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»Das hatte ich mir überlegt«, gab Ortega zurück. »Sehr gründlich sogar. Aber jetzt, wo ich hier stehe, möchte ich das nicht um alles in der Welt verpassen.« Er blickte in Brazils große Tieraugen. »Ich glaube, Sie verstehen. Gerade Sie sollten es verstehen.«

»Ja«, sagte Brazil nach einer langen Pause seufzend. »Ich glaube, ich verstehe es.« Er blickte zum Kran hinüber. »Also, machen wir weiter.«

Serge Ortega nickte.

»Adieu, Nate. Es hat trotz allem Spaß gemacht, nicht?«

»Das ist wahr«, sagte Brazil ein bißchen wehmütig. »Das ist wahr. Adieu, alter Freund. Macht es ihnen schwer.«

Ortega grinste.

»Hab’ ich das nicht immer getan?«

* * *

Hohe, steile Klippen ragten auf beiden Seiten der Avenue empor, wo sie aus dem sumpfigen Tiefland zur Äquatorbarriere gelangte. Der Wind pfiff durch den Paß und erzeugte ein unheimliches ab- und anschwellendes Heulen, das auch die Untertöne einer anbrandenden See mitführte, obwohl es in der Nähe kein Meer gab. Die Avenue befand sich hier auf zwei Ebenen, ein ziemlich tiefer Mittelstreifen, gefüllt mit kristallblauem Wasser, wo die Sommerschmelze abfloß, was den Quilst-Sumpf weit im Süden hervorrief; das Ufer auf beiden Seiten war breit und glatt, wenn auch verwittert und mit einer dünnen Schicht Schlick und vereinzelten Felsbrocken von Erdrutschen bedeckt.

Das Tal war zwanzig bis fünfzig Kilometer hier am Borgo-Paß breit. Große Geröll- und Schlammlawinen hatten letzteren im Lauf der Zeit so verengt, daß es auf der Ellerbanta-Seite praktisch nur eine Lücke von zwei bis drei Metern gab, auf der von Verion noch weniger. Die Schluchtwände waren aber nicht glatt, am wenigsten hier am Paß; Felsvorsprünge ungefähr alle zehn Meter auf beiden Seiten der Verengung boten idealen Platz für Stellungen und Vorposten.

Serge Ortega betrachtete den Schauplatz fast von Bodenhöhe aus mit einiger Befriedigung. Es verlief alles sehr gut; als die Dunkelheit hereinbrach, blieb nur noch wenig zu tun.

Marquoz kam zu ihm heran und schaute sich bewundernd um.

»Verdammt gut organisiert«, sagte er. »Bin beeindruckt.«

Ortega drehte sich um und lächelte schief.

»Ich bin immer so«, sagte er. »Jetzt erst recht, auf dem Höhepunkt meines Lebens, dem ganzen Anschein nach.« Er ließ sich auf seinen Schlangenleib zurücksinken und lächelte breit, während er vor sich hin starrte und Dinge ins Auge faßte, die nur er sehen konnte. »Überlegen Sie, was ich für ein Leben geführt habe«, meinte er nachdenklich. »Es war ein sehr erfülltes, ein wichtiges, glaube ich. Rebell, Freibeuter, Schmuggler, Glücksritter, Sternpilot — nehmen Sie, was Sie wollen, ich habe es gemacht oder bin es gewesen. Dann kam ich hierher, wo ich sehr rasch Politiker wurde, dann Botschafter, Staatsmann und, äh, Welt-Koordinator. Ich liebte Tausende von Frauen, ich trank, ich kämpfte, ich hatte fast bei allem einen Mordsspaß. Und jetzt bin ich müde und gelangweilt. Das einzige, was ich noch nicht gemacht habe, ist Sterben.«

»Sie haben sich einen ganz besonderen Abgang verschafft«, stellte der Hakazit gutmütig fest.

»Ha! Glauben Sie, ich könnte ein Leben wie das meine beenden, indem ich in irgendeinem Altenheim verfaule? Ein schöner, friedlicher Tod, umsorgt von Schwestern, die mich stützen, damit ich die Sterne sehen kann? Quatsch! Nein, Sir! Niemals! Wenn ich abgehe, dann wie Asam. Man wird Generationen lang Lieder über mich singen. Die Dichter werden die Geschichten am Lagerfeuer erzählen, und meine Feinde und ihre Kinder und Kindeskinder werden ihre Gläser im Andenken auf mich erheben.«

»Und mit dem Hinweis auf Sie werden Hunderte von Rassen ihre Kinder erschrecken, damit sie brav sind«, sagte Marquoz belustigt. »Ach was, Sie sind so lange dagewesen, daß keiner Ihren Tod glauben wird, wenn man Ihre Leiche liegen sieht.«

Ortega überlegte.

»Das wäre der Gipfel, was, Marquoz? Ich möchte, daß Sie das weitergeben. Wenn ich dahin bin, soll mein Körper verbrannt werden, so daß ihn niemand mehr erkennen kann, daß man nicht einmal mehr festzustellen vermag, was für eine Art von Wesen ich war. Von mir soll nichts übrigbleiben. Das wird die Kerle zwei Generationen lang zu Tode erschrecken.«

Der Hakazit lachte.

