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Marquoz nickte.

»Es gibt ein paar solche Beispiele in der Geschichte der Chugach«, gab er zu. »Aber sagen Sie, was ist aus denen geworden, die den Paß hielten, nachdem ihre Frist abgelaufen war? Was aus den Leuten in der alten Festung nach den zehn Tagen?«

Ortega grinste.

»Dasselbe wie aus den Chugach in Ihren Geschichten, nehme ich an.«

»Das hatte ich befürchtet«, meinte Marquoz seufzend. »Wir werden also alle sterben, bis das vorbei ist?«

»Dreißig zu eins, Marquoz«, gab der Schlangenmann zurück. »Ich glaube, das Terrain verringert das Verhältnis auf, sagen wir, fünf zu eins. Nur ein paar Hundert von ihnen werden schließlich durchkommen, aber schaffen werden sie es. Allerdings zu spät, um Nate aufzuhalten, wenn wir es richtig machen. Aber sagen Sie, Marquoz, warum sind Sie hier? Warum nicht bei ihnen? Sie könnten mit ihnen in den Schacht gehen, wenn Sie wollten, Unsterblichkeit erlangen oder auch irgend etwas anderes, das Sie sich wünschen. Ich glaube, bei Ihnen würde er es tun — es ist eine andere Situation als damals. Er hat Ihnen das Angebot gemacht, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Marquoz. »Das hat er.«

»Warum bleiben Sie dann hier in einem einsamen Paß auf einem fremden Planeten? Warum hier und warum jetzt?«

Marquoz seufzte und schüttelte den Kopf.

»Ich weiß es wirklich nicht. Nennen Sie es Halsstarrigkeit. Nennen Sie es Narretei oder vielleicht sogar ein wenig Angst davor, mit denen zu gehen und auf das zu stoßen, was dort sein mag. Vielleicht wäre es eine Schande, Körper und Verstand hier nicht für einen wichtigen Zweck einzusetzen. Ich kann Ihnen wirklich keine Antwort geben, die mich befriedigt, Ortega. Wie sollte ich eine geben können, die es bei Ihnen tut?«

Ortega schaute sich in der Dunkelheit um.

»Vielleicht kann ich das erklären — wenigstens zum Teil«, meinte er nachdenklich. »Ich wette, wenn wir jetzt zu allen unseren Leuten gehen würden, die ausschließlich Freiwillige sind, wohlgemerkt, würden wir dasselbe Gefühl erleben, das ich auch habe. Ein Gefühl, etwas Wichtiges, ja Entscheidendes zu leisten. In jedem Zeitalter, in jeder Rasse kommt es wohl vor, daß einige wenige sich in einer solchen Lage befinden. Sie glauben an das, was sie tun, und an die Richtigkeit ihrer Sache. Es ist wichtig. Deshalb erzählt man die Geschichten immer noch und ehrt das Andenken an solche Leute und Taten, obwohl das, wofür sie sich eingesetzt haben, in manchen Fällen sogar ihre ganzen Welten, längst tot und vergangen sind, ihre Rassen Staub wurden. Aber Sie sind nicht in einer ausweglosen Lage, Marquoz. Sie haben sich selbst hineinbegeben, obwohl Sie Abstand hätten halten und Gewinn erzielen können.«

»Genau das habe ich mein ganzes Leben lang getan«, erwiderte der Hakazit. »Ich paßte nie in meine Chugach-Gesellschaft hinein. Ich war der Außenseiter, der Unangepaßte. Meine Familie war reich, angesehen und ohne echte Verantwortung, so daß ich nie zu irgend etwas gezwungen war. Ich studierte, ich las, ich befaßte mich mit Dingen außerhalb der Chugach-Welt. Ich wollte das Universum sehen, während der Großteil meiner Rasse nicht einmal die nächste Stadt kennenlernen wollte. Ich war wohl der absolute Hedonist, nehme ich an — alles, was ich wollte, und ohne Kosten für mich. Ich haßte das. Immer ich, ich, ich — die meisten Leute behaupten, ja, so wollten sie es. Ich kann nicht behaupten, ich hätte meinen Glauben verloren, weil ich nämlich von Anfang an keinen hatte. Im Universum stand es eben so, daß die Leute mit der Macht die anderen unterdrückten. Und wenn die anderen sie durch Revolution oder Reform plötzlich erhielten, gingen sie her und unterdrückten wieder andere oder bekämpften sich gegenseitig, um in den Besitz der ganzen Macht zu gelangen. Mit Hilfe von Religion hielt man das Volk nieder. Ich habe noch nie erlebt, daß ein Gott für irgend jemanden irgend etwas getan hätte, und die meisten Religionen aller Rassen, die ich kannte, waren gute Ausreden für Krieg, Massenmord und die Erhaltung korrupter Macht. Politik war dasselbe, unter einem anderen Namen. Ideologie. Die größten Sozialrevolutionäre verwandelten sich in absolute Herrscher, sobald sie ihre Machtposition gefestigt hatten. Nur die Technologie brachte Verbesserungen, und selbst sie wurde gelenkt von den Machthabern, die sie für ihre eigenen Zwecke benützten. Und was, wenn jedermann reich wurde und niemand mehr zu arbeiten brauchte? Dann hatte man einen Haufen fetter, reicher, nicht mehr entwicklungsfähiger Klötze vor sich.«

