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»Das muß ein Irrtum sein«, sagte er schließlich. »Er wird auf die Latrine gegangen sein, oder was-weiß-ich.«

»Es ist eindeutig, Sir«, gab der Orarc störrisch zurück. »Jemand von unseren eigenen Leuten hat ihn durch das Zone-Tor gehen sehen. Keine Doubles, keine Duplikate, kein anderer Ulik, der mit ihm verwechselt worden wäre. In Zone gibt es einen neuen, jungen Ulik-Botschafter, und Ortega ist eindeutig fort. Nach Hause zurückgekehrt, um zu sterben, heißt es.«

Gunit Sangh schnaubte nur.

»O nein. Dahinter steckt etwas viel Heimtückischeres. Ortega würde das nur tun, wenn er die Gewißheit hätte, daß er nicht nur nicht sterben wird, sondern daß die Aussichten für seinen Plan besonders günstig sind. Ich möchte so rasch wie möglich wissen, was er nach seiner Ankunft in Ulik getan hat. Ich will wissen, wo Serge Ortega ist und was er treibt, wenn er die Reise überlebt hat — wovon ich überzeugt bin.«

»Auf der Stelle, Sir«, antwortete der Nachrichtenoffizier und entfernte sich.

Gunit Sangh war äußerlich völlig ruhig, verspürte aber tiefe Unruhe. Bis jetzt war das nur ein Kräftemessen gewesen. Er unterlag, gewiß, aber die Aussicht auf einen Sieg war stets vorhanden gewesen, und er hatte immer genau gewußt, was vorging. Das war nicht mehr der Fall. Seit Ortega plötzlich mit im Spiel war — außerhalb von Zone! Unvorstellbar! —, hatte er das unbehagliche Gefühl, daß etwas von allergrößter Wichtigkeit im Gange war, daß etwas ins Spiel kam, das man weder begreifen noch steuern konnte.

Er wurde sich plötzlich der Tatsache bewußt, daß hier mehr gemacht wurde als Geschichte; es ging um die Zukunft selbst, und nicht nur um die nahe. Die Zukunft wurde von unsichtbaren Händen gestaltet. Eine wandelbare Zukunft, keine starre.

Sein ganzes Leben lang hatte er alles dafür getan, den Status quo zu erhalten, der ihm wahrscheinlich viel bedeutete, und seinen persönlichen Einfluß dabei zu steigern. Aber — Ortega verschwunden? Brazil im Schacht?

Er breitete die Reliefkarten aus und versuchte sich mit den Vorbereitungen für die Schlacht zu beschäftigen. Zum erstenmal in seinem langen Leben verspürte Gunit Sangh unbestimmte Angst.

Bache, an der Grenze nach Dahir

Zigeuner zog stark an einer Zigarette, und der Widerschein der Glut erhellte auf unheimliche Weise sein Gesicht. Sonst kam Licht nur von dem rötlichen Glühen der fremdartigen Augen in Marquoz’ Kopf.

Nathan Brazil zündete eine kleine Fackel an und betrachtete die Umgebung.

»Ich glaube, hier ist es sicher genug«, sagte er zu den anderen.

Sie gaben ihm recht.

Die Gedemondaner hatten Mavra ›eine Art Kuh‹ genannt, aber für Brazil schien es wenig Einschränkungen zu geben. Braun und weiß gefleckt, besaß sie alle äußeren Eigenschaften eines Rindes und war, obschon ein wenig zottig und im Besitz von zwei kleinen Hörnern, die wie bei den Hakaks spiralförmig gewunden waren, dieselbe Art von Tier wie zuvor. Sie hatte sein Mitgefühl. Im Lichtschein drehte sie den mächtigen Kopf, um sie mit Augen zu betrachten, die, wie er wußte, sehr kurzsichtig und farbenblind waren.

Die Übertragung hatte sie weniger tief getroffen, als das bei den meisten anderen Leuten der Fall gewesen wäre; sie hatte dergleichen schon öfter erlebt, und es war nicht immer mit Absicht oder schmerzlos geschehen. Sie hatte gewartet, bis man im Morgengrauen erschienen war, um die Kühe auf die Weide zu treiben. Es war ihr leichtgefallen, der Herde zu folgen, indem sie der Kuh in sich das Kommando überließ, und hinaus in die Berge zu laufen. Von diesem Augenblick an hatte es einen innerlichen Kampf mit dem Kuhhirn gegeben, als sie versuchte, die Kontrolle zu übernehmen und das dumpfe Tiergemüt abzudrängen, bemüht, so langsam und bedächtig vorzugehen, wie sie konnte.

Die Gedemondaner hatten sich mit ihr an einer vorher bezeichneten Stelle getroffen, an einem kleinen Teich, den Kühe und anderes Vieh außerhalb der Sichtweite der Ranch benützten. Sie hatten sie begleitet, den Zaun für sie aufgebrochen und mit ihr über einen verlassenen Pfad den Weg zur Grenze eingeschlagen.

