetzt ist jedenfalls nichts mehr hier«, stellte der andere Dahir fest. »Vermutlich hat die Gefangene gelallt, weil die Drogenwirkung nachläßt. Du bist zu nervös, Yogastha.«
»Wer wäre das nicht, wenn diese Gespenster sich hier herumtreiben?« murrte der Wächter. Sie gingen zur Tür zurück, traten hinaus und schlossen sie hinter sich.
Der Gedemondaner war plötzlich wieder da, und eine zottige kleine Polsterhand hob sich zu einer kleinen Geste. Zwei andere Gedemondaner traten aus den Schatten und starrten sie an.
»Es wird leichter sein, wenn du bewußtlos bist und dein Geist sich uns öffnet«, sagte der Sprecher. Die kleinen, weichen Hände ergriffen ihren Kopf. Sie wußte und fühlte nichts mehr.
Bache
»Ein neutraler Kurier unter Diplomatenflagge hat vor ein paar Minuten diese Nachricht für Sie überbracht«, sagte Asam und gab ihm einen Brief.
Nathan Brazil schob sich aus einem Klappstuhl hoch, griff nach dem Bogen und faltete ihn auseinander.
»Sie haben nicht viel Zeit vergeudet, wie?« sagte er mürrisch, bevor er den Brief las.
›Kapitän Brazil,
wie Sie inzwischen gewiß erfahren konnten, haben wir Mavra Tschang gefangen und sie an einen sicheren Ort gebracht. Sie ist unversehrt und gesund; die verwendete Droge ist ein leichtes Lähmungsgift für Tiere ohne nachhaltige Wirkung. Sie ist verständlicherweise völlig durcheinander, und ihre Bezeichnungen für uns überfordern manchmal beinahe den Übersetzerkristall, aber sonst geht es ihr sehr gut. Wir haben keinen Streit mit ihr und wollen ihr nichts Böses antun. Unsere Truppen sind derzeit im Vormarsch gegen Sie; wohlwollende Augen beobachten Sie unaufhörlich, um uns zu alarmieren, sollten Sie einen Fluchtversuch unternehmen. Alle nahe gelegenen Avenuen sind blockiert. Sie haben keine Aussicht, Sieger zu bleiben. Wenn Sie jetzt kapitulieren, indem Sie einfach durch das nächstgelegene Zone-Tor gehen, wird das Ganze ein Ende haben, ohne noch irgend jemand das Leben zu kosten, inklusive Sie selbst. Wenn Sie es vorziehen sollten, diese Mitteilung zu mißachten, die meine einzige bleiben wird, muß die Frau auf höchst unangenehme und langgezogene Weise sterben, bevor es zur großen Schlacht kommt. Und bitte keine primitiven Täuschungsversuche durch ein weiteres Double. Ich versichere Ihnen, wir werden jeden, den Sie schicken, äußerst streng prüfen, und es würde für alle Beteiligten äußerst unerfreuliche Folgen haben, sollte eines Ihrer Ebenbilder sich in etwas anderes verwandeln und verschwinden. Ich habe so viel von Ihnen gehört, daß ich mich sehr darauf freue, Sie hier bald begrüßen zu dürfen. Wir haben viel miteinander zu besprechen. Ich verbleibe mit außerordentlicher Hochachtung
Brazil knüllte das Papier zusammen und warf es ins Feuer.
»Höflicher Mann, nicht?« meinte er mit schiefem Lächeln.
»Eine giftige Spinne oder eine hungrige Schlange«, sagte Asam schnaubend.
»Ich glaube aber, daß wir ihn bisher unterschätzt haben«, stellte Brazil fest, während er zusah, wie der Brief verbrannte. »Ich dachte eigentlich immer, Serge Ortega würde das große Problem sein, aber dieser Kerl ist Ortega ohne… ohne…«
»Gewissen?« sagte Asam.
»Ehrgefühl«, ergänzte Brazil. »Gewissen ist etwas, wovon Serge sehr wenig besitzt, aber auf seine Art ist er ein ehrenhafter Mann. Er tut, was er nach seinen eigenen Maßstäben als das richtige für jedermann betrachtet — ob es richtig ist oder nicht, ob es heilt oder tötet. Nach allem, was ich von Gunit Sangh weiß, könnte er derzeit der gefährlichste Mann sein, den es gibt. Ich bin unter meiner eigenen Art früher oft auf seine Sorte gestoßen.«
Asam sah Brazil ins Gesicht.
»Werden Sie sein Angebot annehmen?«
Brazil lächelte ohne Humor.