Ortega grinste über den Zynismus seines Gegenübers. Es war der erste, der den seinen weit übertraf.

»Keine Romanzen in Ihrem Leben?« fragte er.

Der andere seufzte.

»Nein, eigentlich nicht. Ich habe mich von anderen nie körperlich besonders angezogen gefühlt. Die Chugach sind in einem gewissen Sinn romantisch, ja; sie sitzen herum, saufen, prahlen mit ihren Klans, singen Lieder und erfinden Tänze. Aber ich persönlich, nein. Ich habe meinesgleichen nie sehr gemocht. Auch ein Haufen von fetten, reichen, faulen Klötzen. Wissen Sie, es gibt auf vielen Welten Geschichten über Leute, die als Säuglinge in der Wildnis verlorengingen und von Tieren aufgezogen wurden. Sie kommen heraus und denken und handeln wie Tiere. Es steckt mehr dahinter als die äußere Form. Äußerlich war ich ein Chugach, ja, und innerlich… etwas anderes. Fremdes.«

»Fremdes?« sagte Ortega und zog die Brauen hoch. »Wie das?«

Marquoz wählte seine Worte mit Bedacht.

»Ich bin einmal ein paar Kom-Menschen begegnet, die Männer waren, innerlich aber fest davon überzeugt, sie seien in Wahrheit Frauen. Sie wollten sich behandeln lassen und auch biologisch Frauen werden. Vielleicht war das psychologisch bedingt, vielleicht durch Hormone, was weiß ich — aber es hatte eigentlich nichts Sexuelles an sich. Die beiden Männer liebten einander und wollten doch beide Frauen werden. Verrückt, nicht? Ich identifizierte mich aber mit ihnen, einfach deshalb, weil ich ein fremdes Wesen im Körper eines Chugach war. Aber für mich gab es keine Operation — so einfach war das nicht. Der Fremde im Körper eines Chugach saß dort in der Falle. Ich fühlte nicht wie ein Chugach, handelte nicht wie einer, dachte nicht einmal wie einer. Ich kam mir mitten unter meinen eigenen Leuten völlig fremd vor.«

»Ich muß zugeben, so etwas ist mir neu«, räumte Ortega ein. »Aber ich kann mir denken, wie unausweichlich so etwas ist.«

»Nicht so neu. Ich glaube, alle Rassen haben da ihren Anteil. Hier auf der Sechseck-Welt mit 1560 eng aufeinander lebenden Rassen bin ich oft darauf gestoßen. Ich vermute, daß das viel weiter verbreitet ist, als man uns glauben machen will. Man redet nur nicht darüber, weil es keinen Sinn hat. Man nennt solche Leute einfach geisteskrank, hängt ihnen irgendeine medizinische Bezeichnung an und erklärt ihnen, daß sie lernen müssen, sich anzupassen. Und was kann man dagegen tun? Man kann nicht zu seinem Arzt gehen und sagen: ›Machen Sie aus mir etwas anderes.‹ Überlegen Sie, wie viele von den Menschen die Sechseck-Welt mit Sehnsucht betrachtet haben. Ein romantischer Ort, ein Ort, wo man in ein völlig anderes Wesen verwandelt werden konnte. Und für jeden, den der Gedanke abstieß, gab es mindestens einen, der sich in seiner Phantasie vorstellte, was er gerne gewesen wäre, und dadurch erregt wurde.«

»Und deshalb haben Sie sich freiwillig gemeldet, um die Menschen als Spion zu beobachten?«

Marquoz lachte leise.

»Nein, ich habe mich eigentlich nicht freiwillig gemeldet — obwohl ich das vielleicht getan hätte, wenn mir etwas davon bekannt gewesen wäre. Man suchte mich aus. Mein psychologisches Profil war das, was sie suchten — jemand, der sich in einer völlig fremdartigen Kultur ebenso zu Hause fühlte wie bei seinen eigenen Genossen.«