Die Gedemondaner wirkten schwach, wie ihr auffiel, schienen sich oft nicht zurechtzufinden und mußten häufig rasten. Zuerst hatte sie geglaubt, das liege an der nervlichen Belastung dieser Nacht, bis sie begriff, daß viel mehr dahintersteckte. Was sie auch getan haben mochten, um sie in dieses Tier zu versetzen, es hatte ungeheure Kraft und Konzentration erfordert. Sie wirkten alle in irgendeiner Weise gealtert.

Ihre Verfassung besserte sich in der Dunkelheit nach Mitternacht nicht. Selbst Brazil und die anderen, die mit Gedemondanern keine Erfahrung und also auch keine Vergleichsmöglichkeit besaßen, stellten eine Veränderung fest. Brazil dachte an die Murnies vor so langer Zeit und erinnerte sich, daß die Ältesten, die zur Übertragung imstande waren, ihr halbes Leben damit verbrachten, die Fähigkeit zu erlernen, und trotzdem völlig ausgelaugt waren, wenn sie sich des Verfahrens auch nur ein- oder zweimal bedienten. Immerhin regte sich ein Gedanke in seinem Gehirn, der mit einem winzigen Lichtfünkchen begonnen hatte, als er das erstemal von Mavras Verwandlung erfuhr. Obwohl es sich durchaus lohnte, dergleichen zu versuchen, wünschte er sich jetzt doch, das nicht so leichtfertig verlangt zu haben, seitdem er den Preis kannte, der dafür zu entrichten war.

»Wie viele von euch sind hier?« fragte er den Sprecher der Gedemondaner.

»Zwölf im ganzen«, erwiderte das zottige Geschöpf, »mich und den anderen Sprecher dort eingeschlossen.«

»Und es müssen mindestens drei von euch sein, damit ihr die Übertragung bewältigen könnt?«

Der Gedemondaner nickte.

»Ja, drei.«

Er schaute hinüber zu den erschöpften Begleitern des Sprechers, die an den Bäumen lehnten.

»Würde es, äh, leichter fallen, wenn mehr von euch sich damit befassen würden?«

Der Sprecher erkannte, worauf er hinauswollte.

»Nein, das glaube ich nicht. An wen von euch denkst du?«

Er zog überrascht die Brauen hoch.

»Du meinst, ihr könntet sie noch einmal versetzen? Ich dachte, die Anstrengung wäre zu groß.«

»Es wäre sogar eher leichter«, erklärte der Gedemondaner. »Sie ist kein natürlicher Bestandteil des Wesens und befindet sich noch nicht lange genug darin, um ihm völlig verhaftet zu sein. Das Problem besteht zum Teil darin, die ganze Seele zu erfassen und zu sammeln — es geht viel leichter bei einem ihr fremden Körper als bei einem damit verwachsenen.«

Brazil nickte, zögerte aber und blickte wieder auf die erschöpften, ausgelaugten Gedemondaner, die so viel von sich eingesetzt hatten, um die Rettung zu ermöglichen. Er verlangte nicht gerne von anderen, das über sich ergehen zu lassen.

Der Sprecher verstand ihn.

»Es ist gut«, tröstete er leise. »Siehst du, wir glauben an das, was ihr tut. Es ist notwendig, es ist wichtig. Wir haben Abstand vom Rest der Sechseck-Welt gehalten, gewiß, und würden es noch tun, wenn alles seinen normalen Gang ginge. So ist es aber nicht. Selbst so wären wir vielleicht imstande gewesen, uns fernzuhalten, wie wir das bei allen anderen Konflikten getan haben, aber hier besteht ein Grund von überragender Bedeutung. Er zwingt uns, alles zu tun, um dafür zu sorgen, daß du Erfolg hast.«

Brazil sah verwundert zu dem Wesen auf.

»Ein Grund von überragender Bedeutung?«

Der andere nickte.

»Wir haben die ganze Energie unserer Rasse der Aufgabe gewidmet, die Eigenschaften des Universums und die des Schachtes zu erkunden, und vor allem, was das Wichtigste ist, das Innerste jedes denkenden Wesens, die Seele, zu erforschen. Wir haben viel gelernt, aber auch erfahren, daß es Dinge gibt, die sich uns entziehen, weil wir hier auf der Sechseck-Welt festsitzen. Eine ganze Welt für uns allein, eine riesige Rasse, die Mühen, Schwierigkeiten und die Wirklichkeit des restlichen Universums außerhalb dieses winzigen künstlichen Kügelchens hinaus kennen und begreifen lernen — das ist der einzige Weg zum Fortschritt, dazu, die echte Wahrheit über uns zu erlangen.«