»Es ist immer der mühelose Ausweg, den sie einem anbieten«, meinte er nachdenklich. »Tun Sie, was ich will, und der Fall ist erledigt — bis auf… Der Vorbehalt ist immer dabei, wissen Sie. Nein, ich werde mich ihm oder Ortega oder sonst irgend jemandem nicht ausliefern. Aber keine Sorge, gleichgültig, was er behauptet, er wird sie nicht umbringen. Er sagt sich, daß das der einzige Hebel ist, den er gegen mich hat, wenn ich in den Schacht gelange — und das stimmt natürlich. Das mag aber der Punkt sein, wo er seinen Fehler begeht. Sobald ich im Schacht bin und zu dem kleinen Computerchen komme, das diesen kleinen Planeten betreibt, kann er mir und ihr und jedem anderen nichts mehr tun, aber ich kann ihm sehr viel antun. Ich bringe eine ganze Liste von Leuten zusammen, mit denen ich gerne abrechnen würde, Asam. Ich glaube, zum erstenmal lege ich Wert darauf, in den Schacht zu kommen.«
»Glauben Sie, daß Sie das können?« fragte der Zentaur ernsthaft. »Ich meine, er hält in seinem Brief doch mit nichts hinter dem Berg.«
»Es ist möglich«, erwiderte er. »Mehr als nur möglich. Wir lassen sie natürlich weiterhin raten, solange Zigeuner hier ist. Er kann es sich nicht ersparen, mit seiner großen Armee herzukommen, um mich aufzuhalten, und Zigeuner ist heute bei Yua unten, nicht nur, um sie in die Pläne einzuweihen, sondern auch, um gesehen zu werden — als ich. Das wird sie so verwirren, daß Khutir gegen sie vorrücken muß. Und ich habe noch den einen oder anderen Trumpf im Ärmel. Ja, ich glaube, ich kann hineinkommen. Ich mache mich heute abend auch auf den Weg, sobald Zigeuner wieder da ist.«
Asam schwieg kurze Zeit, dann sagte er trocken:»Heute abend« und ging zu seinem Zelt zurück, um nachzudenken.
Es gab Stabsbesprechungen, Chefbesprechungen, Tagesbefehle, Anordnungen, fast den ganzen Nachmittag hindurch, was Asam in seinem Gefühlsdilemma ein wenig nützlich war. Was nicht wirklich an dich herankann, tut dir nicht weh.
Immerhin lauerte das Unheil in einem Winkel seines Gehirns, ein dumpfer Schmerz, der nicht weichen wollte. Er hatte schon oft geglaubt, verliebt zu sein, aber jetzt wußte er, daß das alles bedeutungslos gewesen war — körperliche Anziehung oder Gefühle, die mit Liebe zu verwechseln waren, weil er das Eigentliche noch nicht erlebt und geglaubt hatte, das müsse es sein. Aber er liebte Mavra Tschang. Er wußte es, bis ins Innerste seines Wesens hinein, wußte, daß sie ihm mehr bedeutete als sein eigenes Leben, sogar als seine persönliche Ehre, die er für das Höchste gehalten hatte. Er verabscheute dieses Gefühl; aus irgendeinem Grund war er in seinen eigenen Augen kleiner geworden, weil er sich als das Opfer solcher Empfindungen entpuppt hatte, Gefühle, die er bei anderen beobachtet und nur mit Verachtung gestraft hatte.
Das schlimmste, das entwürdigendste von allem war, daß Gunit Sangh diese Verwundbarkeit erkannt, sein schleimiges Vorderbein genau auf diese Schwäche in Asams Seele gestellt und mit solchem Genuß Druck ausgeübt hatte.
Kurze, ganz kurze Zeit hatte er die Hoffnung gehegt, Brazil werde ihm die Last abnehmen, diesem Wahnsinn ein Ende machen und die Sache bereinigen. Aber nein, dieser Ausweg war verstellt. Brazil würde heute nacht versuchen, den Schacht der Seelen zu erreichen, der selbst auf dem Luftweg zwei oder drei Tagesreisen entfernt war, und was würde mit Mavra geschehen? Brazil war seiner Sache bei Sangh zu sicher; er, Asam, kannte das Ungeheuer besser. Mavra würde langsam und rituell geschlachtet und verschlungen werden, daran gab es keinen Zweifel. Sie selbst würde lieber das auf sich nehmen, als Geisel zu bleiben, fürchtete er. Sie würde ihm zeigen, daß sie im Hinblick auf Brazil keine Geisel war.