»Wird geschehen«, versicherte er. Er blickte in den dunklen Paß. »Wie bald werden wir Gesellschaft bekommen, glauben Sie?«

»Vorausgeschickte Späher und Streifen können jeden Augenblick auftauchen«, erklärte Ortega. »Aber vor dem Morgengrauen werden die Truppen selbst nicht zur Stelle sein. Nachts käme bei den Hitzestrahlen-Generatoren da oben keine Fliege durch den Paß. Klippenwände und Erdrutsche kommen uns auch zugute. Sie können auf nichts richtig zielen, ohne sich zu zeigen.«

»Wenn ich das wäre, würde ich jetzt erscheinen«, gab Marquoz zurück. »Ein kleiner Verband, leicht ausgerüstet, erfahren und lautlos, mit vielen Nachtwesen, die anderen mit Infrarotvisieren und computergesteuerten Laserwaffen ausgerüstet. Ich würde das zwischen Mitternacht und Morgengrauen machen, die Leute in Position bringen, die Abwehrstellungen der Reihe nach ausschalten, möglichst unauffällig, versteht sich. Dann würde ich bei Tagesanbruch mit allem angreifen, was ich habe.«

»Diese Möglichkeit habe ich schon in Betracht gezogen«, erwiderte der Ulik. »Wenn sich etwas rühren sollte, können wir auf fünfzig Meter vor uns radargesteuerte Scheinwerfer einsetzen. Manche von meinen Leuten sehen im Dunkeln auch sehr gut, und sie halten vorne Wache. Wir haben unsere Stellungen auch miteinander verbunden. Alle zehn Minuten wird von jeder Stellung an die benachbarte ein stets leicht abgewandelter Code gegeben. Wenn kein Signal kommt, leuchten wir die Stelle an und sehen nach. Es gibt außerdem Anruf- und Antwort-Parolen von einer Stelle zur anderen. Gunit Sangh wird das wohl unterstellen, also trotzdem einen Versuch unternehmen, nicht, weil er sich etwas ausrechnet, sondern, um unsere Bereitschaft zu prüfen und uns bis Tagesanbruch wachzuhalten, damit er seine ausgeruhten Truppen vorschicken kann.«

Marquoz, der selbst ein halbes Nachtwesen war, starrte wieder in den Paß hinein.

»Ist aber schon viel verlangt, Leute da hineinmarschieren zu lassen. Wenn es irgendeinen anderen Weg gibt, wird er ihn gehen.«

Ortega lachte leise.

»Was bedeuten ihm Truppen? Er kennt sich auch sehr gut aus. Zweitausend gegen Sechsundsechzig Mann, Sie und den Agitar mitgerechnet.«

»Ich weiß, ich weiß. Das Gelände gleicht manches aus, aber doch nicht alles. Nicht ein Verhältnis von dreißig zu eins. Nicht, wenn man mobile Hochtech-Waffen besitzt, getragen von Wesen, die an senkrechten Felswänden hinaufklettern können, und anderen, die vielleicht durch das tiefe Wasser da in der Mitte heraufschwimmen.«

Ortega hob die Schultern.

»Die Hochtech-Lage begünstigt uns«, erklärte er unbeirrt. »Sie haben nur das, was sie mitbrachten und durch die Lücke zwängen konnten. Zum Beispiel keine gepanzerten Fahrzeuge, die wirklich gefährlich werden können. Keine Flieger, nicht bei dieser Enge. Ein direkter Frontalangriff durch diese Lücke da, das ist noch das beste für ihn. Er kann nicht einmal hinüber oder außen herum, wie Nate festgestellt hat.«

»Aber dreißig zu eins…«, erklärte Marquoz kopfschüttelnd.

»Dafür gibt es in der Geschichte meines Volkes einige Beispiele«, gab Ortega zurück. »In der Geschichte meiner Art — und auch der von Mavra und Nate, glaube ich. Nicht die schlappen, roboterhaften Idioten der Kom-Welten, die Sie gekannt haben. Nein, diejenigen, die mit Feuersteinen in Höhlen anfingen und ein interstellares Reich aufbauten, bevor es mit ihnen zu Ende ging. Die Geschichtsbücher waren voll davon, auch wenn man das heute vermutlich nicht mehr lehrt. Sechshundert, so hieß es, hätten einen Paß, der breiter war als dieser hier, tagelang gegen eine Armee von mehr als fünftausend Mann gehalten. Eine andere Gruppe hielt eine Festung mit weniger als zweihundert Leuten gegen eine gutausgebildete Armee von Tausenden mehr als zehn Tage lang. Wir brauchen nur zwei. Es gibt viele solche Geschichten; unsere Bücher waren voll davon. Ich nehme an, die Geschichte jeder Rasse, die stark genug war, auf einer feindseligen Welt eine Zivilisation aufzubauen, kennt sie.«